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Haltbarkeiten und Verwürfe – ein Update

19.08.2016, 16:58 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Dr. Franz Stadler

Wohin führen die Zyto-Ausschreibungen der Kassen? (Foto: Marco Herrndorff / Fotolia)

Wohin führen die Zyto-Ausschreibungen der Kassen? (Foto: Marco Herrndorff / Fotolia)


Nach einer monatelangen Diskussion um Haltbarkeiten und Verwürfe bei parenteralen Zubereitungen ist es an der Zeit, den Stand der Diskussion zusammenzufassen. Es gibt zwar bisher kaum Fortschritte, aber es zeichnen sich zumindest entsprechende Lösungen ab. Bei beiden Themen, die ihrer Natur nach eng miteinander zusammenhängen, heißt es jetzt im Interesse der schwerkranken Patienten am Ball zu bleiben.

Bei den Haltbarkeiten beginnt sich in vielen Fällen das geltende Arzneimittelrecht im Interesse der Patienten wieder durchzusetzen. Es gelten einzig die Angaben der Fachinformationen und der Hilfstaxe. Arzneimittel, die jenseits der Angaben der Fachinformationen verwendet werden sollen, sind nicht verkehrsfähig und verfallen.

Es fehlt an qualifizierten und geprüften Nachweisen zu Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Deshalb ist ihr Einsatz schlicht verboten. Dieser Fakt wurde inzwischen vielfach betont. Nicht nur das Bundesgesundheitsministerium, das Sozialgericht Würzburg (erstinstanzlich) oder Frau Prof. Krämer mit ihrem Statement in der Süddeutschen Zeitung vom 13.07.2016, in dem sie ihre eigenen Haltbarkeitslisten als „nicht legal und nicht im Sinne der Patienten“ einstufte, waren dieser Ansicht.

Vergrößerung der Marktanteile

Selbst die DAK und GWQ-Krankenkassen haben in ihren Antworten auf verschiedene Bieterfragen der laufenden Ausschreibung eindeutig klargestellt, dass die Haltbarkeiten der Fachinformationen, bzw. die Angaben der Hilfstaxe für alle verbindlich sind – ohne diese Aussage bei den Verwürfen aber konsequent zu Ende zu denken (s.u.).

Nur Herstellbetriebe und verschiedene AOKen vertreten bezüglich der Haltbarkeiten noch abweichende Meinungen. Herstellbetriebe verfolgen dabei vorrangig eine Marktdurchdringungsstrategie. Sie wollen, teilweise getrieben von finanzstarken Investoren, mit allen Mitteln ihre Marktanteile vergrößern. Sie bedienen sich dazu in einigen Fällen ahnungs- und skrupelloser Strohapotheken, die, ohne eigenes Sterillabor, an ihrer Stelle Vertragsbedingungen bei diversen Ausschreibungen scheinbar erfüllen. Manche scheuen auch vor juristischen Einschüchterungsversuchen und Spitzfindigkeiten nicht zurück, nur um angeblich längere Haltbarkeiten zu belegen, die sie wie auch immer selbst (!) ermittelt oder nicht relevanten Sekundärliteraturen entnommen haben.

Sie sind dabei oft im Verbund mit den ausschreibenden Krankenkassen, deren einziges Interesse möglichst hohe Einsparungen sind. Besonders die AOKen in Hessen und in Bayern spielen hier die Vorreiter. Schnell verlässt man sich auf Eigenerklärungen, deren Einhaltung, ja deren Plausibilität offensichtlich nicht überprüft wird. Die bayerische AOK versteht es dagegen meisterhaft, Sozialgerichtsprozesse (siehe Würzburg) in die Länge zu ziehen, um so den finanziellen Druck auf die herstellenden Apotheken durch nichtbezahlte Verwürfe stetig wachsen zu lassen. Verwürfe sollen nicht anfallen und nicht abgerechnet werden.

Patient hat Anspruch auf korrekte Therapie

So ist allen bisherigen Ausschreibungen durch Krankenkassen gemeinsam, dass sie keine Verwürfe bezahlen wollen, beziehungsweise möchten, dass künftige Verwürfe in einen verbindlichen mg-Preis durch die Bieter miteinberechnet werden sollen. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass Verwürfe nicht planbar sind. Sie fallen situationsbedingt an und zwar gehäuft, wenn unpassende Packungsgrößen mit kurzen Haltbarkeiten der Infusionslösungen zusammenfallen. Beide Faktoren sind aber nicht von den herstellenden Apotheken zu beeinflussen. Ansprechpartner der Kassen für Änderungen (falls überhaupt möglich) wären hier die Pharmazeutischen Unternehmer, während die gültigen Angaben der Fachinformationen für die herstellenden Apotheken  eine pharmazeutische Notwendigkeit darstellen.

