Wirksam werden im Kontakt

Kundengespräche sind mehr als nur Beratung

10.01.2024, 07:00 Uhr

Vertrauen schaffen in der Apotheke – dafür ist nicht nur Fachkompetenz wichtig, es zählen auch ganz andere Eigenschaften. Und einiges lässt sich bei Kolleginnen abschauen und üben. (Foto: ABDA)

Vertrauen schaffen in der Apotheke – dafür ist nicht nur Fachkompetenz wichtig, es zählen auch ganz andere Eigenschaften. Und einiges lässt sich bei Kolleginnen abschauen und üben. (Foto: ABDA)


Für viele Kunden ist eine Apotheke nicht nur eine Abgabestelle für Arzneimittel. Der Kontakt zu den Apothekenmitarbeitern macht sie zu einem geschützten Raum, in dem das Vertrauen herrscht, selbst die heikelsten Themen ansprechen zu können. Es gibt Kollegen, die ein besonderes Händchen dafür haben, Kundenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen. Wie machen sie das?

Mit der Einführung des E-Rezeptes ändern sich die Abläufe in der Apotheke. Die Kunden können leicht von Apotheke zu Apotheke wechseln. Bei Lieferengpässen ist es verständlich, dass jeder versucht sein Medikament irgendwo zu bekommen. Das gleiche Verhalten kann in der Folge an den Tag gelegt werden, wenn das Arzneimittel in der Apotheke nicht vorrätig ist und bestellt werden muss. Die etablierten Maßnahmen zur Sicherung der Arzneimitteltherapie, wie die Kundenkartei, können an Aussagekraft verlieren.

Kundenbeziehung neu denken

Die Arzneimittel sind in jeder Apotheke gleich und selbst die Dienstleistungen im Idealfall durch die Leitlinien vergleichbar. Die persönlichen Beziehungen und die Vertrauensbasis werden dadurch zu wichtigeren Elementen der Kundenbindung und des Empfehlungsmarketing.

Und was ist mit der Fachkompetenz? Wir sind alle Gesundheitsexperten und unsere Fachkompetenz ist eine Grundvoraussetzung im Gespräch mit dem Kunden. Das eine gute Beziehung und Vertrauen im Alltag deutlich gegen Fachkompetenz gewinnt, haben wir alle schon erlebt. Die Freunde oder Familie der Kunden haben unter Umständen gar keine medizinische oder pharmazeutische Ausbildung fungieren aber als Meinungsbildner, weil sie sich in einer Beziehung zu dem Kunden befinden und Vertrauen genießen. In der Apotheke wird häufig der Mitarbeiter um Rat gefragt, den die Kunden seit Jahren kennen. Eine Wahl, die vollkommen unabhängig von fachlichen Spezialisierungen ist.

Talenten auf der Spur

Eine Kundin kommt mit dem Wunsch nach einem Kopfschmerzmittel in die Apotheke. Auf die Frage, ob sie noch weitere Medikamente einnimmt oder andere Erkrankungen hat, reagiert sie schroff: „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“

Eine solche Reaktion kennen wir wohl alle aus unserer Arbeit im Handverkauf. Sie steht stellvertretend für die Situation, in der ein Gespräch in die falsche Richtung läuft und die Kunden eher ungehaltener als zufriedener werden.

Es gibt Kollegen, die schaffen es selbst aus dem schwierigsten Kandidaten alle Information herauszubekommen und ihm ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Wenn man später fragt, wie sie an alle nötigen und zudem an die vielen unnötigen Informationen gekommen sind, sagen sie: „Ich habe einfach gefragt.“ Das allein ist es nicht, wie das obere Beispiel zeigt. Es ist diese vorurteilsfreie Haltung, die mitschwingt und die Kunden offener macht. Sie fühlen sich nicht ausgehorcht, sondern empfinden ehrliches Interesse an ihrer Person.

Für diese Kollegen ist ihr Vorgehen oder besser gesagt ihre Beziehungsintelligenz selbstverständlich. Sie können nicht erklären, wie sie Kunden für sich gewinnen oder begeistern. Wenn Sie so jemanden im Team, im Netzwerk oder der Familie haben, dann haben Sie die Chance selbst zu analysieren, welche Methodik dahintersteckt, und es lohnt sich.

Schauen Sie bei der Analyse auf:

Mimik und Gestik

Welche Mimik und Gestik verwendet der Kollege?

Was wird dadurch ausgedrückt, ohne dass etwas gesagt wird?

Stimme

Wie klingt die Stimme, wo allem in Kundengesprächen die heikel sind?

Hoch, tief, entspannt?

Aussehen

Wie sieht das Gesicht aus? Wirkt es blass, rosig oder rot?

