Keine Entspannung bei Lieferengpässen

Apothekerin an Lauterbach: „Kommen Sie raus aus Ihrem Elfenbeinturm!“

Berlin - 12.04.2023, 13:45 Uhr

Wenn in der Apotheke die Medikamente fehlen. (Foto: Scheibert)

Wenn in der Apotheke die Medikamente fehlen. (Foto: Scheibert)


Von Entspannung keine Spur: Immer noch fehlen insbesondere Kinderarzneimittel, das wurde am vergangenen Osterwochenende wieder deutlich. Apothekerin Ingrid Schierle macht einen Fall nun öffentlich – und schrieb eine E-Mail an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Die DAZ sprach mit ihr über ihre Beweggründe.

Gerzen ist eine kleine Gemeinde mit knapp 1.800 Einwohnern in Niederbayern und liegt etwa 25 km entfernt von Landshut. Es gibt drei Hausärzte, man kann sich nicht beklagen – noch. Sucht man eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt, muss man sich allerdings bereits ins Auto setzen und in eine der benachbarten Gemeinden fahren.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum Apothekerin Ingrid Schieler noch einen Cefaclor-Saft auf Lager hatte, als nach den Osterfeiertagen der aufgebrachte Vater eines kranken Kindes bei ihr in der Storchenapotheke aufkreuzte: Es war bereits die achte Apotheke, die er aufgesucht hatte, und in der Region gibt es davon nicht eben viele. Die nächste liegt 10 km entfernt, sagt Schierle im Gespräch mit der DAZ. Der Mann hatte also insgesamt schon eine „gute Strecke“ hinter sich.

Das ist kein Einzelfall, Ingrid Schierle kann von weiteren aus den vergangenen Wochen erzählen. Am Dienstag platzte ihr aber die Hutschnur und sie schrieb eine E-Mail an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die auch der DAZ vorliegt: „Bitte hören Sie damit auf, zu behaupten“, heißt es darin, „es gäbe keine Lieferengpässe und die Situation hätte sich entspannt!“

Die Kunden sind wütend

In den sozialen Medien hatten sich die Engpässe über die Feiertage schon angekündigt. Apotheker:innen tauschten sich aus, wo ist was verfügbar? Dieser zusätzliche Aufwand an Vernetzungsarbeit erst machte es beispielsweise möglich, dass der Vater des kranken Kindes seinen Weg in die Storchenapotheke in Gerzen fand. Ingrid Schierle fordert in ihrer E-Mail unter anderem auch deswegen vom Bundesgesundheitsminister: „Sorgen Sie endlich dafür, dass die Lieferketten stabil sind, dass die Apotheken für die Mehrarbeit, die Diskussionen und den Ärger am Patienten angemessen entlohnt werden.“

Der Lieferengpass ist eben kein „abstrakter Begriff“, wie sie im Gespräch sagt. Dahinter verberge sich jedes Mal zum Beispiel ein krankes Kind, das nicht das benötigte Antibiotikum bekomme. Und die Kunden sind wütend. Das bekommen die Apotheken ab. Auch der Vater konnte es kaum fassen, dass anscheinend nirgends das verschriebene Medikament verfügbar war. Dennoch gibt es bei den Kunden ein Bewusstsein, so Schierle, dass die Apotheken keine Schuld an der gegenwärtigen Situation tragen.

Raus aus dem Elfenbeinturm!

