Zum 100. Todestag eines Frankfurter Unternehmers

Karl Engelhard – mehr als ein Produktentwickler

27.12.2024, 17:50 Uhr

Dialon und Isla Moos gehören zu den bekanntesten Produkten vom Engelhard. (Foto: Engelhard)

Dialon und Isla Moos gehören zu den bekanntesten Produkten vom Engelhard. (Foto: Engelhard)


Am 27. Dezember 1924 verstarb in Frankfurt am Main der Apotheker Karl Philipp Engelhard (1836 – 1924), der 1872 die „Fabrik pharmazeutischer Präparate Karl Engelhard“ gegründet hat. Anlässlich seines 100. Todestages hat Pharmaziehistoriker Professor Christoph Friedrich die Geschichte des umtriebigen Apothekers aufgeschrieben.   . 

Geboren wurde er am 21. Oktober 1836 in Frankfurt am Main als Sohn des Apothekers Georg Heinrich Engelhard [1], dem am 9. Mai 1826 die „Konzession zur Errichtung einer neuen Apotheke in der Gegend des Roßmarktes, der Allee und Bockenheimer Straße bis zum Eck des Hirschgrabens“ in Frankfurt a. M. für die Summe von 3000 Gulden erteilt worden war. Der Beruf von Karl Philipp Engelhard war angesichts der gut florierenden Apotheke vorgezeichnet und er begann in seiner Vaterstadt die Apothekerlehrzeit [2]. Danach arbei­tete er zweieinhalb Jahre als Gehilfe, bis er 1857/58 zum Studium nach München ging, wo er bei Justus Liebig (1803 – 1873) Pharmazie studierte [3]. Liebig hatte bereits in Gießen eine wissenschaftliche Schule begründet und widmete sich mit großem Engagement der Ausbildung von Apothekern. 

Foto: C. Friedrich
Abb. 1: Porträt des Apothekers Karl Engelhard

Seit 1852 setzte er in München seine Tätigkeit als Hochschullehrer fort, wo er sich vor allem der Aus­bildung fortgeschrittener Studenten annahm. Man kann davon ausgehen, dass Karl Engelhard bei Liebig und dessen Mitarbeitern eine vorzügliche chemische und analytische Ausbildung erhielt, die ihn bestens für seine spätere Tätigkeit als Fabrikant befähigte. Neben Liebig war vor allem der Apotheker Ludwig Andreas Buchner (1813 – 1897), Sohn des bekanntesten Trommdorff-Schülers und Pharmazie-Professors Johann Andreas Buchner (1783 – 1852), sein Lehrer [4]. Der „Comission für die pharmaceutische Approbationsprüfung“ gehörten ferner der Professor der Mineralogie Franz von Kobell (1803 – 1882), der Zoologe Johann Andreas Wagner (1797 – 1861), der bedeutende Botaniker Carl Wilhelm Naegeli (1817 – 1891) und der Physiker Philipp Jolly (1809 – 1884) an, die ebenfalls Engelhards Lehrer waren [5].

Im Unterschied zu anderen bedeutenden Chemikern seiner Zeit, die sich ganz der „reinen Chemie“ verpflichtet fühlten, widmete sich Liebig stets auch Fragen der angewandten Wissenschaft, wie der Entwicklung eines Silberspiegels anstelle des bis dahin üblichen und nicht ungefährlichen Quecksilberspiegels, sowie der Herstellung von Lebensmitteln. So stellte Liebig ein erstes Backpulver her, eine „Suppe für Säuglinge“ und einen Fleischextrakt [7]. Solche für die Menschheit segensreichen Erfindungen dürften Engelhard später auch zu seinen Neuentwicklungen auf dem Arzneimittelmarkt angeregt haben. 

Beginn der Großherstellung in Frankfurt

Bereits 1860 begann Engelhard in seiner Frankfurter Rosen-Apotheke mit der Herstellung von Isla-Moos als Paste und Pastillen (s. Abb. 3), die als erste Fertigarzneimittel gelten und für die er eine geschickte Werbung betrieb [8]. Als Mittel gegen Husten und Heiserkeit erfreuten sie sich schon sehr bald großer Beliebtheit. Wie bereits sein Vater stellte auch Karl Engelhard die legendären Frankfurter Pillen als ersten Markenartikel her, ein Abführmittel, dessen Zusammensetzung geheim gehalten wurde und nur den Frank­furter Apotheken bekannt war [9].

Foto: C. Friedrich
Abb. 2: Die Rosen-Apothekein Frankfurt am Main

Weitere Präparate, die er in der Apotheke produzierte, waren Pepsin-Salzsäure-Dragees, Lakritz-Präparate, Salmiak-Pastillen und seit 1866 das berühmte Dialon-Puder, für das er auch mithilfe neuzeitlicher Reklame warb, beispielsweise mit Anzeigen in dem illustrierten Familienblatt „Gartenlaube“ [10]. Die damals üblichen Interna, vor allem Pillen und selbst hergestellte Pulver, erwiesen sich bald als nicht mehr zeitgemäß, für die Patienten wegen ihres häufig bitteren Geschmacks und für die Apotheker durch die aufwendige Herstellung. Engelhard nahm daher auf Reisen begierig Anregungen zur Herstellung neuer Arzneiformen auf.

