Medikationsanalyse als Aufgabe von Apothekern

KHK-Patienten interdisziplinär versorgen

22.11.2024, 09:15 Uhr

Von einem interdisziplinären Team profitieren Patientinnen und Patienten. (Foto: joyfotoliakid/AdobeStock)

Von einem interdisziplinären Team profitieren Patientinnen und Patienten. (Foto: joyfotoliakid/AdobeStock)


In der aktualisierten Nationalen Versorgungsleitlinie zur koronaren Herzerkrankung rücken Patienten mehr in den Mittelpunkt der Therapie. Sie sollen in die Therapieentscheidungen mit eingebunden werden, um eine gute Adhärenz zu erreichen. Apotheker können im interdisziplinären Team z. B. mit einer Medikationsanalyse zum Wohle des Patienten beitragen. Auch Apotheker haben an der Leit­linie mitgewirkt (s. Interview mit Priv.-Doz. Dr. Olaf Rose).

Obwohl die Prävalenz der chronischen koronaren Herzerkrankung (KHK) in den letzten zehn Jahren tendenziell rückläufig ist, geht sie weiterhin mit einer hohen Mortalität einher. In der aktualisierten Nationalen Versorgungsleitlinie rückt die Mitbestimmung der Patienten mehr in den Fokus. Eine bedeutsame Neuerung der Leitlinie ist die gemeinsame Entscheidungsfindung für eine geeignete Therapie mit dem Patienten zusammen. Die Kommunikation soll patienten­zentrierter erfolgen und der Patient in einem interdisziplinären Team eingebunden werden. Gemeinsam sollen dann Therapieziele definiert und die Schritte zum Erreichen der Ziele vereinbart werden. Als besonderes Problem wird eine mangelnde Therapie­adhärenz benannt. Diese ist nicht nur bei der Umsetzung von Lebensstil­änderungen wie Tabakentwöhnung ein Problem, sondern auch bei der medikamentösen Therapie. Hier werden in der Leitlinie Apothekerinnen und Apotheker als Teil des interdisziplinären Teams genannt.

Thrombozytenaggregation: dauerhaft Monotherapie 

Die Pharmakotherapie der KHK verändert sich nicht grundlegend, aber es gibt einige neue Aspekte, die gerade auch für die Apotheken besonders relevant sind.

Patienten mit stabiler KHK sollen 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS) oder 75 mg Clopidogrel pro Tag erhalten. Nach einer Koronarintervention (z. B. Stent-Implantation) ist eine Kombinationstherapie mit zwei Thrombozytenaggregationshemmern aus 100 mg ASS und 75 mg Clopidogrel pro Tag angezeigt. Die Kombinationstherapie sollte als Standardtherapie sechs Monate durchgeführt werden. Danach kann auf eine ASS-Monotherapie umgestellt werden. Wenn ASS nicht vertragen wird, kann alternativ 75 mg Clopidogrel als Monotherapie gegeben werden. Für ASS sprechen die geringeren Kosten, für Clopidogrel eine geringfügig bessere Wirkung.

Bei der oralen Antikoagulation gilt es, das Blutungsrisiko gegenüber der Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse abzuwägen. Nur bei einem sehr hohen ischämischen Risiko ist eine Tripeltherapie (orale Antikoagu­lation plus zwei Thrombozytenaggregationshemmer) für möglichst kurze Zeit indiziert.

Nicht ohne Statin

Allen Patienten mit chronischer KHK wird unabhängig von den Ausgangs-Lipidwerten zwingend ein Statin empfohlen. Während die Fachgesellschaften DEGAM und AkdÄ in Abhängigkeit vom kardialen Gesamtrisiko eine feste Statin-Dosis empfehlen, wird von den anderen Fachgesellschaften die Zielwertstrategie angeraten. Hierbei wird als Zielwert ein Blutwert für Low Density Lipoprotein (LDL-)Cholesterol von < 55 mg/dl (< 1,4 mmol/l) oder eine mindestens 50%ige Reduktion bei Ausgangswerten von 70 bis 135 mg/dl angestrebt. Dass sich die Fachgesellschaften nicht einigen konnten, bietet für einen Patienten die Chance, zwischen den beiden Therapieregimen zu wählen.