Ebenso verhält es sich mit dem Fakt, dass die Therapien immer spezieller werden und deshalb immer kleinere Patientenzahlen mit den gleichen Medikamenten behandelt werden. Im Interesse der Patienten müssen aber alle diese Faktoren regelkonform behandelt werden. Der Patient muss das richtige Arzneimittel, in der richtigen Dosierung und vor Ablauf der gesetzlich garantierten Haltbarkeit verabreicht bekommen. Sonst ist die gesamte Therapie für ihn sinnlos und möglicherweise sogar gesundheitsgefährdend. Ihm unaufgeklärt (ahnungslos) arzneimittelrechtlich verfallene Wirkstoffe zu verabreichen, ist ethisch und juristisch (Körperverletzung? Betrug?) nicht vertretbar.  Der Patient hat einen Anspruch auf eine korrekte Durchführung seiner Therapie (inklusiver wirksamer, nicht verfallener Medikamente) und muss sich auch darauf verlassen können. 

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion von DAZ.online.


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3 Kommentare

19.08.2016, 16:58 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Dr. Franz Stadler

von Dr. Christian Wegner, Apotheker und Geschäftsführer des Herstellbetriebes Medipolis, Jena und Rechtsanwalt Frank Sürmann, Justitiar Medipolis Gruppe am 09.09.2016 um 15:17 Uhr

„Ja, die Sinnhaftigkeit der Ausschreibung darf hinterfragt und insbesondere kritisiert werden. Nicht aber darf behauptet werden, Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln verfallen immer nach der Fachinformation. Wird nämlich das Fertigarzneimittel durch Zubereitung verändert, darf und muss eine neue Haltbarkeit definiert werden aufgrund der Fachkenntnis des Apothekers und wissenschaftlicher Studien. Wer das negiert schadet nicht nur der Glaubwürdigkeit seiner selbst, sondern auch aller Apotheker und gefährdet - möglicherweise unbewusst- die Patientenversorgung, weil die Definition der Haltbarkeiten nichts mit den Ausschreibungen der AOK zu tun hat, sondern immer gängige Praxis war und ist. Also aufgepasst: Das Ziel die Ausschreibungen zurückzunehmen ist ein hehres, nicht aber so zu tun, als könnten wir Pharmazeuten mit dem Thema Haltbarkeit nicht umgehen; das Gegenteil ist der Fall; wir sind gut ausgebildet und wissen was wir tun; hoffentlich auch der Kollege Dr. Stadler, denn auch die Ärztinnen und Ärzte dürfen und müssen sich auf uns verlassen, so sieht es das Gesetz vor.“

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AW: Glaubwürdigkeit des Apothekers?

