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Gutachten der Wirtschaftsweisen
Sachverständigenrat sieht Rückverlagerung der Arzneiproduktion nach Europa kritisch
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat am Donnerstag sein jährliches Gutachten vorgestellt. Dabei ging es auch um die Rückverlagerung der Medikamentenproduktion nach Deutschland oder Europa. Dem stehen die Wirtschaftsweisen allerdings kritisch gegenüber. Vielmehr solle eine gemeinsame europäische Beschaffungsstrategie für Abhilfe sorgen.
Bei einigen Arzneimitteln wie zum Beispiel Anästhetika oder Medikamenten zur Krebstherapie kommt es in Deutschland nicht selten zu Lieferengpässen, wie Apotheker:innen wissen. Diese können in der Folge ihre Kunden nicht immer so versorgen, wie es erforderlich wäre. Patienten müssen auf andere Präparate ausweichen oder warten. Als ein Grund für die Lieferengpässe wird oft die Verlagerung der Herstellung nach Indien und China genannt – hier lässt es sich günstiger produzieren. Konzentriert sich die Herstellung dann auch noch auf sehr wenige Standorte und kommt es zu Rohstoffknappheit oder Fehlproduktionen, gerät die Lieferung ins Stocken. Die Folge sind Engpässe, die in kurzer Zeit nicht zu beheben sind. Pandemien wie die Coronakrise verstärken diese Wirkung.
Einige Gesundheitsminister der Länder erwarten von der Bundesregierung nun eilige Schritte für eine verstärkte Arzneimittelproduktion in Deutschland und der Europäischen Union. Man möchte die steigende Abhängigkeit von Ländern außerhalb der EU bei lebenswichtigen Medikamenten beenden.
Dagegen betrachten die Ökonomen des Sachverständigenrats deutsche und europäische Überlegungen einer zumindest teilweisen Rückverlagerung der Medikamentenproduktion Europa kritisch: „Eine Umstrukturierung europäischer Wertschöpfungsketten hin zu einer stärkeren Nationalisierung dürfte mit erheblichen Effizienzverlusten verbunden sein.“ Vielmehr könnte eine „europäische Autarkiepolitik im Pharmasektor“ die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten nicht hinreichend gewährleisten, äußerte sich der Sachverständigenrat in seinem kürzlich veröffentlichten Gutachten.
Was ist zu tun?
Die Weisen schlagen vor, die Zulieferung weiter über Länder, Regionen und Kontinente zu streuen, obgleich Deutschland und die EU im Aggregat in ihrer Versorgung mit medizinischen Gütern ohnehin nur wenig abhängig von Handelsbeziehungen mit einzelnen Ländern sind. So könnten Versorgungsengpässe in akuten Gesundheitskrisen vermieden werden, indem die Bevorratung mit Arzneien und allgemeiner medizinischer Ausrüstung zur Resilienz beitragen.
Zur Begründung erklärte der Sachverständigenrat weiter: „Die Bevorratung von medizinischen Gütern kann national oder europäisch angelegt sein, wobei für verderbliche Arzneimittel ein sinnvolles System gefunden werden müsste, bei dem Lagerbestände entsprechend ihrer Haltbarkeit eingesetzt werden. Der Vorrat könnte so angelegt werden, dass ein Zeitraum überbrückt werden kann, bis sich fehlende Importe durch eine Umstellung der heimischen Produktion substituieren lassen.“ Welche Arzneimittel bevorratet werden sollten und wie das Verteilungsprozedere aussehen sollte, nannte das Gremium nicht. Auch blieb im Gutachten offen, wie in Krisenzeiten auf eine schnelle heimische Produktion umgestellt werden könnte.
Die ABDA erklärt auf Anfrage von DAZ.online, dass eine Rückverlagerung der gesamten Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion nach Europa kaum realistisch sei. „Für einzelne, besonders versorgungskritische Wirkstoffe und Arzneimittel ist sie allerdings zu überlegen“, so Christian Splett, stellvertretender Pressesprecher der ABDA. „Auf jeden Fall erscheint eine Diversifizierung der Produktion – mit einer Vielfalt an Herstellern, Standorten und auch Ländern – sinnvoll. Eine Lagerhaltung, die längerfristige Ausfälle in der Produktion kompensiert, erscheint dagegen weder organisatorisch noch wirtschaftlich darstellbar.“
Eine weitere Verlagerung der Produktion wichtiger Arzneimittel von Europa nach Fernost und anderswo sollte nach Auffassung der ABDA verhindert werden. „Durch Anpassung der Rahmenbedingungen, wie z.B. mittels Mehrfachvergaben bei Rabattverträgen, und eine Stärkung der Zusammenarbeit der Gesundheitsakteure, wie z.B. auf Brüsseler Ebene und im BfArM-Beirat, können weitere Schritte im Kampf gegen Lieferengpässe gemacht werden.“
4 Kommentare
Rückverlagerung von Herstellungskapazitäten
von pille62 am 19.11.2020 um 11:25 Uhr
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Stellt sie so vor unterversorgte Patienten
von Thomas Kerlag am 18.11.2020 um 20:29 Uhr
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Sachverstand
von ratatosk am 16.11.2020 um 11:39 Uhr
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Wieso ist die Rückverlagerung kritisch?
von Thomas Bsonek am 14.11.2020 um 9:58 Uhr
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