Als Mittel erster Wahl sollen Statine eingesetzt werden. Insbesondere bei der Zielwertstrategie ist bei einigen Patienten zusätzlich zum Statin Ezetimib notwendig, um den vereinbarten Zielwert zu erreichen.

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Bempedoinsäure wird hingegen nur als Option genannt, wenn eine Statin-Intoleranz vorliegt. Die Evidenzlage für Bempedoinsäure war der Leitliniengruppe insbesondere in der Langzeittherapie für eine Empfehlung nicht hinreichend genug. Dies ist der schwächeren Wirkung der Bempedoinsäure geschuldet. Zudem fehlen Langzeit­daten. Erreichen Patienten auch unter maximaler Statin-Dosis plus Ezetimib ihren Zielwert nicht, kann ein Proteinkonvertase-Subtilisin/Kexin-Typ 9(PCSK-9)-Hemmer angeboten werden. Die Serinprotease PCSK-9 bindet normalerweise an LDL-Rezeptoren von Hepatozyten und fördert den Abbau der LDL-Rezeptoren. Bislang sind als PCSK-9-Hemmer nur monoklonale Antikörper zugelassen, welche sub­kutan injiziert werden müssen.

Simvastatin 80 mg obsolet

Neu bei den Empfehlungen zur Statin-Therapie ist, dass Simvastatin nicht mehr in einer Dosierung von 80 mg eingesetzt werden soll. Diese hohe Dosierung ist in der Versorgungspraxis nicht mehr üblich, da Nebenwirkungen bei 80 mg Simvastatin die Therapietreue negativ beeinflussen. Bei der Auswahl eines geeigneten Statins in passender Dosierung sollten stets die weiteren Arzneimittel des Patienten berücksichtigt werden. Aufgrund der Metabolisierung über Cytochrom P-450 3A4 darf beispielsweise Simva­statin maximal mit 20 mg zugleich mit Amlodipin gegeben werden. Sinnvoller kann es sein, auf ein Statin zu wechseln, das nicht mit Amlodipin interagiert. Insgesamt sollen hauptsächlich Atorvastatin und Rosuvastatin eingesetzt werden. Die Rolle anderer Statine ist auf eine moderate LDL-Cholesterol-Senkung begrenzt. Generell sollte bei Nebenwirkungen unter Statinen eine niedrigere Statin-Dosis oder ein anderes Statin gewählt werden. Bestehen die Unverträglichkeiten weiterhin, kann ein individuelles Therapieregime zur Senkung der LDL-Werte gewählt werden. Hierbei kommen als Therapieoptionen Ezetimib, PCSK-9-Hemmer und Bempedoinsäure infrage.

Marburger Herz-Score

Folgende Kriterien werden mit je einem Punkt bewertet:

  • Geschlecht und Alter (Männer ≥ 55 Jahre, Frauen ≥ 65 Jahre)
  • bekannte vaskuläre Erkrankung
  • Beschwerden sind belastungsabhängig
  • Schmerzen sind durch Palpation nicht reproduzierbar
  • der Patient vermutet, dass der Schmerz vom Herz kommt

Bei Werten zwischen 0 und 2 beträgt das Risiko für eine kardiale Ursache weniger als 2,5%. Ab 3 sollte bei entsprechender klinischer Beur­teilung eine weiterführende kardiale Diagnostik eingeleitet werden.

Keine Supplemente empfohlen

Besonders relevant für die Arbeit in der Apotheke ist zudem, dass bestätigt wurde, dass Patienten mit chronischer KHK keine alternativen Therapien angeboten werden sollen. Hierzu zählen beispielsweise Omega-3-Fettsäure­präparate, für die kein Nutzen belegt wurde. Da die Einnahme zusätzlicher Supplemente die Therapieadhärenz gefährden kann, wird von den Leitlinienautoren vom Gebrauch von Supplementen explizit abgeraten.

