Bluthochdruck

Antihypertensiva in der Schwangerschaft schon bei leichter Hypertonie

Stuttgart - 21.04.2022, 07:00 Uhr

Wann sollten Schwangere Arzneimittel zur Blutdrucksenkung einnehmen? Die Leitlinien sind uneins. Neue Daten stützen eine frühe Arzneimitteltherapie. (x / Foto: Naz / AdobeStock) 

Wann sollten Schwangere Arzneimittel zur Blutdrucksenkung einnehmen? Die Leitlinien sind uneins. Neue Daten stützen eine frühe Arzneimitteltherapie. (x / Foto: Naz / AdobeStock) 


Wann sollten Schwangere einen Bluthochdruck mit Arzneimitteln senken? Die Leitlinien sind sich uneins: ab Werten von 160/110 mmHg oder bereits früher bei einem Blutdruck von 140/90 mmHg? Einer NEJM-Studie zufolge ist das Blutdruckziel von 140/90 mmHg sicher für Schwangere und Baby.

Nicht Schwangere erhalten standardmäßig blutdrucksenkende Arzneimittel ab Werten von 140/90 mmHg. Hingegen ist der Schwellenwert für den Beginn einer medikamentösen antihypertensiven Behandlung bei schwangeren Frauen umstritten und uneinheitlich – manche Fachgesellschaften raten erst bei schwerer Hypertonie (Blutdruckwerte ab 160/110 mmHg) zu Arzneimitteln, andere bereits bei 150/100 mmHg oder 150/95 mmHg oder sogar bei Werten ab 140/90 mmHg (siehe Infobox). 

Während hinsichtlich kardiovaskulärer Risiken eine bereits frühe Blutdruckkontrolle sicher vorteilhaft ist, kann bei Schwangeren eine zu strenge Blutdrucksenkung jedoch auch mit Gefahren einhergehen: So wird eine medikamentöse Behandlung von nur leichter Hypertonie (Blutdruckwerte 140-159/90-109 mmHg) mit einem erhöhten Risiko für ein geringes Geburtsgewicht des Babys in Verbindung gebracht. Die Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe geben auch zu bedenken, dass eine drastische Blutdrucksenkung eventuell zur plazentaren Minderdurchblutung führen könne und dadurch den Fetus akut beeinträchtigen. Ab welchem Blutdruckwert ist eine medikamentöse Behandlung von Schwangeren also sinnvoll?

Beeinflussen Antihypertensiva das Risiko für Frühgeburt, Präeklampsie oder Tod des Babys?

Der Antwort auf diese Frage ein Stück näher gekommen sind nun Wissenschaftler um Professor Alan Tita, University of Alabama, indem sie 2.408 schwangere Frauen (Einlingsschwangerschaft) vor der 23. Schwangerschaftswoche mit leichtem chronischem Bluthochdruck (<160/105 mmHg) in einer Studie untersucht haben: Die Schwangeren erhielten entweder blutdrucksenkende Arzneimittel (61,7 Prozent Labetalol, 35,6 Prozent Nifedipin retardiert, die restlichen Teilnehmerinnen Amlodipin oder Methyldopa) oder keine Behandlung (Kontrollgruppe). Die Kontrollgruppe nahm nur dann blutdrucksenkende Arzneimittel ein, wenn sie eine schwere Hypertonie entwickelten und ihre Blutdruckwerte 160/105 mmHg erreichten oder überstiegen.

Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob eine blutdrucksenkende Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft bei leichter Hypertonie das Risiko für Präeklampsie, Frühgeburt (weniger als 35 Schwangerschaftswochen), Plazentaablösung oder Tod des Fetus oder des Neugeborenen erhöht (kombinierter primärer Endpunkt). Als primärer Sicherheitsendpunkt der Studie war ein niedriges Geburtsgewicht definiert (unterhalb der zehnten Perzentile des für das Gestationsalter und Geschlecht erwarteten Gewichts; Perzentile: Vergleichsmaß, das das Gewicht eines Kindes mit dem Gewicht von Gleichaltrigen vergleicht).

Blutdruckbehandlung bei Schwangeren: uneinheitliche Empfehlungen

Bei Schwangeren unterscheidet man bei Bluthochdruckwerten lediglich zwischen milder/moderater Hypertonie (140 bis 159 mmHg systolisch und 90 bis 109 mmHg diastolisch) und schwerer Hypertonie mit Blutdruckwerten ab 160/110 mmHg. Schwangere mit schwerer Hypertonie (ab 160/110 mmHg) zeigen ein erhöhtes Risiko für eine Präeklampsie und Nierenversagen, Schlaganfall und Frühgeburt. Ob auch bereits werdende Mütter mit moderat erhöhten Blutdruckwerten von Antihypertensiva profitieren, ist unklar. Denn bislang konnte lediglich gezeigt werden, dass blutdrucksenkende Arzneimittel bei leichter Hypertonie zwar die Phasen mit sehr hohen Blutdruckwerten verringern und somit das Risiko, dass sich aus einer milden eine schwere Hypertonie entwickelt. Aber dass sich das Outcome für die Schwangere, den Fetus oder dann das Neugeborene ebenfalls klinisch verbessern, ist bislang nicht erwiesen.

