Westfälisch-Lippischer Apothekertag

Lehr: Brauchen COVID-19-Impfungen in den Apotheken

Münster - 13.09.2021, 13:45 Uhr

Professor Thorsten Lehr forderte beim WLAT in Münster, endlich auch in Apotheken Impfungen gegen COVID-19 anzubieten. (Foto: Leßmann)

Professor Thorsten Lehr forderte beim WLAT in Münster, endlich auch in Apotheken Impfungen gegen COVID-19 anzubieten. (Foto: Leßmann)


Mit den Impfungen gegen COVID-19 geht es nicht so richtig voran. Die Impfquote stockt bei gut 60 Prozent – viel zu gering, um den kommenden Herbst gut zu überstehen, meint Professor Thorsten Lehr von der Universität des Saarlands. Um der Kampagne neuen Schwung zu verleihen, sollten aus seiner Sicht auch Apotheken Impfungen gegen COVID-19 anbieten.

In dieser Woche ruft die Bundesregierung noch einmal alle Menschen dazu auf, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen – falls noch nicht geschehen. Unter dem Motto #HierWirdGeimpft finden deutschlandweit Impfaktionen statt, bei denen alle Impfwilligen sich schnell und ohne Termin immunisieren lassen können.

Ziel der Aktion ist es, die Impfquote hierzulande noch einmal deutlich zu steigern – denn viele Expertinnen und Experten halten den aktuellen Wert von gut 60 Prozent für deutlich zu gering, um glimpflich durch den Herbst zu kommen. Einer von ihnen ist Thorsten Lehr, Apotheker und Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlands. Benötigt würde eine Quote von 80 bis 85 Prozent, sagte er am vergangenen Sonntag beim Westfälisch-Lippischen Apothekertag in Münster.

„Jetzt, wenn die Tage kürzer werden, verdichtet sich die Situation“, betonte der von der „Bild“-Zeitung einst als der „Kurven-Prof“ betitelte Fachmann. Seinen Modellen zufolge droht ab Oktober ein Reproduktionswert (R-Wert) größer eins, wenn Deutschland jetzt nicht den Impf-Turbo anwirft. Zur Erinnerung: Der R-Wert gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter durchschnittlich ansteckt. Steigt der Wert über eins, resultiert ein exponentielles Wachstum der Infiziertenzahlen.

Aktuell „laufen wir wieder in die gleiche Situation wie im Herbst 2020“, warnte Lehr. Schlimmer noch: Bezüglich der Infiziertenzahlen startet Deutschland bei einem höheren Ausgangswert als im vergangenen Jahr, gleichzeitig steigen die Zahlen ebenso schnell wie damals – und das sogar schon rund sechs Wochen früher als noch 2020.

Niedrigschwellige Angebote nötig

Es gelte nun alle Register zu ziehen, um noch deutlich mehr Menschen als bisher zu motivieren, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Das dürfte ein Kraftakt werden, so Lehr. Der Schlüssel, um noch mehr Bürger:innen zu erreichen, liegt aus seiner Sicht auch in der Niedrigschwelligkeit von Impfangeboten. Daher begrüßt der Experte Impfaktionen, wie sie für diese Woche geplant sind – reichen wird das seiner Einschätzung nach jedoch nicht.

Lehr forderte daher, es endlich auch den Apotheken zu ermöglichen, gegen COVID-19 zu impfen. Aus den laufenden Modellprojekten zur Grippeschutzimpfung wisse man, dass mit einem solchen Angebot auch Teile der Bevölkerung erreicht werden, denen es schlicht zu aufwendig ist, sich zu diesem Zweck extra einen Arzttermin zu besorgen. Zwar glaubt der Pharmazeut nicht daran, dass es kurzfristig möglich sein wird, die COVID-19-Impfung flächendeckend in den Apotheken anzubieten. Für diesen Herbst müssen folglich andere Wege gefunden werden. „Perspektivisch sollten wir es aber unbedingt aufnehmen.“ Denn die Menschen brächten den Mitarbeitenden in den Offizinen großes Vertrauen entgegen – das könnte ein Gewinn für die Impfkampagne sein.

STIKO muss schnell entscheiden

Zudem rief Lehr die Ständige Impfkommission (STIKO) dazu auf, sich schnell zu Impfungen von Kindern im Alter zwischen fünf und elf Jahren zu positionieren. „Diese Gruppe ist derzeit völlig ungeschützt“, gab er zu bedenken. Die Situation käme einer „gezielten Durchseuchung“ nahe. Das Argument, Kinder erkrankten meist weniger schwer an COVID-19 als Erwachsene, ließ Lehr nicht gelten – denn auch sie könnten zum Beispiel Long-COVID entwickeln und mittel- bis langfristig körperlich beeinträchtigt sein. Zugleich unterstrich er, es sei nicht angezeigt, Druck auf die Kinder aufzubauen. „Das Problem sind vor allem junge Erwachsene“, sagte er. Inzwischen lägen auf den Intensivstationen immer mehr junge, sportliche Menschen, die beatmet werden müssten – eine weitgehend vermeidbare Situation.

