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Während aus Studien zur Verträglichkeit von cannabinoiden Arzneimitteln (CAM) immer wieder von Konzentrationsproblemen, kognitiven Einbußen und Psychosen berichtet wird [Halman 2024], finden sich auch spannende Berichte über Tetrahydrocannabinol (THC) als Jungbrunnen mit Anti-Aging-Effekten, Verbesserung der Kognition und Beschleunigung operationaler Hirnleistungen. Was ist dran am „THC-Hirndoping“?
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist eines der wichtigsten Regulationssysteme für unsere psychovegetative Homöostase, es war in der DAZ vor Kurzem Gegenstand einer ausführlichen Übersichtsarbeit [Herdegen 2024]. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass das Endocannabinoid-System Alterungsprozessen entgegensteuert [Di Marzo 2015]. Umgekehrt nimmt in Tierversuchen mit zunehmendem Alter die Expression des CB1-Rezeptors sowie des Endocannabinoids 2-AG (2-Arachidonoylglycerol) ab, dies betrifft die Expression des CB1-Rezeptors und anderer Proteine des ECS sowie deren posttranslationale enzymatische Aktivitäten [Di Marzo 2015]. Von besonderem Interesse sind Tierversuche mit CB1-Rezeptor-Knockout-Mäusen, die im Alter wesentlich schlechter in der Lage sind, kognitive Aufgaben zu lösen, im Vergleich zu den genetisch unveränderten Kontrollen [Albayram 2012]. Jedoch gab es bis vor einiger Zeit keine Hinweise auf einen direkten Zusammenhang zwischen einem dysfunktionalem Endocannabinoid-System und Alterungsprozessen.
2017 erschien im renommierten Journal „Nature Medicine“ eine Publikation der Bonner Arbeitsgruppe um Prof. Andreas Zimmer (in Zusammenarbeit mit der Hebrew Universität in Jerusalem, Israel) über genetische, neurochemische und neurophysiologische Veränderungen, die niedrig dosiertes Tetrahydrocannabinol bei 12 bzw. 18 Monate alten Mäusen auslöste [Bilkei-Gorzo 2017]. Die in sich konsistenten Ergebnisse zeigten ein vielfältiges spannendes Wirkprofil von THC:
- THC macht die altersabhängige Abnahme von kognitiven Prozessen rückgängig (Abb. 1).
- Diese kognitive Verbesserung ging einher mit einer erhöhten Dichte von synaptic spines, dem morphologischen Korrelat für synaptische Leistung, sowie mit einer vermehrten Expression von synaptischen Markerproteinen.
- Im Hippocampus ändert sich das genetische Transkriptionsmuster bei den älteren Tieren, das nun demjenigen von zwei Monate „jungen“ THC-freien Mäusen ähnelt.
- Diese Veränderungen waren CB1-Rezeptor-vermittelt und an Histon-Acetylierung gebunden.
Die entscheidende Schlussfolgerung der Autoren lautete: die Wiederherstellung der CB1-Aktivität in alten Tieren respektive Menschen könnte eine wirksame Strategie sein, um altersabhängige Einschränkungen der Kognition zu behandeln.
Die gleiche Arbeitsgruppe zeigte nun vor wenigen Wochen in einer neuen Publikation, dass die neurophysiologischen Wirkungen von THC auch den mTOR-Signalweg betreffen [Bilkei-Gorzo 2024]. So stimuliert niedrig dosiertes THC auch die Aktivität des mTOR-Signalweges im Gehirn, gefolgt von einer erhöhten Synthese von synaptischen Proteinen. Die zweite wichtige Beobachtung war die Veränderung des peripheren Energiestoffwechsel, wobei THC den mTOR-Stoffwechsel vermindert, was mit (anti-diabetogenen) anti-aging Effekten in Verbindung gebracht werden kann.
Was sagen klinische Studien?
