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Arzneiverordnung in der Praxis
Halluzinationen – eine Nebenwirkung von Atorvastatin?
Manche Patient:innen vertragen Statine nicht – oder zumindest glauben sie das. Denn offenbar könnte auch ein gewisser Nocebo-Effekt eine Rolle spielen, vor allem wenn es um die Furcht vor unerwünschten Muskelsymptomen geht. Doch muskuläre Beschwerden sind nicht die einzigen möglichen Nebenwirkungen unter Statin-Therapie, auch psychiatrische unerwünschte Wirkungen sind möglich. Die AkdÄ hat sich einen Fallbericht zu Atorvastatin genauer angeschaut.
In der DAZ 38/2021 berichtete Prof. Dr. med. Ulrich Laufs von seinen Erfahrungen mit der Arzneimittelklasse der Statine in der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig: „Wir setzen aus Erwägungen der Wirksamkeit, der Studienlage, der Pharmakologie und der aktuellen KV-Richtlinien Atorvastatin als primäres Statin ein. Die nächste Alternative ist Rosuvastatin“, erklärte er. Simvastatin ist aus seiner Sicht für Neuverordnungen obsolet. Das erscheint auch angesichts der häufig von Patient:innen gefürchteten Muskelsymptome vernünftig, die unter Statin-Einnahme auftreten können: „Vor dem Hintergrund eines Genpolymorphismus, der zum Risiko für Statin-assoziierte Muskelsymptome beiträgt, weiß man, dass der Einfluss der SLCO1B1-Variante auf die Plasmakonzentrationen von Statinen in folgender Reihenfolge abnimmt: Simvastatin, Atorvastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Fluvastatin. Eine routinemäßige Bestimmung des Genstatus wird jedoch nicht empfohlen“, hieß es ebenso in der DAZ 38/2021. Für Professor Laufs ist der entscheidende Faktor für die Verträglichkeit der Statine aber vor allem die Kommunikation von Arzt und Apotheker, nicht das Präparat.
Muskelsymptome sind nicht die einzigen Nebenwirkungen von Statinen
In der Fachinformation von Atorvastatin (Stand Mai 2022, Sortis® Filmtabletten) werden beispielsweise Myalgie, Arthralgie, Schmerzen in den Extremitäten, Muskelspasmen, Gelenkschwellungen und Rückenschmerzen als häufige Nebenwirkungen aufgeführt; Nackenschmerzen und Muskelschwäche als gelegentliche und Myopathie, Myositis, Rhabdomyolyse, Muskelruptur sowie Tendopathie als seltene. „Die Patienten müssen aufgefordert werden, Schmerzen, Krämpfe oder Schwäche der Skelettmuskeln umgehend zu berichten, speziell, wenn diese mit allgemeinem Unwohlsein oder Fieber einhergehen“, heißt es zudem beispielsweise unter den Warnhinweisen.
Muskelbeschwerden sind also eine bekannte (und teils gefürchtete) Nebenwirkung von Statinen, aber nicht die einzigen. Häufig können laut Fachinformation zum Beispiel auch eine Hyperglykämie oder auch dyspeptische Beschwerden auftreten. Sogar unter der Rubrik „psychiatrische Erkrankungen“ werden für Atorvastatin Albträume und Schlaflosigkeit als gelegentliche Nebenwirkung aufgeführt. In der Dezember-Ausgabe von „Arzneiverordnung in der Praxis“ (AVP, herausgegeben von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, AkdÄ) heißt es nun, dass neben Albträumen auch Halluzinationen als Nebenwirkung von Atorvastatin in die Fachinformation aufgenommen werden und entsprechende Patientenberichte der AkdÄ gemeldet werden sollten.