Foto: C. Friedrich
Abb. 3: Werbung für Isländische Moos-Pasta von 1880

Sowohl in England als auch in Frankreich lernte er die neue Arzneiform Tablette kennen und entwickelte das Herstellungsverfahren weiter [11]. In einem Anbau seiner Apotheke, im Hinterhof am Salzhaus 3, stellte Karl Engelhard eine Tablettenpresse auf, die er, im Vergleich zu den in England und Frankreich genutzten, verbesserte. Die Tablettenmasse musste nun nicht mehr mit der Hand in die Presse geschüttet werden, sondern mittels eines von ihm entwickelten Füllschuhs (s. Abb. 4). Ab 1890 trieb er die Rührwerke bereits mit einem Gasmotor an.

Die Konfektionierung der Tabletten übernahmen Mitglieder seiner Familie. Engelhards Frau, Tochter des bekannten Frankfurter Malers Philipp Rumpf (1821 – 1896), und seine Kinder Paul, Max, Adolf und Resi wickelten die Tabletten in Papier und füllten sie in Schachteln. Zur Vergrößerung der Produktion nutzte Engelhard in den folgenden Jahren zahlreiche in eigener Werkstatt gebaute Spezialmaschinen, deren Herstellung sich zu einem eigenen Industriezweig entwickelte [12]. 

Foto: C. Friedrich
Abb. 4: Tablettenpresse mit Füllschuh

Berufspolitisches Engagement

Während sich Engelhard intensiv der Großherstellung seiner Präparate, zunächst noch als Nebentätigkeit, widmete, vernachlässigte er keinesfalls seine Rosen-Apotheke. Große Aufmerksamkeit schenkte er auch der Berufspolitik und war viele Jahre Vorsitzender des 1821 gegründeten Apothekergremiums, das 1907 in Apotheker-Verein umbenannt wurde und dem alle Frankfurter Apotheker angehörten.

Die Sitzungen wurden häufig in Engelhards Wohnung über der Rosen-Apotheke durchgeführt, bis die Anzahl der Mitglieder so groß geworden war, dass man in den kleinen Hörsaal des alten Senkenbergschen Institutes ausweichen musste. In den Verhandlungen, deren Inhalt ein Protokollbuch ausweist, ging es um Werbung mit Schildern und Laternen, Preisgestaltung, Warnungen vor Drogensüchtigen, die sich mit gefälschten Rezepten Morphin beschaffen wollten, aber auch um Fragen des Ladenschlusses und den Apothekennachtdienst. Das wichtigste Thema des Vereins war jedoch der „Receptur-Rabatt“ und dessen Genehmigung für Krankenkassen, Hilfskassen und Medizinal-Vereine.

Foto: C. Friedrich
Abb. 5: Urkunde über die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des Deutschen Apotheker-Vereins 1922

Engelhard beteiligte sich auch an der Organisation der 1896 in Frankfurt veranstalteten Naturforscher-Versammlung und betonte, „dass sich der hiesige Apothekerstand der Verpflichtung nicht entziehen könne, in der Abteilung Pharmacie und Pharmacognosie gut vertreten zu sein […]und auch den die Versammlung besuchenden Theilnehmern der Abtheilung: Collegen, Professoren etc. hülfreich und gastlich zu begegnen.“ Nachdem er 1901 seine Apotheke verkauft hatte, trat Engelhard als ordentliches Mitglied zurück, blieb aber bis zu seinem Tode, zunächst als außerordentliches und dann als Ehrenmitglied, dem Verein treu (s. Abb. 5) [13].

Trennung von Fabrik und Apotheke

Der steigende Umsatz der zahlreichen Handverkaufsartikel erforderte schließlich eine Trennung zwischen Apotheke und Fabrik, die am 31. Oktober 1872 erfolgte.

Engelhards Produkte fanden nicht nur in Frankfurt, sondern auch in München, Amsterdam, Paris, am Zarenhof, in China, Japan und in den USA begeisterte Abnehmer. Die Rothschilds, aber auch deutsche Prinzessinnen und adlige Familien erwarben die Präparate, zu denen auch Mineralwässer, Obstsäfte, Limonaden, Liköre, Südweine und andere Alkoholika gehörten. Der Apotheker Engelhard richtete an den ehemaligen Stadttoren und auf dem Goetheplatz in Frankfurt Trinkhallen ein, in denen die Getränke angeboten wurden [14].

Zur Vergrößerung der Produktion plante Engelhard, das baufällige Hinterhaus „Am Salzhaus 3“ und den Anbau abzureißen und hier ein vierstöckiges Fabrikgebäude zu errichten. Da das Grundstück aber an Goethes Geburtshaus am Hirschgraben grenzte, gab es gegen einen solchen Neubau Proteste. Engelhard suchte deshalb nach einem anderen Bauplatz, den er vor den Toren der Stadt, an der Bornheimer Heide, fand. 1891 begannen die Bauarbeiten auf dem Areal Sandweg 94, und er beantragte eine Genehmigung zur Fortführung seiner Fabrik als Nebengeschäft beim Königlichen Regierungspräsidenten. 1894 konnte in Frankfurt-Bornheim das neue Gebäude bezogen werden, in dem die Maschinen von einer 18 PS starken Dampfmaschine angetrieben wurden.

