Therapieresistentes Sodbrennen

Steckt ein Ruminationssyndrom dahinter?

Stuttgart - 21.05.2021, 09:15 Uhr

Ruminations­syndrom: Das Essen gelangt ohne Anstrengung in aufrechter Haltung in den Mund des Patienten. Zugrunde liegt eine Störung der Darm-Gehirn-Interaktion. (Foto: Andrii Zastrozhnov / AdobeStock)

Ruminations­syndrom: Das Essen gelangt ohne Anstrengung in aufrechter Haltung in den Mund des Patienten. Zugrunde liegt eine Störung der Darm-Gehirn-Interaktion. (Foto: Andrii Zastrozhnov / AdobeStock)


Kunden mit gastrointestinalen Beschwerden gehören zum Apothekenalltag. Zu Sodbrennen, Erbrechen oder Völlegefühl lässt sich scheinbar gut beraten. Jedoch kann hinter diesen Symptomen ein kaum bekanntes, jedoch gar nicht so seltenes Syndrom stecken: das Ruminationssyndrom. Was verbirgt sich ­dahinter?

Dringen bei Menschen nach der Nahrungsaufnahme feste oder flüssige Nahrungsbestandteile aus dem Magen zurück in die Speiseröhre oder gar bis in den Mund, spricht man von Regurgitieren. Im Gegensatz zum Erbrechen geschieht dies nicht durch eine umgekehrte Peristaltik, sondern durch einen passiven Vorgang, der nicht über das Brechzentrum gesteuert wird. 

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Ursache dafür können eine Insuffizienz des Ösophagussphinkters, Achalasie oder ein Divertikel im Rachenraum sein.1 Können diese Erkrankungen ausgeschlossen werden und tritt das Regurgitieren regelmäßig auf, liegt möglicherweise ein Ruminations­syndrom vor. Das Essen gelangt ohne Anstrengung in aufrechter Haltung in den Mund des Patienten. Zugrunde liegt eine Störung der Darm-Gehirn-Interaktion vor. Diese beruht auf einem erlernten Verhalten, das sich wahrscheinlich ähnlich wie ein Tic entwickelt. Die betroffenen Personen verspüren nach dem Essen eine innere Spannung oder ein unangenehmes Gefühl, was schließlich zu einer Kontraktion der Bauchdecke führt. Nach dem Aufstoßen treten positive Empfindungen auf, wie eine Linderung von Angstzuständen oder Stress, während das Unterdrücken des Regurgitierens das Unbehagen verstärkt.2

Häufig falsch diagnostiziert

Das Ruminationssyndrom wird oft mit anderen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts verwechselt. Patienten halten ihre Symptome fälsch­licherweise für Reflux oder Erbrechen. Ebenso kann Rumination als Komorbidität bei anderen Refluxerkrankungen vorliegen, welche zur Pathophysiologie des Ruminationssyndroms beitragen. Wird das Ruminationssyndrom nicht erkannt, kann dies sowohl psychosoziale Folgen, wie das Vermeiden von Essen in Gesellschaft, als auch physische Auswirkungen, z. B. Gewichtsverlust und Unterernährung, haben. Angesichts begrenzter empirischer Daten zum Ruminationssyndrom hat es sich ein Forscherteam der Harvard Medical School in Boston zum Ziel gesetzt, Häufigkeit und Charakteristik von Rumination bei Patienten mit gastrointestinalen Symptomen zu untersuchen sowie Parameter zu erstellen, welche eine Unterscheidung von Patienten mit und ohne Ruminationssyndrom ermöglichen.3

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Die Studie umfasste 242 Patienten, die unter gastrointestinalen Beschwerden wie Dyspepsie oder Gastroparese litten und aufgrund dieser an einen Spezialisten überwiesen worden waren. Ausgewertet wurden demografische Informationen, Szintigrafiebefunde sowie zwei Fragebögen, in denen sowohl Daten zu Symptomen des oberen Gastrointestinaltrakts als auch zum Ruminationssyndrom erhoben wurden.