von Esther Hamacher am 14.09.2016 um 20:04 Uhr

Sehr abenteuerlich, hier mit der Glaubwürdigkeit der Apotheker zu jonglieren...und schlau, ihnen mit ihrer Fachkompetenz zu kommen, da ist man immer empfänglich als Pharmazeut...als gäbe es keinen Unterschied zwischen dem Mischen einer Salbe und der Fertigstellung also Zubeitung nach genauer Anleitung eines Arzneimittels, damit es überhaupt appliziert werden kann (ich gehe eigentlich davon aus, dass das eigentlich auch den Herren von Medipolis klar sein müsste...). Gängiges Beispiel, momentan in aller Munde: "Velcade" - laut Zulassung nach Rekonstitution 8 Stunden haltbar - das können sich natürlich Labore, die sich freiwillig im Rahmen einer der zahlreichen Ausschreibungen einem Milligrammpreis unterworfen haben, nicht leisten und so wird mal eben die Haltbarkeit auf bis zu zwei Wochen (!!) ausgeweitet. Die Herren von o. g. Herstellerbetrieb äußern, der Apotheker dürfe das auf Grund seiner Fachkenntnis etc. und spiele mit seiner Glaubwürdigleit und evtl. "unbewusst" mit der Patientenversorgung. Eher ist es wohl anders herum: Er macht sich unglaubwürdig, wenn er sich nicht darauf beruft, dass bei einem Überschreiten der Haltbarkeit einer eigentlich frisch herzustellenden Lösung nicht nur die Sterilität wichtig ist, sondern vor allem die Wirksamkeit des Arzneistoffs, der ja nach Ablauf der gesetzlichen Haltbarkeit durchaus chemische Veränderungen durchlaufen kann. Bestimmt ist jeder betroffene Patient hoch erfreut, wenn man ihn darüber aufklärt, dass seine Chemotherapie zwar laut Hersteller verfallen ist, aber bestimmt noch genau so gut wirkt, weil der Apotheker das sagt, die Angaben der Hersteller sowieso nur ein Trick zur Umsatzsteigerung sind, und außerdem gibt's eben nichts anderes. Und der Arzt soll sich dann auf den Sachverstand des glaubwürdigen Apothekers verlassen dürfen (muss er ja offiziell, er begeht ja hier immerhin Körperverletzung) und so schiebt es jeder auf den anderen und die Krankenkasse reibt sich die Hände. Der Patient muss ich entscheiden, ob er die verfallene Chemo will, sonst kriegt er halt nix, und der Arzt soll entscheiden, ob er aus so kleinlichen Gründen wie der Haltbarkeit/Wirksamkeit einem Patienten die evtl. lebensrettende Chemotherapie vorenthält...Der Apotheker muss sparen und sieht sich so gezwungen, dieses gefärliche Spiel mitzumachen und der Arzt hält mal lieber die Füße still, hat man nicht so gern, dass man im Fadenkreuz einer Krankenkasse steht, kann unangenehme Folgen haben...

Ein weiterer juristischer Aspekt, der in der Diskussion vielleicht hilfreich ist. BGH_VI ZR 10806

von Roland Holtz am 31.08.2016 um 11:36 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Stadler,
danke für diese Klarstellung. Es ist völlig unverständlich, wie hier die Apotheker hier zwischen die Fronten geraten und als schwächstes Glied in der Kette missbraucht werden. Nichts anderes ist das. Kassenvertreter müssen Haltbarkeit Größe im Auge behalten. Sind sie nicht praktikabel, dann ist es an ihnen auf die Hersteller einzuwirken.

In unserer Tätigkeit bei medrecherche.de bewerten wir Fehlerverhalten in der Anwendung von Pharmaka. Dies kann ärztlich verursacht sein, oder von anderen am Behandlungsprozess beteiligten Personen.

Ein zentraler Punkt, der auch in dieser Diskussion nicht reflektiert wird, gleichwohl aber in der Betrachtung entscheidendes Gewicht hat, ist das oben genannte Urteil des Bundesgerichtshofs, das zu lesen sehr lohnt!

Es geht hierbei um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, der so die Vorgabe des BGH über die Details der Therapie informiert werden und dem zustimmen muss. Kann er aufgrund mangelnder Aufklärung einer solchen Therapie nicht selbstbestimmt zustimmen, dann ist die Therapie verboten, sie stellt eine Körperverletzung dar.

Würde mir ein solcher Fall vorgelegt, dann wäre dieser Sachzusammenhang von entscheidender Bedeutung.

Aber denken wir das doch einmal ganz praktisch zu Ende:
Der Patient würde darüber informiert werden, dass die Zubereitung mit der er behandelt werden soll, das Verfallsdatum überschritten hat. Er wird aufgefordert, einer Therapie mit dieser Zubereitung zuzustimmen und sein Einverständnis schriftlich zu dokumentieren. Er müsste folglich als u.U. stark immungeschwächter Patient seine Einwilligung dazugeben, dass er mit einem Präparat behandelt werden wird, dessen Sterilität oder dessen Zusammensetzung niemand gewährleisten kann.

Im Vollbesitz ihrer/ seiner geistigen Kräfte wird das niemand tun. Dabei ist es nach Aussage des BGH eben so, dass eine Therapie ohne diese Aufklärung Rechtsbruch, also eine Körperverletzung darstellt.

Dem geneigten Leser sei empfohlen, dieses Urteil zu lesen! Es ist eigentlich unglaublich, wie weit und wie umfassend das Gericht hier diesen Begriff des "Selbstbestimmungsrechtes des Patienten" fasst. Das Urteil selbst versteht auch der juristische Laie, das ist nicht schwierig. Ich hoffe für Sie und Ihre Kollegen, dass dieser Hinweis hilfreich ist, sich diesem völlig inakzeptablen Ansinnen von Kassenvertretern und anderer Beteiligter zu entziehen. Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.

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