Borreliose-Prophylaxe

Doch besser einmalig Doxycyclin nach Zeckenstich?

Stuttgart - 10.01.2022, 07:00 Uhr

Nach einem Zeckenstich: Sollte jeder Gestochene sofort ein Antibiotikum zur Borreliose-Prophylaxe erhalten? (s / Foto: malykalexa777 / AdobeStock)

Nach einem Zeckenstich: Sollte jeder Gestochene sofort ein Antibiotikum zur Borreliose-Prophylaxe erhalten? (s / Foto: malykalexa777 / AdobeStock)


Was ist die optimale Behandlungsstrategie bei einem Zeckenstich? Ist eine generelle Antibiotikaprophylaxe, um Borreliose vorzubeugen, sinnvoll? Und wenn ja: Welches Antibiotikum eignet sich in welcher Dosierung?

Anders als bei FSME kann man gegen Borreliose nicht impfen, beide Infektionserkrankungen werden jedoch von Zecken übertragen. Was also tun nach einem Zeckenstich? Ist es sinnvoll, prophylaktisch ein Antibiotikum einzunehmen, um einer Borreliose vorzubeugen? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine im November 2021 im Fachjournal „BMC Infectious Diseases“ veröffentlichte Studie („Antibiotic prophylaxis for prevention against Lyme disease following tick bite: an updated systematic review and meta-analysis“). Die Wissenschaftler:innen analysierten systematisch die Datenbanken Pubmed, Embase und Cochrane nach Arbeiten, die bis 23. März 2021 zu diesem Thema veröffentlicht worden waren. Sie berücksichtigten dabei ausschließlich Studien mit von Zecken gestochenen Menschen, wenn diese innerhalb von 72 Stunden noch keine Anzeichen einer Borreliose aufgewiesen hatten und nach Zufallsprinzip einer Behandlungs- oder Kontrollgruppe zugeteilt worden waren.

Orale und topische Prophylaxe von Borreliose

Von 4.515 gefundenen Studien flossen schlussendlich nur sechs Studien mit 3.766 Personen in die Meta-Analyse mit ein. 56 (von 3.766) Menschen waren nach Zeckenstich an Borreliose erkrankt, wobei bei 55 Patient:innen die Diagnose Erythema migrans und bei einem Patienten die Diagnose disseminierte Borreliose gestellt wurde. Die Zeckengestochenen hatten in den Behandlungsgruppen entweder orale Antibiotika (fünf Studien, davon drei Studien mit einem zehntägigen Regime mit Amoxicillin, Penicillin oder Tetracyclin, zwei Studien mit einer Einmaldosis Doxycyclin 200 mg) oder ein topisches Antibiotikum (eine Studie mit Azithromycin) erhalten.

Orale Prophylaxe reduziert Borreliose-Risiko

Insgesamt erkrankten in den Antibiotikagruppen 0,4 Prozent der Zeckengestochenen an Borreliose, in der Kontrollgruppe waren es 2,2 Prozent. Eine prophylaktische Antibiose verringerte das relative Borreliose-Risiko damit um 62 Prozent. Betrachtet man die orale Antibiosen isoliert (Zehn-Tages-Schema und Einmaldosis), erkrankten in der Behandlungsgruppe ebenfalls deutlich weniger an Borreliose als in der Kontrollgruppe (0,2 Prozent vs. 2,5 Prozent, relative Risikoreduktion 71 Prozent). Wertete man nun die zehntägige Antibiotikaprophylaxe und die Einmaldosis mit 200 mg Doxycyclin noch separat aus, lag unter der zehntägigen Antibiose das Borreliose-Risiko bei 0 Prozent (vs. 1,3 Prozent in der Kontrollgruppe, relative Risikoreduktion 72 Prozent), bei der Einmalgabe von Doxycyclin erkrankten 0,8 Prozent unter Antibiose (vs. 3,0 Prozent in der Kontrollgruppe), das relative Risiko zu erkranken verringerte sich durch die Prophylaxe um 71 Prozent.

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Weniger effektiv war hingegen eine topische Antibiose mit Azithromycin: 1,2 Prozent erkrankten trotz lokaler antibiotischer Therapie, in der Kontrollgruppe waren es 1,6 Prozent, wodurch sich das relative Risiko für eine Borreliose-Erkrankung lediglich um 27 Prozent verringerte.

Einmalig 200 mg Doxycyclin reduziert Borreliose-Risiko

Allerdings waren nicht alle Ergebnisse statistisch signifikant, so die bei der zehntägigen Antibiose und der topischen Therapie: „Unsere Subgruppenanalyse ergab, dass Patienten, die eine Einzeldosis Doxycyclin (200 mg) erhielten, ein geringeres Risiko hatten, eine Lyme-Borreliose zu entwickeln, als Patienten, die ein Placebo erhielten, während es keine Belege für die Wirksamkeit einer zehntägigen Behandlung und einer Behandlung mit topischen Antibiotika gibt“. Diese Ergebnisse stützten die Strategie einer einmaligen oralen Doxycyclin-Therapie zur Prävention von Borreliose, so die Wissenschaftler:innen.