Um die Jahrhundertwende beschäftigte die Fabrik bereits 120 Arbeiter und zehn Angestellte. 1901 verkaufte Engelhard die Rosenapotheke sowie das Gebäude Am Salzhaus und betrieb seine Fabrik nun nicht mehr als Nebentätigkeit. Er selbst zog ins Westend, wo er eine Etagenwohnung mietete, da er meinte, sich ein Haus nicht leisten zu können, weil er alles Geld in seine Fabrik steckte [15].

Während der Inflation zog sich Karl Engelhard aus dem aktiven Geschäft zurück. Seine Söhne Dr. Paul und Dr. Max Engelhard, die beide Pharmazie und Chemie studiert hatten, führten das Unternehmen weiter. 1943 wurde die Fabrik im Sandweg 94 bei einem Fliegerangriff zerstört, darunter auch alte Dokumente und Akten zur Firmengeschichte. Die Enkel des Gründers, von denen einer Apotheker war, bauten die Fabrik wieder auf, sodass das Unternehmen bis heute erfolgreich weitergeführt wird [16]. |

Literatur

 [1] Schwarz, H-D. Engelhard, Karl Philipp. In: Hein, W-H / Schwarz, H-D (Hrsg.). Deutsche Apotheker-Biographie. Bd. 1 Stuttgart 1975 (Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie; 43), S. 148f.

 [2] O. A. 100 Jahre Engelhard-Arzneimittel. Gelsenkirchen ca. 1872, S. 7; Wolf, E. Engelhard Arzneimittel. 150 Jahre made in Germany. In: Pharmazeutische Zeitung 167 (2022), S. 2880–2882, hier S. 2880.

 [3] Amtliches Verzeichnis des Personals, der Lehrer, Beamten und Studirenden an der Königlich Bayerischen Ludwig-Maximilians Universität München im Wintersemester 1861/62. München 1861, S. 29. Hier lässt sich „Karl Engelhard aus Frankfurt, Residenzstr. 4/5 als Student der Pharmac[ie ]“ nachweisen.

 [4] Kallinich, G. Ludwig Andreas Buchner. In: 200 Jahre Pharmazie an der Universität Ingolstadt-Landshut-München. Frankfurt 1960, S. 232–239, Friedrich, C. Vor 200 Jahren: Wissenschaftliche Apothekerausbildung in Bayern. In: Pharmazeutische Zeitung 153 (2008), S. 3926–3930.

 [5] Amtliches Verzeichnis 1861 [wie 3], S. 7 und 14.

[6] Zum Verhältnis zwischen angewandter und reiner Chemie siehe Meinel, C. „...die Chymie anwendbarer und gemeinnütziger zu machen“ – Wissenschaftlicher Orientierungswandel in der Chemie des 18. Jahrhunderts. In: Angewandte Chemie 96 (1984), S. 326–334; Meinel, C. Reine und angewandte Chemie. Die Entstehung einer neuen Wissenschaftskonzeption in der Chemie der Aufklärung. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 8 (1985), S. 25–45.

 [7] Friedrich, C. Mehr als ein Chemiker. Die Bedeutung Justus [von] Liebigs für die Pharmazie. In: Deutsche Apotheker-Zeitung 163 (2023), S. 1256–1260.

 [8] O. A. [wie Anm. 2], S.10f.; O. A, Engelhard Arzneimittel – Qualität seit 1872. In: pharmedicum 2 (1994), S. 26f.

[9] Seyfang, C. Zur Geschichte des Apothekenwesens in Frankfurt am Main. In: Friedrich, C. Pharmazie in Frankfurt am Main. Vorträge des Pharmaziehistorischen Vorsymposiums der DPhG-Jahrestagung am 23. September 2014 in Frankfurt am Main. Marburg 2015 (Stätten pharmazeutischer Praxis, Lehre und Forschung; 14), S. 74–87.

[10] O. A. [wie Anm. 2], S. 18f.

[11] Zur Geschichte der Tablette siehe Zentzis, K, Untersuchungen zur Entwicklung der Tablettenherstellung unter pharmazie- und technikgeschichtlichen Gesichtspunkten. Diss. Human. Biol. München 1985.

[12] O. A. [wie Anm. 2], S. 13–15.

[13] O. A. [wie Anm. 2], S.21f.

[14] O. A. [wie Anm. 2], S. 11f.; O.A. (1994) [wie Anm. 8].

[15] O. A. [wie Anm. 2], S. 16 und 23.

[16] O. A. [wie Anm. 2], S. 24f., vgl. auch Huhle-Kreutzer, G. Die Entwicklung arzneilicher Produktionsstätten aus Apothekenlaboratorien, dargestellt an ausgewählten Beispielen, Stuttgart 1989 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 51), S. 218–223, hier 222f.


Prof. Dr. Christoph Friedrich


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