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Arzneimittel und Therapie
Melatonin: Immer noch aktuell
Fortpflanzung Es gibt viele Hinweise, daß die Epiphyse durch Melatoninfreisetzung die Fortpflanzungsrate bei verschiedenen Spezies beeinflußt. Durch den Wechsel der täglichen Nachtlänge und somit auch der Stundenzahl, in denen Melatonin sezerniert wird, entsteht ein direkter Zusammenhang zwischen der reproduktiven Aktivität und den Jahreszeiten. Obwohl sich Menschen unabhängig von den Jahreszeiten fortpflanzen können, zeigen epidemiologische Studien, daß beispielsweise Menschen in der Arktis in den dunklen Wintermonaten geringere Konzeptionsraten als im Sommer aufweisen. Vermutlich wirkt die Epiphyse auch direkt auf die Pubertät: Schon 1898 wurde ein viereinhalbjähriger Junge beschrieben, der vorzeitig in die Pubertät eintrat. Ein Tumor hatte seine Epiphyse zerstört. Ähnliche Fälle, die vor allem Jungen betreffen, sind inzwischen bekannt. Möglicherweise wird durch Melatoninmangel die Hypophysen-Gonaden-Funktion aktiviert, da während der Kindheit und Pubertät die nächtlichen Melatoninkonzentrationen stetig abnehmen. Zwar sind diesbezüglich noch keine Studien durchgeführt worden, aber bei vielen Kindern, die vorzeitig pubertierten, wurden für ihr Alter zu niedrige Melatoninkonzentrationen gemessen. Ob Melatonin vielleicht für das Timing der Pubertät verantwortlich ist, muß in Langzeitstudien geklärt werden. Veränderte Melatoninsekretionen beeinflussen eventuell auch die Produktion von Sexualsteroiden, möglicherweise gilt dies auch umgekehrt: Innerhalb eines normalen Zyklus einer Frau schwanken die Melatoninkonzentrationen nicht, aber bei Frauen, die aufgrund einer gehemmten Gonadotropinausschüttung keine Menstruation hatten, wurden erhöhte Melatoninkonzentration gemessen. Männer mit fehlender oder unzureichender Gonadenfunktion zeigten ebenfalls erhöhte Melatoninkonzentrationen, die nach einer Testosteronbehandlung wieder abnahmen. Bei manchen Säugetieren zeigt Melatonin antigonadale und antiovulatorische Effekte, vergleichbare Daten beim Menschen gibt es aber nicht.
Altern Da mit zunehmendem Alter die nächtlichen Melatoninkonzentrationen abnehmen, führte dies zur Vermutung, daß Melatonin das Altern und altersbedingte Krankheiten beeinflußt. Bei Ratten und Mäusen steht eine verminderte Melatoninsekretion direkt mit einem beschleunigtem Altersprozeß in Verbindung. Indem Melatonin durch Neutralisierung freier Radikale Zellschäden vermeidet und gleichzeitig auch die Immunantwort stärkt, werden Alterungserscheinungen möglicherweise gemindert. Allerdings könnte die altersbedingte Reduktion der nächtlichen Melatoninsekretion auch eine Konsequenz des Alterungsprozesses sein und nicht seine Ursache. Bislang gibt es keine Untersuchungen, daß Melatonin bei Menschen den Alterungsprozeß beeinflußt.
Krebs Experimentelle Studien belegen, daß Melatonin das Wachstum von spontanen und induzierten Tumoren bei Tieren beeinflußt. Eine Entfernung der Epiphyse verstärkt das Tumorwachstum, die Verabreichung von Melatonin kehrt diesen Effekt wieder um oder hemmt auch die durch Karzinogene ausgelöste Tumorneubildung. Über den Zusammenhang von Melatonin und der Tumorentstehung beim Menschen gibt es sehr widersprüchliche Daten. Die meisten Studien weisen auf eine Schutzwirkung von Melatonin hin. Niedrige Melatoninkonzentrationen und niedrige Exkretionsraten von Melatoninmetaboliten wurden bei Frauen mit Brustkrebs und bei Männern mit Prostatakrebs gemessen. Studien mit Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium ergaben, daß Patienten mit Glioblastom nach einer Strahlentherapie und Melatonineinnahme länger lebten als Patienten, die nur bestrahlt wurden. Eine andere Studie zeigte, daß die Kombination von Melatonin und Tamoxifen das Fortschreiten von metastasierendem Brustkrebs verlangsamen kann. Einige Patienten mit fortgeschrittenem malignem Melanom, die mit sehr hohen Melatonindosen behandelt wurden (bis zu 700 mg/d), zeigten eine vorübergehende Abnahme der Tumorgröße. Diese ersten Ergebnisse müssen aber unbedingt in größeren Studien für längere Zeitperioden weiter überprüft werden. Mehrere Modellvorstellungen, wie Melatonin das Tumorwachstum hemmen könnte, sind möglich: Melatonin kann Makromoleküle wie die DNS vor oxidativen Angriffen schützen und so Gendefekte vermeiden. Gleichzeitig stärkt Melatonin die Immunantwort, so daß Tumorzellen schneller entdeckt und eliminiert werden könnten. Melatonin wirkt vielleicht auch antimitotisch, denn es kann dosisabhängig die Proliferation von Tumorzellinien hemmen. Diese Effekte könnten über Down-Regulierung der Genexpression oder durch Hemmung der Freisetzung von Wachstumsfaktoren erfolgen. Da Melatonin dosis- und zeitabhängig die Aktivität der Östrogenbildung und die Expression von Östrogenrezeptoren in Brustkrebszellen vermindert, moduliert es vielleicht auch die Aktivität verschiedener Rezeptoren in Tumorzellen.
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