Keine routinemäßigen Antibiotikaprophylaxe nach Zeckenstich

Trotz ihrer Empfehlung wissen sie auch um die Nebenwirkung antibiotischer Behandlungen und geben zu bedenken, dass ihrer Schätzung zufolge 50 Patient:innen mit einer Einzeldosis Doxycyclin behandelt werden müssten, um einen Fall einer Borreliose zu verhindern (Number needed to treat). Somit raten die Studienautor:innen nicht zu einer generellen und routinemäßigen Antibiotikaprophylaxe nach Zeckenstich. Es müsse unbedingt ermittelt werden, wer für eine Prophylaxe infrage komme. Laut der Leitlinie der International Lyme and Associated Diseases Society (ILADS) gilt ein Zeckenstich erst dann als risikoreich, wenn die Zecke mehr als 36 Stunden festsaß. Einer Studie, veröffentlicht im Fachjournal „Clinical Infectious Diseases“ („Assessment of Duration of Tick Feeding by the Scutal Index Reduces Need for Antibiotic Prophylaxis After Ixodes scapularis Tick Bites“) zufolge, sitzen jedoch 52,5 Prozent der Zecken weniger als 36 Stunden – das würde bedeuten, dass die Hälfte der Zeckengestochenen schon einmal keine Antibiose benötigten, so die Wissenschaftler:innen hinter der Meta-Analyse.

Stichdauer und Alter der Zecke

Auch gibt es Hinweise, dass Stiche von Nymphenzecken häufiger zu einem Erythma migrans führen als Stiche von adulten Zecken (5,6 Prozent vs. 0 Prozent) und dass die Infektionswahrscheinlichkeit sinkt, wenn die Zecken nur teilweise vollgesogen sind (was mit der Stichdauer korreliert) – nachzulesen in einer 2001 im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Studie („Prophylaxis with Single-Dose Doxycycline for the Prevention of Lyme Disease after an Ixodes scapularis Tick Bite“). Diese Ergebnisse könnten wertvolle Informationen für Kliniker:innen liefern, bedürfen aber weiterer Bestätigung, finden die Wissenschaftler:innen.

Die Schwächen der Studie

Die Meta-Analyse hat auch Schwächen. So räumen die Wissenschaftler:innen ein, dass vier Studien aus den Vereinigten Staaten und zwei aus Europa stammten. Unterschiede bei den Zeckenarten und Borrelia burgdorferi-Subspezies könnten somit zur Heterogenität beigetragen haben. Zudem definierten sie „Erythema migrans“ als wichtigsten Endpunkt der eingeschlossenen Studien, sodass vielleicht die tatsächliche Inzidenz von Borrelien-Infektionen unterschätzt wurde. Daher sei die Evidenz der Meta-Analyse „begrenzt“ und bedürfe weitere Bestätigung.

Was raten die Leitlinien?

Vergleicht man die Empfehlungen zur Borreliose-Prophylaxe nach Zeckenstich, zeichnet sich kein global einheitliches Bild.

Die deutsche S2k-Leitlinie „Kutane Lyme-Borreliose“ von 2016 (abgelaufen Ende März 2021) rät von einer Antibiotikaprophylaxe zur Vorbeugung von Borreliose nach einem Zeckenstich ab: „Eine lokale oder systemische prophylaktische antibiotische Behandlung nach Zeckenstich wird nicht empfohlen“. Auch das Untersuchen der entfernten Zecke auf Borrelien empfiehlt sie nicht. Ihr Rat: Bedeckende Kleidung tragen, die Haut nach Aufenthalt im Freien mit möglichem Zeckenkontakt auf Zecken absuchen und – mit Einschränkung – das Nutzen zeckenabweisender Repellentien. Zudem sollte man im Falle eines Zeckenstiches die Zecke schnellstmöglich entfernen und die Stichstelle bis zu sechs Wochen beobachten.

Die IDSA (Infectious Diseases Society of America) empfiehlt hingegen – neben Repellenzien wie DEET und dem sofortigen Entfernen der Zecke – allen Kindern und Erwachsenen mit Hochrisikozeckenstichen (der Biss stammt von einer identifizierten Ixodes spp., hochendemisches Zeckengebiet, Biss dauerte mindestens 36 Stunden), eine Antibiotikaprophylaxe innerhalb von 72 Stunden nach Entfernung der Zecke. Sie rät zu einmalig zu oralem Doxycyclin (200 mg für Erwachsene, 4,4 mg/ kg KG für Kinder bis maximal 200 mg).

2014 veröffentlichte die ILADS (International Lyme and Associated Diseases Society) ihre Empfehlungen, wie bei Zeckenstichen vorzugehen ist: Sie rät seither von einer einmaligen 200-mg-Doxycyclin-Prophylaxe ab. Es sei nicht nur unwahrscheinlich, dass es hochwirksam sei, sondern die fehlgeschlagene Therapie führte in der Humanstudie zu einem seronegativen Krankheitszustand. Stattdessen sollten – auf Grundlage von Tierstudien – nach bekanntem Biss mit schwarzbeinigen Zecken die Betroffenen 20 Tage Doxycyclin erhalten.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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