Raus aus dem Auffrischungskarussell?

Impfstoffentwickler sollen multivalente Corona-Impfstoffe erforschen

Stuttgart - 24.01.2022, 16:50 Uhr

Prof. Dr. Klaus Cichutek betont, dass eine schnelle Umstellung auf neue Varianten-Impfstoffe und damit auch Omikron-adaptierte Impfstoffe möglich ist. (Foto: famveldman / AdobeStock)

Prof. Dr. Klaus Cichutek betont, dass eine schnelle Umstellung auf neue Varianten-Impfstoffe und damit auch Omikron-adaptierte Impfstoffe möglich ist. (Foto: famveldman / AdobeStock)


Kommt bald der erste auf Omikron angepasste Corona-Impfstoff auf den Markt? Und mit welchem Impfstoff werden wir zukünftig gegen COVID-19 impfen? Arzneimittelbehörden erklären international, dass Auffrischimpfungen angesichts Omikrons erforderlich sind, fordern die Wissenschaft aber auch auf, nach langfristigen Lösungsansätzen zu suchen. Immer wieder Auffrischungsdosen zu verabreichen sei kein tragfähiges Konzept. Mit welchem Impfstoff werden wir also zukünftig impfen? Ein Lebendimpfstoff liegt laut Expert:innen in weiter Ferne.

In einer Mitteilung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA vom vergangenen Freitag berichtet diese über die Empfehlungen internationaler Regulierungsbehörden zu zukünftigen COVID-19-Impfstoffen – mit Blick auf die Omikron-Variante: Laut einem Bericht internationaler Regulierungsbehörden, der aus einem Workshop unter der Schirmherrschaft der „International Coalition of Medicines Regulatory Authorities“ (ICMRA) hervorgegangen ist, werde immer deutlicher, dass eine Auffrischungsdosis der COVID-19-Impfstoffe erforderlich ist, um den Impfschutz (gegen Omikron) zu verlängern, heißt es.

Auch ein Presse-Briefing des Science Media Centers beschäftigte sich vergangenen Freitag mit zukünftigen Impfstoffstrategien gegen COVID-19. Dort sagte beispielsweise Prof. Dr. Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin: „Ich gehe fest davon aus, dass Patienten, die Risikogruppen angehören, […] von einem angepassten Impfstoff profitieren würden.“

Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, betonte zudem, dass eine schnelle Umstellung auf neue Varianten-Impfstoffe und damit auch Omikron-adaptierte Impfstoffe möglich sei. Die Hersteller hätten aber nur eine gewisse Menge von Herstellungskapazität. Man müsse also irgendwo ein gemeinsames Signal suchen, wann der Großteil der Herstellung tatsächlich auf einen angepassten Impfstoff umgestellt wird. Vieles spreche dafür, dass dieses vielleicht von der WHO ausgehen sollte, sagte Cichutek. Dort sei eine entsprechende Gruppe gebildet worden.

Verbesserte Avidität dank dritter Impfung

Prof. Dr. Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München, sprach von einem „Kommunikationsfehler“ in der Vergangenheit, die zweifache Impfung zunächst als vollständige Impfung zu bezeichnen. „In einer Studie, die sich jetzt bei Nature Medicine im Review befindet, die als Preprint schon draußen ist und hoffentlich nächste Woche oder vermutlich nächste Woche erscheinen wird, sehen wir, dass es nicht nur zu einer Verbreiterung der Antikörperantwort kommt, sondern auch zu qualitativ hochwertigeren Antikörpern“, erklärte sie zum Nutzen einer dritten Dosis. Antikörper könnten leicht an die Oberfläche binden oder ganz fest. Man spreche dabei von „Avidität“. „Und diese erhöhte Avidität, die sieht man wirklich eben nach dem dritten Kontakt mit diesem Antigen“, sagte Protzer.