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Das Statin-Roulette
So berichtet die AkdÄ beispielsweise über eine 63-jährige Patientin, die nach dreimaliger, gut vertragener Atorvastatin-Einnahme am Abend (20 mg) „am vierten Tag kurz nach der Einnahme optische Halluzinationen ('davon laufende Spinnen') und optische Wahrnehmungsverzerrungen ('Parkettmuster wankt'), die im Wachzustand auftraten“ entwickelte. Zudem habe die Patientin neu aufgetretene Albträume entwickelt. Die Beschwerden sollen nach einigen Stunden abgeklungen sein, nach weiterer erneuter Atorvastatin-Einnahme an den zwei folgenden Tagen aber wieder neu begonnen haben. Atorvastatin wurde schließlich abgesetzt und die Halluzinationen verschwanden.
Halluzinationen könnten vor allem bei Statin-Therapie nach Schlaganfall auftreten
Zusätzlich zu Atorvastatin hatte die Patientin mit der Einnahme von Lercanidipin 10 mg/d sowie ASS 100 mg/d begonnen. Außerdem nahm sie Etoricoxib und Ramipril + HCT ein. Die AkdÄ erklärt außerdem: „Höchstwahrscheinlich relevant für die geschilderte Symptomatik ist eine mutmaßlich erst wenige Tage zurückliegende akute ZNS-Erkrankung, in Form eines Schlaganfalls.“ Eine akute ZNS-Erkrankung sei nicht nur für das Auftreten eines Delirs, sondern auch für andere ZNS-Nebenwirkungen von Arzneimitteln ein Risikofaktor. Und da Statine wie Atorvastatin häufig zur Sekundärprophylaxe nach Schlaganfällen eingesetzt werden, sei die geschilderte Konstellation häufig und relevant. Nach Wechsel auf ein anderes Statin konnte die Behandlung der Hyperlipidämie problemlos fortgesetzt werden, heißt es.
Kein Einzelfall?
Und offenbar ist der Bericht kein Einzelfall. So soll auch in der EudraVigilance-Datenbank bis zum 1. Dezember 2022 unter Atorvastatin-Therapie 169-mal die Nebenwirkung „Halluzination“ berichtet worden sein, 333-mal Albträume. Zum Vergleich wurden Halluzinationen unter Rosuvastatin nur 50-mal und Albträume nur 117-mal gemeldet.
Berücksichtigt werden muss allerdings, dass es sich bei solchen Meldungen immer nur um Verdachtsfälle und keine bestätigten kausalen Zusammenhänge handelt. Außerdem kann von der Zahl der Nebenwirkungen nicht auf die Zahl der betroffenen Patient:innen geschlossen werden. „Grundsätzlich lassen diese Zahlen keine Aussage über die tatsächliche Inzidenz der jeweiligen Nebenwirkung zu“, erklärt der Autor des Textes, Professor Tom Bschor. Schließlich kommt er aber zu dem Schluss, dass der Kausalitätszusammenhang zwischen der Atorvastatin-Einnahme und den Halluzinationen der Patientin im beschriebenen Fall als wahrscheinlich bewertet werden muss, und Halluzinationen deshalb bei Atorvastatin als mögliche Nebenwirkung mit in die Fachinformation aufgenommen werden sollten.
Offenbar ist Bschor mit seiner Hypothese nicht allein: Im MDPI-Journal „pharmaceuticals“ findet sich eine Beobachtungsstudie von Dezember 2022, deren Autor:innen ebenfalls psychiatrische Nebenwirkungen bei Statinen in EudraVigilance unter die Lupe genommen haben – auch sie halten einen Zusammenhang für möglich. In der Diskussion der Studie räumen sie zwar auch ein, dass keine Inzidenz für die psychiatrischen Nebenwirkungen ermittelt werden konnte, doch auch andere Lipidsenker sollen solche statinähnliche Nebenwirkungen haben. Die Senkung des Cholesterinspiegels in der Zellmembran des Gehirns halten sie somit für eine mögliche Erklärung für die Entstehung dieser Art von Nebenwirkungen.
1 Kommentar
Anovastatin
von Ralf am 21.01.2023 um 7:40 Uhr
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