Da nun Seniorinnen und Senioren weitgehend durchgeimpft seien, beträfen die schweren Verläufe vor allem ungeimpfte Jüngere. Diese hätten bei Krankenhauseinweisung zwar bessere Überlebenschancen, allerdings verlängere sich im Vergleich zu Älteren die durchschnittliche Liegezeit. „An Weihnachten 2020 fanden sich viele Über-80-Jährige auf den Intensivstationen, mittlerweile ist diese Altersgruppe dort kaum noch vertreten.“ Dennoch gibt es nicht mehr freie Betten als noch vor einem Jahr: Aktuell sind rund 1.200 von ihnen belegt. „Das war letztes Jahr erst im Oktober der Fall“, erinnerte Lehr.

Delta-Variante verschärft Situation

Auch das Auftreten der Delta-Variante verschärfe die Situation. Mit einem R-Wert von sechs sei sie etwa doppelt so ansteckend wie die Alpha-Variante, die noch bis in den Juni hinein das Infektionsgeschehen in Deutschland dominiert hatte. Inzwischen ist sie von der Delta-Variante weitgehend verdrängt worden. Zudem steige das Risiko, ins Krankenaus zu müssen, bei einer Infektion mit der Delta-Variante des Virus um fast 50 Prozent im Vergleich zum Wildtyp. Das wirkt sich auch auf die Modelle aus, mit denen Lehr und sein Team den Verlauf der Pandemie in Deutschland vorherzusagen versuchen.

Mit solchen Modellen lassen sich nicht nur Verläufe prognostizieren, sondern auch rückblickend die Auswirkungen bestimmter Interventionen analysieren. So können zum Beispiel signifikante Änderungen des R-Werts im zeitlichen Verlauf der Pandemie detektiert werden. Bis dato stellten Lehr und Kollegen insgesamt 32 solcher Sprünge fest. Besonders bemerkbar machten sich dabei die umfangreichen Lockerungen im Juni 2021: Sie ließen die Inzidenzzahlen um 154 Prozent steigen. Bei einem Lockdown hingegen sinken die Zahlen dem Forscher zufolge um etwa 45 bis 48 Prozent, wobei die Veränderungen stets leicht vom Zeitpunkt der Intervention oder Lockerung abweichen.

Psychologische Effekte nicht modellierbar

Doch auch das beste Modell hat seine Unsicherheiten: Nicht darstellbar ist laut Lehr zum Beispiel, wie sich Äußerungen von Politikern auf das Infektionsgeschehen auswirken. Ankündigungen von Lockerungen etwa oder Warnungen bei steigender Zahl der Todesfälle wirkten sich psychologisch auf die Menschen aus. Das führe in vielen Fällen zu Verhaltensänderungen, was sich letztlich anhand der Infektionszahlen bemerkbar mache.

Unklar sei zudem noch immer, welchen Einfluss Schulschließungen hätten. Zwar sei ein großer Effekt zu beobachten, „das heißt aber nicht, dass die Infektionen tatsächlich in den Schulen stattfinden“, betonte Lehr. Denn damit einher gehe zum Beispiel eine reduzierte Nutzung des ÖPNV. Auch dass viele Eltern in diesem Zuge auf Homeoffice umstellten, könne sich auf die Inzidenzen auswirken. Klar ist aber: Als im Jahr 2020 die Schulferien endeten, sei ein massiver Anstieg der Infektionen unter den 5- bis 14-Jährigen zu beobachten gewesen.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Impfung in Apotheken?

von Pillendreher am 14.09.2021 um 7:31 Uhr

Ich glaube, ich spinne. Ich den Apotheken geht außer Regelbetrieb NICHTS mehr. Es ist nur noch Abarbeiten angesagt. Personal fehlt hinten und vorne - Impfzertifikate ausdrucken, Schnellteste, kein Personal etc. pp. Wer übernimmt eigentlich die Haftung für die Impfnebenwirkungen? Wenn die Hersteller schon raus sind... wollen wir dann haften? Wollen wir dafür gerade stehen? Es gibt eine hohe "Durchseuchung" - die meisten Menschen haben hohe Antikörpertiter, werden aber leider nicht als genesen akzeptiert. 60% Impfquote reicht sicher aus! Was bitte schön wollen unsere "Oberen" uns alles noch aufdrücken?

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Covid Impfungen in den Apotheken

von gerd reitler am 13.09.2021 um 20:49 Uhr

Liebe Leute,

wollen würden wir ja gerne.
Aber es fehlt den meisten Betrieben vorne und hinten an Personal.

Die Betriebe laufen im Regelbetrieb (also vor Corona) an ihren Kapazitätsgrenzen. Seit 1,5 Jahren aber darüber hinaus. Das Maß des Machbaren ist nicht nur erreicht, es geht NICHTS mehr darüber hinaus!

Konsequenzen:
1. mehr Ausbildungskapazitäten an PTA Schulen und Unis.
PTA schulen: Verdopplung der Schulkapazitäten.
2. eine vernünftige Vergütung, damit wir alle Mitarbeiter/innen leistungsgerechte Gehälter zahlen können und die Gehälter dann "konkurrenzfähig sind".
Ein Approbierter mit Tarif 3500,-€ Einstiegsgehalt.........
Das soll leistungsgerecht sein?
3. Abschaffung von all dem Wahnsinn, der "denen da oben" Freude bereitet und den Kollegen/innen an der Front tagtäglich Knüppel zwischen die pharmazeutischen Beine

Wenn all diese Punkte abgearbeitet sind.........
erst dann werden wir als Berufsstand in der Lage sein, weitere Kapazitäten "geben zu können".

Das schreibe ich hier als Betriebsinhaber und als Kreisvertrauensapotheker

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