Klinische Studien sollen Überlegenheit neuer Impfstoffe zeigen

(Angepasste) Auffrischungsimpfungen sind also gut und sinnvoll. Doch Cichutek gab zu bedenken, dass man die Herstellung nicht dauernd umstellen könne und auch die Möglichkeiten der Gesundheitssysteme begrenzt seien. Er war auf eine Äußerung der EMA angesprochen worden, dass zu viele Auffrischimpfungen auch kontraproduktiv sein könnten. Und so heißt es auch in der Mitteilung der EMA vom Freitag, dass die internationalen Arzneimittelbehörden sich hinsichtlich der Virusavarianten einig sind, dass die Verabreichung mehrerer Auffrischungsdosen in kurzen Abständen längerfristig kein tragfähiges Konzept sei. Sie ermutigten die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft und die Impfstoffentwickler, alternative Ansätze zu monovalenten Impfstoffen zu prüfen. Es solle untersucht werden, ob bivalente oder multivalente Impfstoffvarianten Vorteile gegenüber monovalenten bieten. Dazu sollten auch klinische Studien durchgeführt werden, die eine Überlegenheit gegenüber den derzeit zugelassenen Impfstoffen belegen.

Nicht auf sterile Immunität hoffen

Sander findet den Ansatz multivalenter Impfstoffe mit unterschiedlichen Spike-Varianten persönlich interessant, wie er bei dem SMC-Pressebriefing erklärte. „Das sind ja auch Prinzipien, die verfolgt werden bei der Entwicklung von universellen Influenza-Impfstoffen.“ 

Cichutek führte den Vergleich mit den Influenzaimpfstoffen fort: Er gab zu bedenken, dass auch bei Influenza im Wesentlichen inaktivierte Impfstoffe benutzt werden, dass es bei Kindern und Jugendlichen aber auch einen Lebendimpfstoff gibt. Dieser spiegele vielleicht am ehesten die Breite der Immunantwort auch gegenüber einer natürlichen Infektion wider. Doch bei COVID-19 dürfe man nicht vergessen, dass man das Coronavirus noch nicht so gut verstehe, dass man an Lebendimpfstoffe denken könne. Wenn, dann könne man höchstens an bedingt vermehrungsfähige Vektorimpfstoffe denken, „die dann ein bisschen besser wären“, erklärte Cichutek.

Cichutek ordnete ein, dass die jetzigen Ansätze zu Omikron-adaptierten Impfstoffen eher mit monovalenten beziehungsweise höchstens bivalenten Impfstoffen arbeiten. Bei den InfluenzaImpfstoffen denke man zwar bereits eher daran, bei den Universalimpfstoffen Epitope anzusprechen, die zwischen unterschiedlichen Varianten oder Stämmen vergleichbar sind. Doch Omikron versteht man offenbar noch nicht genug, für multivalente Ansätze.

Auch was intranasal verabreichte Impfstoffe gegen COVID-19 angeht, bezeichnete Cichutek diese als guten Ansatz. Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung forsche neben anderen daran. Doch: „Die Hoffnung auf sterile Immunität bei einer respiratorischen Infektionskrankheit zu erreichen... die ist glaube ich nicht so groß“, ordnete er ein, was man sich davon erwarten könnte.

Eines wurde im Rahmen der SMC-Expert:innen-Diskussion jedenfalls besonders deutlich: Auf (angepasste) Impfstoffe kann man (noch) nicht verzichten. Es sei eine Illusion, in kurzer Zeit die Bevölkerung durch natürliche Infektionen zu immunisieren, hieß es. 

Eine natürliche Infektion ist also keine Alternative zu einer dritten Impfung und zur Erlangung von Grundimmunität durch Impfung. Zu Viertimpfungen raten die Expert:innen derzeit zwar nur im Rahmen individueller ärztlicher Entscheidungen. Doch das könnte sich ändern, sollten bald angepasste Impfstoffe zur Verfügung stehen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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