Eine erste Richtung geben die Ergebnisse aus dem PraxisRegister Schmerz der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e. V., [Überall 2019, 2022]. Hier ergab sich kein Unterschied in den kognitiven und nicht-kognitiven Nebenwirkungen von THC bei den über 65-Jährigen verglichen mit den jüngeren Patienten; jedoch benötigten die Älteren ein Viertel weniger THC für die gleiche therapeutische Effektivität.
In Dänemark wurde in einer kleinen Gruppe von sechs palliativen Krebspatienten der Einfluss von Tetrahydrocannabinol auch auf die kognitiven Funktionen untersucht [Buchwald 2023]. THC/Dronabinol wurde wie üblich langsam aufdosiert, die Enddosis betrug 12,5 mg Dronabinol. Unter dieser THC-Therapie verbesserten sich nicht nur Schmerz, depressive Symptome und Lebensqualität, sondern auch die Opioid-assoziierten Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Schwindel. Für das vorliegende Thema besonders relevant waren die Verbesserung des Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisses, die Beschleunigung des Denkvermögens und eine Verbesserung des logischen Denkens. Die Autoren ziehen dabei in Erwägung, dass die Reduktion der neuropsychiatrischen Begleitmedikation oder die besonders hohe Erwartungshaltung an Cannabis für die beobachteten kognitiven Effekte verantwortlich sein könnten. Weitere klinische Studien mit einem Fokus auf kognitive Funktionen zeigten zum einen, dass sich unter der Langzeitanwendung von THC bei Krebspatienten die Kognition zumindest nicht verschlechterte [Bar-Sela 2019], oder zum anderen, dass sich sogar entgegen der Hypothese in einigen neuropsychologischen Tests die Ergebnisse verbesserten verglichen mit Patienten, die Medizinalcannabis nutzten [Olla 2021].
Das Alter als Resilienzgröße?
Die Versuche an CB1-Rezeptor-Knockout-Mäusen [Bilkei-Gorzo 2017] zeigen, dass die kognitive Performance im Alter im Vergleich zu jungen Jahren unter niedrig dosiertem THC besser wird. Wir haben es also wahrscheinlich nicht mit einem absoluten Effekt des THC zu tun, wobei neben der Dosis das Alter eine wichtige Rolle zu spielen scheint.
Dies zeigt eine Vergleichsstudie von je zwölf jungen und älteren Probanden (18 bis 20 Jahre vs. 30 bis 40 Jahre) [Murray 2022]. Bei mehreren kognitiven Versuchsanordnungen wurden die jüngeren Probanden mit zunehmender THC-Dosis signifikant kognitiv blockiert, während sich bei den Erwachsenen unter THC die kognitiven Reaktionen nicht änderten (Abb. 2).
Fazit und kognitiver Ausblick
Die tierexperimentellen Daten [Bilkei-Gorzo 2017] unterstützen unsere Vorstellung über die Bedeutung des Endocannabinoid-Systems für die Entwicklung und darüber, dass das Alter mit einem Nachlassen der Funktionen des ECS einhergeht. Metaanalysen zeigen nicht nur Verschlechterungen, sondern auch Verbesserungen kognitiver Funktionen [Wieghorst 2022].
Die Möglichkeit, mittels cannabinoider Arzneimittel nicht nur ein dysfunktionales minderfunktionierendes ECS zu substituieren, sondern eventuell sogar kognitive Funktionen zu verbessern, ist eine wichtige stimulierende Aussicht. Denn fast alle Neuropsychopharmaka können mit kognitiven Störungen als Nebenwirkung einhergehen. Die mögliche Verbesserung der Kognition erfordert einen sorgfältigen Umgang mit cannabinoiden Arzneimitteln, das heißt langsames Einschleichen und Titrieren der Dosis gegen Wirkungen und Nebenwirkungen [Herdegen 2023].