Wie häufig ist ein Lächeln zu sehen?

Wie oft suchen die Augen den Blickkontakt?

Wortwahl und Sprachbilder

Welche Worte werden häufig benutzt?

Welche Sprachbilder kommen vor?

Zwischengespräche

Von welchen Themen handeln die Gespräche im Backoffice-Bereich?

Positive oder negative, fröhlich oder bedrückend?

Vor allem in der Zusammenarbeit mit den Kollegen kann jede dieser Antworten für uns eine Hilfe sein, wieder in eine gelassene Haltung und in einen entspannten Umgang mit dem Kunden zu finden, selbst wenn wir gerade noch auf 180 waren. Vor allem bei einer hohen Kundenfrequenz, bleibt uns relativ wenig Zeit uns wieder einzufangen und neu zu fokussieren, um mit der Aufmerksamkeit ganz beim nächsten Kunden zu sein.

Auch nach Fehlversuchen nicht aufgeben!

Im Dartsport ist die Frequenz zwischen den einzelnen Darts noch höher, die mentale Leistung, die erbracht werden muss, um den Fokus wiederzufinden, sicher vergleichbar. Dartspieler arbeiten häufig mit Mental-Coaches daran, sich nicht vom Gegner oder der eigenen vorangegangenen Minderleistung negativ beeinflussen zu lassen. Ein schlechter Wurf darf emotional die kommenden nicht überschatten, ansonsten sinkt die Chance, das Spiel zu gewinnen. Wenn wir unser Gefühl nach drei unverschämten Kunden nicht in den Griff bekommen, wird es zunehmend schwerer, bei jeder weiteren absurden Anfrage klug zu reagieren.

Genauso, wie sich negative Impulse auf unseren Stresspegel auswirken können, können positive Impulse uns wieder in die Ausgeglichenheit bringen. Wenn wir wissen und in einer Situation wahrnehmen, dass ein Kollege immer unter Stress einen roten Hals bekommt, empfinden wir die Situation vielleicht auch als stressiger. Wenn wir uns emotional an die entspannte Stimme einer Kollegin heften können, werden wir den Kundenstrom entspannter abarbeiten können. Wir sind in der Apotheke im Team unterwegs und beeinflussen uns gegenseitig, wichtig ist mit diesem Wissen bewusst umzugehen und es für sich zu nutzen.

Folgende Voraussetzungen und Fähigkeiten lassen sich häufig bei Kollegen finden, die schnell einen guten Kontakt aufbauen:

Sympathisch sein

Diese Kollegen bringen eine besondere Haltung mit. Sie sind entspannt und mit sich selbst im Reinen. Jeder Kunde ist willkommen – genauso, wie er ist. Ihnen ist klar, dass jeder etwas anderes braucht und dabei ist es gleich, ob es sich um die Kundenzeitschrift, eine intensive Beratung zu Nahrungsergänzungsmitteln oder ein paar persönliche Worte handelt. Freundlichkeit, ein zuvorkommendes Verhalten, Warmherzigkeit und etwas Humor wirken sympathisch. Es gibt oft eine Kleinigkeit, die ein Schmunzeln wert ist. Die Tüte, die zu klein ist, die Wundcreme, die dem Kunden gerade vorm Bezahlen noch einfällt und vieles ist natürlich situativ, aber darf genutzt werden.

Die eigenen Macken kennen

Diese Kollegen bügeln mit gekonnter Kommunikation kleine Missverständnisse aus. Fehler kommunizieren sie ehrlich und offen auch dem Kunden gegenüber, denn Transparenz schafft Vertrauen. Besonders die eigenen Schwächen und Macken können sie mit Humor nehmen, was nicht selten für charmante Lacher im HV sorgt. Sie sind nicht immer perfekt, aber auf jeden Fall menschlich und können über sich selbst lachen. Empathisch beim Kunden zu sein, mitzufühlen und diese Gefühle zu zeigen, macht den Unterschied und die Kollegen nahbar.

Mehr als andere hören

Sich dafür zu interessieren, was die Kunden umtreibt und ihnen wirklich zuzuhören, ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um Vertrauen zu fördern und in Kontakt zu kommen. Alleine aus Standard-Fragen, wer welche Beschwerden hat und wie lange schon, erfährt der Kollege nicht nur zum Beispiel den Namen des Anwenders, das Blutdruckmedikament und den Hang zu Kopfschmerzen. Der Kollege im guten Kontakt zum Kunden, weiß zudem, dass es in dieser Familie zwei Kinder im Alter von sechs Monaten und zwei Jahren gibt, was alles bis zu diesem Zeitpunkt schon an Hausmitteln ausprobiert wurde und viel, viel mehr. Will man das alles wissen? Nicht unbedingt. Hilft es bei der sicheren Versorgung des Kunden und der Familie? Auf jeden Fall. Baut der Kollege damit eine Beziehung zum Kunden auf? Ja. Kommt der Kunde wieder in die Apotheke, wo er sich als Mensch wahrgenommen und angenommen fühlt, wo es zu den Problemen die passenden Lösungen gibt? Ja.