12,8 Prozent der Patienten erfüllten die Kriterien für das Ruminationssyndrom. Fast die Hälfte dieser Patienten (48 Prozent) berichtete über psychosoziale Probleme aufgrund der vorliegenden Symptome. Unterschiede bezüglich Herkunft, Geschlecht, Häufigkeit von Diabetes und Gastroparese zwischen den Patienten mit und ohne Ruminationssymdrom konnten nicht festgestellt werden. Auch hatten betroffene Patienten in der Vergangenheit nicht häufiger Essstörungen oder Gewichtsprobleme. Der Fragebogen zu den Symptomen umfasste sechs Skalen von null bis fünf für Sodbrennen/Aufstoßen, Völlegefühl/frühes Sättigungsgefühl, Übelkeit/Erbrechen, Blähungen und Schmerzen im Ober-/Unterbauch. Bei fünf der sechs Skalen gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Ruminationssyndrom. Bei Sodbrennen hingegen lagen die Werte bei 2,7 Punkte versus 1,6 bei den Kontrollpersonen; dabei traten die Reflux-/Regurgitationssymptome vor allem tagsüber bei den Betroffenen auf (3,0 vs. 2,0 Punkte). Die Forscher empfehlen deshalb vermehrt, die Subskala auf Sodbrennen und Aufstoßen einzusetzen, um Patienten mit Ruminationssyndrom unter Patienten mit entsprechenden gastrointestinalen Beschwerden herausfiltern zu können.

Welche Therapie kann helfen?

Die Behandlung unterscheidet sich deutlich von der für andere Magen-Darm-Erkrankungen. Deshalb ist eine korrekte Diagnose unerlässlich. Wichtigste Behandlungsoption ist das Einüben der Zwerchfellatmung. Erste Untersuchungen legen nahe, dass die Zwerchfellatmung durch die Entspannung der Bauchdecke eine konkurrierende Reaktion für die gewohnheitsmäßige Kontraktion der Bauchdecke darstellt. Falls die Patienten Schwierigkeiten mit der Zwerchfellatmung haben, kann eine Biofeedback-gesteuerte Zwerchfellatmung hilfreich sein.

Dieser Artikel erschien in der DAZ
Ausgabe 19 / 2021, Seite 34

Dabei wird mittels Elektromyografie die elektrische Muskelaktivität aufgezeichnet, so dass der Patient gezielt darauf hinarbeiten kann, die Aktivität des Zwerchfells zu erhöhen. Zusätzlich wird eine umfassende Verhaltenstherapie empfohlen. Mit dieser sollen die Patienten erlernen, die alten, schädigenden Verhaltensmuster abzulegen und selbstberuhigende Strategien anzuwenden. Helfen die bereits beschriebenen Behandlungsoptionen nicht, um die Häufigkeit des Regurgitierens zu verringern, kann eventuell der Einsatz des Muskelrelaxans Baclofen hilfreich sein. Jedoch gibt es hierzu keine umfassende Studienlage. Patienten mit komorbiden psychischen Störungen, wie z. B. generalisierten Angststörungen, können unter Umständen von der Gabe trizyklischer Antidepressiva oder anderer Neuromodulatoren profitieren. Es fehlen aber auch hier Belege für die Reduktion der Regurgitation. Protonenpumpeninhibitoren, H2-Antagonisten, Prokinetika und Antiemetika haben keinen Einfluss auf die Problematik des Ruminationssyndroms.4

 

Literatur

1 König B et al.: Kompendium der praktischen Medizin. Springer-Verlag, 2000, 1. Auflage

2 Ruminationssyndrom: Häufige, schwere gastrointestinale Störung wird oft übersehen, fehldiagnostiziert, Informationen des Biermann-Medizin-Verlags, https://biermann-medizin.de/ruminationssyndrom-haeufige-schwere-gastrointestinale-stoerung-wird-oft-uebersehen-fehldiagnostiziert/?cn-r eloaded=1, Abruf am 23. März 2021

3 Murray HB et al., Detection and characteristics of rumination syndrome inpatients presenting for gastric symptom evaluation. Neurogastroenterology & Motility. 2021;00:e14103.

4 Murray HB et al., Diagnosis and Treatment of Rumination Syndrome: A Critical Review. Am J Gastroenterol 2019;114(4):562-578



Dr. Sabine Fischer, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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