Studie zur Pharmakogenetik

Weniger Nebenwirkungen dank DNA-Medikationspass

Stuttgart - 07.02.2023, 12:15 Uhr

Auch die genetische Ausstattung hat Einfluss auf die Pharmakokinetik und -dynamik. (Foto: Dan Race / Adobe Stock)

Auch die genetische Ausstattung hat Einfluss auf die Pharmakokinetik und -dynamik. (Foto: Dan Race / Adobe Stock)


Langsame, intermediäre, schnelle und sogar ultraschnelle Metabolisierungstypen  – abhängig vom Vorliegen bestimmter Genvarianten werden Wirkstoffe im Körper langsamer oder schneller abgebaut. Dies hat Konsequenzen für den Wirkspiegel und somit auch Einfluss auf das Auftreten von Nebenwirkungen. Forscher:innen der Uni Leiden haben nun im Fachjournal „Lancet“ einen DNA-Medikationspass vorgestellt, der das Auftreten von Nebenwirkungen verringern kann.

Zwei Ziele hatte die Studie der Arbeitsgruppe rund um Professor Henk-Jan Guchelaar und Professor Jesse Swen: Prüfen, ob eine an die jeweiligen Genvarianten der Patient:innen angepasste Therapie das Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen reduziert und untersuchen, ob ein solcher Ansatz auch praxistauglich ist. Beides gelang den Wissenschaftler:innen in der nun im „Lancet“ publizierten Studie.

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Im Zeitraum 2017 bis 2020 wurden hierfür knapp 7.000 erwachsene Teilnehmer:innen in sieben europäischen Ländern rekrutiert. Gemeinsam hatten sie eine Erstverordnung über einen von 39 Wirkstoffen, für die die Niederländische Pharmakogenetik Arbeitsgruppe (Dutch Pharmacogenetics Working Group, DPWG) bei Vorliegen einer relevanten Genvariante eine Therapieanpassung empfiehlt. Dies kann eine Dosisanpassung oder ein Wechsel zu einem anderen Wirkstoff sein. 

Vor Therapiebeginn wurden alle Teilnehmer:innen auf das Vorliegen von 50 Genvarianten bei insgesamt zwölf Genen untersucht. Bei Teilnehmer:innen der Studiengruppe wurden entsprechend die Dosierungen oder der Wirkstoff angepasst, wenn eine Gen-Arzneistoff-Interaktion festgestellt wurde. Teilnehmer:innen der Kontrollgruppe wurden unabhängig vom Gentestergebnis mit der Standardtherapie behandelt. 

Das Resultat: Bei 21,0 Prozent der Patient:innen mit relevanten Genvarianten, die eine angepasste Therapie erhalten hatten, traten in den ersten 12 Behandlungswochen klinisch relevante Nebenwirkungen auf. Patient:innen mit relevanter Genvariante und Standardtherapie hatten in 27,7 Prozent der Fälle in den ersten zwölf Wochen eine klinisch relevante Nebenwirkung. Die Anpassung der Therapie aufgrund der Genvarianten verringerte das Risiko für Nebenwirkungen also um ein Drittel.

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An der multizentrisch konzipierten Studie waren 55 Krankenhäuser, Gesundheitszentren und Apotheken in sieben europäischen Ländern involviert. Eine Vor-Ort-Schulung sowie digital bereitgestelltes Informationsmaterial sorgten dafür, dass die pharmakogenetische Testung an allen Standorten durchgeführt werden konnte. 

Die Testergebnisse wurden nicht nur im weiteren Verlauf der Studie verwendet, sondern den Teilnehmer:innen auch als DNA-Medikationspass zur Verfügung gestellt. Mit diesem zeigten sich die Teilnehmer:innen sehr zufrieden. Nach diesem erfolgreichen Praxistest hoffen die Forscher:innen nun, dass ein solches Verfahren zukünftig in die von den Krankenkassen finanzierte Regelversorgung übernommen wird und somit zur Steigerung der Arzneimitteltherapiesicherheit beiträgt.

Pharmakogenetik in der aktuellen Versorgung

Das Fachgebiet der Pharmakogenetik beschäftigt sich mit Unterschieden bei der Arzneimittelwirkung aufgrund der genetischen Ausstattung verschiedener Patient:innen. Das bekannteste Beispiel sind Polymorphismen (Genvarianten) der CYP-Enzyme, die an der Verstoffwechslung zahlreicher Arzneimittel beteiligt sind. Nebst metabolisierenden Enzymen wie denen aus der CYP-Familie können aber auch bei Transportproteinen wie ABC- oder SLC-Transportern oder bei Arzneimittelzielstrukturen relevante Polymorphismen auftreten. Solche Polymorphismen können in entsprechend ausgestatteten Laboren ermittelt werden. Die meisten dieser Laboruntersuchungen sind Eigenzahlerleistungen, in einigen Fällen zahlt jedoch bereits jetzt die Krankenkasse. Hierzu gehören:

GenWirkstoffErkrankung
CYP2D6EliglustatMorbus Gaucher
CYP2C9SiponimodMultiple Sklerose
DPD (Dihydropyrimidin-Dehydrogenase)Fluorouracil, Capecitabin und TegafurKrebserkrankungen
UGT1A1 (UDP-Glucuronyltransferase)IrinotecanKrebserkrankungen

Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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