Und die ist vor allem im ländlichen Raum problematisch. Darauf kommt Schierle wiederholt zu sprechen. In ihrer E-Mail an Lauterbach fordert sie daher auch mit Nachdruck: „Kommen Sie endlich aus Ihrem Elfenbeinturm raus und zurück auf den Boden der Realität und erlassen Sie Gesetze, die eine medizinische Versorgung vor allem auf dem Land auch in Zukunft sicherstellen!“

Schierle wird konkret, wenn es darum geht, was es braucht, damit sich die Arbeit in den Apotheken wieder lohnt: Honorarerhöhungen und die Aufwandsentschädigung für die Mehrarbeit muss stimmen. „Geben Sie den Apotheken die Beinfreiheit, die sie brauchen, um die Engpässe zu managen, ohne dass sie Gefahr laufen, ein Jahr später darüber eine Retaxation zu erhalten! Vergeuden Sie die vorhandenen Mittel nicht dafür, Parallelstrukturen in Form von Gesundheitskiosken aufzubauen, sondern stärken Sie damit die bestehenden und zuverlässig arbeitenden Strukturen vor Ort!“, heißt es in ihrer E-Mail – verbunden mit der Bitte an den Minister, die Nachrichten, die er zum Thema bekommt, ernst zu nehmen. Denn „lange können wir Apotheken dieses Flickwerk nicht mehr am Laufen halten!“.


Matthias Köhler, DAZ-Redakteur
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Apotheke und Patient verliert

von Alexandra Hebbelmann am 13.04.2023 um 16:22 Uhr

Auch sollte an die Apotheke im Notdienst gedacht werden, die das Antibiotikum nicht vorrätig hat. Erst wird mit dem verschreibenden Arzt telefoniert. Nach langer Zeit bekommt man ihn ans Telefon - oder im schlechten Fall die Sprechstundenhilfe. Dann wird dem Diensthabenden Apotheker erklärt, dass keine Alternativen möglich sind. Der Diensthabende Apotheker versucht nun alles um dem Patienten gerecht zu werden, telefoniert die anderen Notdienst-Apotheken ab. Vielleicht hat Glück und die 4. Apotheke hat es vorrätig. Dann wird der Patient zu der Apotheke geschickt, die es vorrätig hat. Ende vom Lied: Patient im Idealfall glücklich, Apotheker hat keinen Cent an der ganzen Sache verdient - wenn er Glück hat einen Dank des Patienten - obwohl Zeit und Energie investiert.

Und dies passiert nicht nur im Notdienst.

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Lauterbach ist egal, was mit den Kindern passiert

von Rainer W. am 13.04.2023 um 15:24 Uhr

Es gibt praktisch keine Antibiotikasäfte mehr, insbesondere alles was bei Lungenentzündung und Scharlach laut Leitlinie eingesetzt werden kann fehlt seit Monaten.

Es bleibt nur ein Fazit: Lauterbach ist völlig egal, ob und wie viele Kinder mangels adäquater Arzneimittelversorgung sterben.

In den Nachbarländern gibt es die meisten Medikamente noch, es ist also ohne Zweifel ein Problem des deutschen Gesundheitssystems, verursacht durch die deutschen Krankenkassen.

Das hier NICHTS unternommen wird, und andere, leicht zu Lösende Probleme wie die Abgabeerleicherungen liegen bleiben, zeigt nur, dass dem Gesundheitsminister die Versorgung der Kinder völlig egal ist.

Anders lässt sich das nicht mehr erklären.

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Das ist kein Einzelfall

von Kleiner Apotheker am 13.04.2023 um 7:39 Uhr

Genau so sieht es aus
Spätestens ab der 5 Apotheke sind die Kunden frustriert. Ist ja auch nicht lustig, mit kranken Kind herumzufahren um ein Rezept einzulösen. Und man braucht ein Auto und Zeit.

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Probleme teilweise im Dezember

von Dr. Olaf Rose am 12.04.2023 um 18:41 Uhr

Jetzt den Medien gegenüber zu behaupten, dass es "im Dezember teilweise Probleme mit Fiebersäften gab" zeigt jedenfalls das bedauerliche Ausmaß der Ignoranz und macht einen rasend. Seit 6 Monaten gibt es keinen nennenswerten Nachschub mehr. Alles andere ist gelogen. Austausch mit Apothekern statt Talkshowgästen wäre das einfache Rezept zum Erkenntniszuwachs. Ein trauriger Fall.

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