Die Versorgung der Patienten soll hausarztzentriert erfolgen. Gleichzeitig ist neu, dass allen Betroffenen die Teilnahme an einem Disease-Management-Programm KHK angeboten werden soll. In das interdisziplinäre Betreuungsteam des Patienten sollten bei Bedarf Fachkräfte aus folgenden Disziplinen eingebunden werden: Endokrinologie, Diabetologie, Nephrologie, Psychosomatik/Psychotherapie, Sportmedizin/Physiotherapie, Pflege und weitere – hier werden auch Apothekerinnen und Apotheker genannt. Die Aufgabe der Apotheker wird vor allem in der Lösung komplexer Fragestellungen bei Polypharmazie und Multimorbidität gesehen.

Wie Brustschmerzen deuten?

Die KHK ist durch eine Atherosklerose der Herzkranzgefäße gekennzeichnet. In der Folge tritt ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf am Herzen auf, was sich häufig durch ein Gefühl der Herzenge (Angina pectoris) äußert.

Bei Patienten, die mit dem Symptom „Brustschmerz“ in der Hausarztpraxis erscheinen, liegt in 8 bis 11% der Fälle eine chronische KHK vor, bei unklaren Brustschmerzen ist die Ursache nur in 20 bei 25% der Fälle kardial. So spricht z. B. ein stechender Schmerz in der Brust sowie Husten bei einem 45-jährigen Patienten eher gegen eine kardiale Ursache. Bei einem Diabetes-Patienten über 60 mit Druckgefühl in der Brust, das durch Belastung wie Treppensteigen schlimmer wird, ist hingegen eine weiterführende kardiale Diagnostik angezeigt. So ist eine wesentliche Neuerung der Diagnostik beim Symptom Brustschmerz das Prinzip „nicht-invasiv vor invasiv“. Es wird empfohlen, vor allem die Patienten zu untersuchen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit profitieren und bei denen Befunde klinische Konsequenzen ergeben. Dabei sollen Hausärzte in der Anamnese mögliche andere Ursachen für den Brustschmerz abklären. Hierzu zählen:

  • gastrointestinale (Reflux, Ulkus, Gastritis, Cholecystitis),
  • orthopädische (Halswirbelsäule-Brustwirbelsäule-Syndrom, Intercostalneuralgien)
  • und psychische Erkrankungen.

Neu ist auch, dass von einer (weiteren) Diagnostik einer stabilen KHK abgeraten wird, wenn die Ergebnisse aus dem Marburger Herz-Score (s. Kasten) und die klinische Einschätzung des Hausarztes die Wahrscheinlichkeit einer KHK als gering einschätzen. So werden Ressourcen im Gesundheitswesen für diejenigen eingesetzt, die von einer weiteren Diagnostik profitieren.

Literatur

Nationale Versorgungsleitlinie Chronische KHK der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Langfassung, Version 7.0. 2024, Registernummer nvl - 004

INTERVIEW

Mehr Daten zu Interventionen in Apotheken dringend notwendig

Priv.-Doz. Dr. Olaf Rose, Apotheker am Institut für Pharmazie/klinische Pharmazie an der Paracelsus Medizinischen Universität, hat bei der Erstellung der Nationalen Versorgungsleitlinie zur koronaren Herzerkrankung mitgewirkt. Im Interview mit der DAZ spricht er über die Rolle der Apotheken in der Leitlinie.

DAZ: Die Nationale Versorgungsleitlinie chronische KHK wurde aktualisiert. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Neuerungen?