Besondere Kunden, besondere Challenge

Es gibt Kunden, die es einem wirklich nicht einfach machen, die Nörgler, die Meckerer und die extrem fordernden Kunden. Sie bekommen im Apothekenalltag durch das „Darüber-Aufregen“ und die emotionalen Gespräche im Backoffice meist viel mehr Aufmerksamkeit, als ihnen zusteht. Kollegen mit einer hohen Beziehungsintelligenz machen aus besonderen Kunden eine Challenge und bauen mit den genannten Fähigkeiten Vertrauen auf. Vertrauen hilft in schwierigen Momenten, weniger Diskussionen, eine bessere Compliance und ehrliche Rückmeldungen zur Anwendung von Medikamenten zu bekommen. Sie schaffen sich einen positiven Ruf und viele Menschen werden ihnen gegenüber deutlich kompromissbereiter sein.

 

Aus dem Coaching für den HV

Im Coaching hat der Kontakt zwischen Coach und Coachee einen ganz besonderen Stellenwert. Diese aufmerksame Verbindung zwischen beiden muss gegeben sein, damit alle Interventionen von Seiten des Coaches genutzt werden können und der Coachee ein echtes Gegenüber für sein Anliegen hat.

Mechthild Erpenbeck beschreibt in ihrem Buch „Wirksam werden im Kontakt. Die systemische Haltung im Coaching“ einen hilfreichen Dreiklang, um in diesen Kontakt einzusteigen.

Punkt 1: Zuhören

Zuhören ist die Grundvoraussetzung. Wir werden nie im guten Kontakt mit dem Gegenüber sein, wenn auf unserer inneren Bühne gerade Gedanken oder Sorgen toben, die mit dem Kunden nichts zu tun haben. Die sprachlichen Reaktionen werden meist gut gesteuert und angepasst, aber die körperlichen Reaktionen verraten einen und werden vom Kunden wahrgenommen. 

Punkt 2: Staunen

Das, was wir hören, dürfen wir einfach staunend hinnehmen und brauchen es nicht direkt zu bewerten. Ein Staunen, das dem eines Kindes gleichkommt, das das Neue und Fremde in sich aufnimmt. Wie oft habe ich mich selbst dabei ertappt, dass ein Kunde mit einem Präparatewunsch in die Apotheke kam und ich dachte: „Quatsch, habe ich noch nie gehört. Das gibt es nicht.“ Die Suchmaschine meiner Wahl hat mich in sehr, sehr vielen Fällen eines Besseren belehrt. Ich suche jetzt immer zuerst online, bevor ich frage: „Sind sie sich sicher, dass das so heißt?“

Punkt 3: Schweigen

Wenn ein Kunde in die Apotheke kommt und nicht mehr weiß, was er eigentlich wollte, kann es hilfreich sein, ihm zu sagen, dass er in Ruhe nachdenken kann und dann zu schweigen. Die üblichen Fragen, die an dieser Stelle gerne gestellt werden, wie: „Wogegen sollte es denn sein? War es für Sie?“ verhindern, dass der Kunde seinen eigenen Gedanken zuhören kann. Zugewandt warten, was passiert, ist in solchen und anderen Situationen eine echte Option, die Ergebnisse bringt.

Fazit

Der Kontakt zu dem Menschen hinter dem HV bringt den Mehrwert. Die Kunden schätzen die persönliche Beziehung. Das Unternehmen wird durch die Unwägbarkeiten, mit der jede Apotheke zu kämpfen hat, wie Lieferengpässe, nicht so schwer getroffen. Änderungen, wie die Einführung des E-Rezeptes oder Austausche wegen Rabattverträgen nehmen im Vergleich weniger Zeit in Kundengespräch in Anspruch, weil eine Vertrauensbasis vorhanden ist. Guter Kontakt ist nichts, was Zeit kostet, sondern schnellere Lösungen bringt, weil kommunikative Umwege vermieden werden.

Literatur:

Erpenbeck, Mechtild: Wirksam werden im Kontakt. Die systemische Haltung im Coaching. Heidelberg, Carl-Auer, 3.Auflage, 2020.

Gross, Stefan F.: BeziehungsIntelligenz. Wie Sie im Berufsleben Freunde und Verbündete gewinnen. München, Redline Verlag, 2010.

Keck, Anja: AZ 52-53/2020 „Die Kunst des Zuhörens“


Anja Keck, Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin


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