In der gemeinsamen S2k-Leitlinie „Hyptertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie“ (Stand März 2019, gültig bis 30. April 2022) raten die Deutsche, Österreichische und Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, dass der Zielblutdruck zwischen 130 und 150 mmHg systolisch und 80 bis 100 mmHg diastolisch betragen sollte, weswegen Schwangere mit Blutdruckwerten ab 150/100 mmHg antihypertensive Arzneimittel erhalten sollten. Die European Society of Cardiology (ESC) und European Society of Hypertension (ESH) empfehlen laut der Leitlinie „Management der arteriellen Hypertonie“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der Deutschen Hochdruckliga (DHL), dass schwangere Frauen ab Blutdruckwerten von 150/95 mmHg medikamentös behandelt werden sollten – es sei denn, es liegt eine Gestationshypertonie (Hypertonie hat sich erst nach der 20. Schwangerschaftswoche entwickelt und verschwindet meist sechs Wochen nach der Geburt) oder eine vorbestehende Hypertonie (Hypertonie bestand bereits vor der Schwangerschaft oder hat sich vor der 20. Schwangerschaftswoche entwickelt und besteht in der Regel auch sechs Wochen nach Geburt noch) überlagert von Gestationshypertonie vor oder es gibt bereits Organschädigungen. Diese Schwangeren sollten bereits ab Blutdruckwerten von 140/90 mmHg antihypertensive Arzneimittel erhalten. Der Empfehlungsgrad ist I C – das heißt die Leitlinienautoren halten diese Maßnahme für empfehlenswert und nützlich, können ihre Einschätzung jedoch lediglich auf kleine Studien oder retrospektive Analysen und Registerdaten stützen.

Die amerikanische Fachgesellschaft ACOG (American College of Obstetricians and Gynecologists) rät erst bei Blutdruckwerten ab 160/105 zur medikamentösen Behandlung von Bluthochdruck in der Schwangerschaft und strebt sodann Zielblutdruckwerte zwischen 120 und 159 mmHg systolisch und 80 bis 109 mmHg diastolisch an. Das NICE (National Institute for Health and Care Excellence) in Großbritannien möchte eine antihypertensive Behandlung bereits bei Werten ab 140/90 mmHg einleiten, bis der Zielblutdruck bei Werten ≤135/85 mmHg liegt.

Eine aktuelle Übersicht der zahlreichen und unterschiedlichen Empfehlungen zur Hypertoniebehandlung in der Schwangerschaft veröffentlichten Wissenschaftler im Februar 2022 im Fachjournal „Hypertension“.

Die Ergebnisse der CHAP-Studie (Chronic Hypertension and Pregnancy) haben die Forscher im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht („Treatment for Mild Chronic Hypertension during Pregnancy“). Die Studie lief offen und multizentrisch (mehr als 70 Studienstandorte) in den Vereinigten Staaten.

Blutdruck unter Behandlung niedriger

Nicht überraschen dürfte das Ergebnis, dass der mittlere Blutdruck bei Schwangeren, die Antihypertensiva erhalten hatten, um 3,1 mmHg systolisch und 2,3 mmHg diastolisch niedriger war als bei Frauen ohne Behandlung (129,5 mmHg vs. 132,6 Systole und 79,1 vs. 81,5 mmHg Diastole).

Weniger Komplikationen bei Blutdrucksenkung

Jedoch traten bei Schwangeren, die bereits bei leichter Hypertonie blutdrucksenkende Arzneimittel anwendeten, auch weniger Komplikationen auf – Präeklampsie, Frühgeburt vor der 35. Schwangerschaftswoche, Planzentaablösung, Tod des Fetus oder Neugeborenen: 30,2 Prozent vs. 37 Prozent. Eine antihypertensive Arzneimitteltherapie reduzierte dadurch das Risiko für eines der Ereignisse um 18 Prozent. 

Betrachtet man lediglich die Präeklampsie (mit schwerer Ausprägung), so erlitten 23,3 Prozent der behandelten Schwangeren diese Schwangerschaftskomplikation und 29,1 Prozent der nicht behandelten (Präeklampsie jeglicher Schwere: 24,4 Prozent vs. 31,1 Prozent). Bei 12,2 Prozent der antihypertensiv eingestellten Frauen kam das Baby zu früh zur Welt (vor der 35. Schwangerschaftswoche), ohne Behandlung gebaren 16,7 Prozent der Frauen ihr Kind zu früh (Inzidenz einer Frühgeburt vor der 37. Schwangerschaftswoche: 27,5 Prozent vs. 31,4 Prozent).

Kein Einfluss auf das Geburtsgewicht

Wie sieht es nun mit dem Sicherheitsendpunkt – dem möglicherweise niedrigen Geburtsgewicht – aus? Beim Vergleich der beiden Schwangerengruppen fanden die Wissenschaftler keine statistisch signifikanten Unterschiede – 11,2 Prozent unter Behandlung vs. 10,4 Prozent ohne Behandlung –, das heißt: Die Unterschiede könnten auch durch Zufall erklärbar sein. Insgesamt müssten der Studie zufolge 15 Schwangere mit leichter Hypertonie behandelt werden, um bei einer Schwangeren ein unerwünschtes Ereignis zu verhindern (Number needed to treat: 14,7).

Blutdruckziel: 140/90 mmHg

Das Fazit: In der Studie reduzierte eine frühe antihypertensive Behandlung von nur leichtem Bluthochdruck in der Schwangerschaft das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen – ohne dadurch das Risiko eines niedrigen Geburtsgewichts des Babys zu erhöhen. Die Ergebnisse unterstützen den Wissenschaftlern zufolge eine antihypertensive Behandlung in der Schwangerschaft mit dem Ziel, den Blutdruck auf Werte unter 140/90 mmHg zu bringen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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