Rose: Was die Pharmakotherapie betrifft, so wurde in der Leitliniengruppe besonders intensiv um die Plättchentherapie und die Lipidsenkung gerungen. Bei der LDL-Cholesterol-Senkung gibt es international die beiden Ansätze der Senkung auf < 55 mg/dl (treat-to-target, European Society of Cardiology) versus einer festen Dosierung (fire and forget, American College of Cardiology/American Heart Association). Für die feste Dosierung sprechen Evidenz und geringerer Aufwand/­geringere Kosten. Die Zielwertstrategie ist hingegen genauer. Da man sich nicht auf einen Ansatz einigen konnte, wurden beide Wege in die Leitlinie aufgenommen, so dass man den für sich gangbarsten Weg wählen kann. Das ist eigentlich auch sehr schön und praktikabel, es ermöglicht Freiräume in der partizipativen Entscheidungsfindung. Es wurden dann natürlich die neuen Ansätze Bempedoinsäure und PCSK-9-Hemmer aufgenommen bzw. überarbeitet.

DAZ: Apothekerinnen und Apotheker werden nur einmal in der Leit­linie erwähnt. Was sind Gründe dafür, dass sie nicht mehr Berücksichtigung gefunden haben?

Rose: Es handelt sich nicht um eine vollkommen neue Leitlinie, sondern es wurden von der Leitliniengruppe nur bestimmte Kapitel der vorherigen Leitlinie in unterschiedlicher Intensität überarbeitet. Es ergab sich leider keine Gelegenheit, die Apothekerschaft umfassender einzubringen. Dennoch bestand Konsensus für die Formulierung „dass die Einbindung von Apothekerinnen und Apothekern erfolgen soll, wenn aus Multimorbidität und Polypharmazie komplexe Fragestellungen resultieren“. Hieran bestand kein Zweifel, und damit ist eigentlich ja auch schon alles gesagt. Tatsächlich fehlt es abseits vom Medikationsmanagement an spezifischen Ansätzen, wie die Apothekerschaft sich beim Thema KHK dezidiert mit Leistungen einbringen möchte, so dass auch die Argumente und die Daten fehlten, um das Fass neu aufzumachen. Die standardisierte Blutdruckmessung wird ja in der Leitlinie Hypertonie aufgegriffen. Natürlich gibt es zahlreiche Interventionen, für die sich die Apotheke anbieten würde. Hier ist weitere Forschung also dringend angezeigt, um in Zukunft Konzepte unter Beteiligung der Apotheke anbieten zu können.

DAZ: Was erscheint bei der pharmazeutischen Betreuung von KHK-Patienten besonders wichtig?

Rose: Zunächst einmal sollte die Standard-Pharmakotherapie überprüft werden. Diese besteht ja mindestens aus einem oder mehreren antianginösen Wirkstoffen (Betablocker, Nicht-Dihydropyridin-Calciumkanalblocker, gegebenenfalls Nitrat), einer Thrombozytenaggregationshemmung und einer Lipidsenkung. Als Bedarfsmedikation soll bei Angina-pectoris-Beschwerden ein Nitrospray vorhanden sein. Besonders interessant ist dann wieder die lipidsenkende Therapie. Aufgrund der häufigen negativen Vorurteile gegenüber Statinen bietet die Leitlinie jetzt auch Strategien, um die Adhärenz zu verbessern. Hier ist ein Auslass­versuch möglich, um Änderungen bei den oft vermeintlichen Muskelbeschwerden zu prüfen, dann das Ausloten der maximal tolerierten Statin-Dosierung, gegebenenfalls in Kombination mit Ezetimib, dann die Kombination Bempedoinsäure/Ezetimib. Die Patienten in den LDL-Zielbereich zu bringen, dürfte in vielen Fällen also die wichtigste Tätigkeit in der pharmazeutischen Betreuung von KHK-Patienten sein, und man sollte den Patienten engmaschig begleiten, damit es nicht zum Abbruch der Therapie kommt. Darüber hinaus ist aufgrund der Polymedikation ein Medikationsmanagement immer sinnvoll, schon um Fehler in Pharmakotherapie, Versorgung und Anwendung auszuschließen.

DAZ: Herr Rose, vielen Dank!

Apotheker Priv.-Doz. Dr. Olaf Rose

Dr. Karin Schmiedel, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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