Mögliche Kognitionsverbesserungen im Zusammenhang mit einer THC-induzierten Neuroplastizität können initial durch Schwindel und Sedierung überdeckt werden und vielleicht erst nach einiger Zeit während der therapeutischen Besserung evident werden. Es lohnt sich in jedem Fall, auf diesen positiven Effekt von THC und cannabinoiden Arzneimitteln zu achten. Zumal große Hoffnungen in die therapeutische Potenz von THC/CAM bei Demenz gesetzt werden [Bianchi 2023]. |
Literatur
Albayram O, Bilkei-Gorzó A, Zimmer A. Loss of CB1 receptors leads to differential age-related changes in reward-driven learning and memory. Front Aging Neurosci 2012;4:34, PubMed: 23227007
Bar-Sela G, Tauber D, Mitnik I, Sheinman-Yuffe H, Bishara-Frolova T, Aharon-Peretz J. Cannabis-related cognitive impairment: a prospective evaluation of possible influences on patients with cancer during chemotherapy treatment as a pilot study. Anticancer Drugs 2019;30(1):91-97
Bianchi F, Pautex S, Wampfler J, Curtin F, Daali Y, Desmeules JA, Broers B. Medical cannabinoids for painful symptoms in patients with severe dementia: a randomized, double-blind cross-over placebo-controlled trial protocol. Front Pain Res (Lausanne) 2023;4:1108832, doi: 10.3389/fpain.2023.1108832, PMID: 37293434
Bilkei-Gorzo A, Albayram O, Draffehn A, Michel K, Piyanova A, Oppenheimer H, Dvir-Ginzberg M, Rácz I, Ulas T, Imbeault S, Bab I, Schultze JL, Zimmer A. A chronic low dose of Δ9-tetrahydrocannabinol (THC) restores cognitive function in old mice. Nat Med 2017;23(6):782-787
Bilkei-Gorzo A, Schurmann B, Schneider M, Kraemer M, Nidadavolu P, Beins EC, Müller CE, Dvir-Ginzberg M, Zimmer A. Bidirectional Effect of Long-Term Δ9-Tetrahydrocannabinol Treatment on mTOR Activity and Metabolome. ACS Pharmacol Transl Sci 2024;7(9):2637-2649
Buchwald D, Schmidt C, Buchwald D, Winter KI, Nielsen IB, Klostergaard K, Melgaard D, Fagerberg SK, Leutscher PDC. Impact of Low-Dose Dronabinol Therapy on Cognitive Function in Cancer Patients Receiving Palliative Care: A Case-Series Intervention Study. Palliat Med Rep 2023;4(1):326-333
Di Marzo V, Stella N, Zimmer A. Endocannabinoid signalling and the deteriorating brain. Nat Rev Neurosci 2015;16(1):30-42
Halman A, Chenhall R, Perkins D. Changes in Pain and Mental Health Symptoms Associated with Prescribed Medicinal Cannabis Use: A One-Year Longitudinal Study. J Pain Palliat Care Pharmacother 2024;21:1-13, PMID: 39432717
Herdegen T, Cascorbi I. Drug Interactions of Tetrahydrocannabinol and Cannabidiol in Cannabinoid Drugs. Dtsch Arztebl Int 2023;120(49):833-840
Herdegen T. Pharmako-endogen! Endocannabinoide. DAZ 2024;5:44-54
Murray CH, Huang Z, Lee R, de Wit H. Adolescents are more sensitive than adults to acute behavioral and cognitive effects of THC. Neuropsychopharmacology 2022;47(7):1331-1338
Überall MA, Müller-Schwefe GHH, Horlemann J. Efficacy and tolerability of the antispasmodic, pridinol, in patients with muscle-pain - results of primepain, a retrospective analysis of open-label real-world data provided by the German pain E-registry. Curr Med Res Opin 2022;38(7):1203-1217
Wieghorst A, Roessler KK, Hendricks O, Andersen TE. The effect of medical cannabis on cognitive functions: a systematic review. Syst Rev 2022;11(1):210, PMID: 36192811
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