DAZ aktuell

Editorial

Von Ängsten und Legenden

Apotheken im deutschen Herbst. Ängste vor der Zukunft
dringen derzeit mit dem Morgennebel durch alle Ritzen. Die
Stimmung ist mies, Schwermut in den Seelen. Angst vor Aldi und Versandhandel, vor Fremd- und Mehrbesitz. Schleppende Umsätze, seit Juli Rückgänge sogar. Und was sagt die Vernunft? Sie sagt,daß in anderen Branchen wahrscheinlich die Sektkorken knallen würden, wenn sie nur unsere Probleme hätten. Arbeitslosigkeit? Bei uns kein Thema. Imageprobleme? Nicht bei 95% der Bevölkerung, allenfalls eine CrŹme von 5% (Akademiker, Intellektuelle) schaut - insgeheim ein wenig neidisch - auf uns herab. Merke: Wer den Kopf hängen läßt, reizt zu Nackenschlägen. Die Alternative: Kopf hoch und selbstbewußt nach vorne schauen; arbeiten, um besser zu werden; kämpfen, wo es wichtig ist; in die Zukunft investieren. Einfach gesagt, schwer getan. Ich weiß.

Prima, daß eigentlich alles klar ist. Oder vielleicht doch
nicht? Die Kontroverse um den sogenannten Niedersachsenvertrag hätte als beigelegt gelten können, nachdem der niedersächsische LAV-Vorsitzende Heinz-Günter Wolf in der Diskussion zu seinem Referat beim BAK-Kongreß in Westerland in der Sache beigedreht hat. Er werde eine Vereinbarung über die "Auswahl preisgünstiger Arzneimittel" durch Apotheker nur unterzeichnen, wenn darin sichergestellt ist, daß der Apotheker bei Bedenken gegen die Qualität oder Austauschbarkeit die Substitution verweigern kann - so versicherte er dort.

Kurz zuvor, in seinem Referat, hatte er noch versucht, eine
Legende zu stricken. Es gebe, so Wolf, in der Vereinbarung zwei Ausnahmebestimmungen, unter denen der Apotheker die
Substitution unter reinen Preisgesichtspunkten verweigern dürfe: erstens, wenn der Patient ("Oma Luise") den Austausch nicht akzeptiere, und zweitens, wenn der Apotheker Qualitätsbedenken begründen könne. In Wirklichkeit gibt es in dem Vereinbarungstext allerdings nur eine einzige Ausnahmebestimmung. Die auf Qualitätsbedenken bezogene Ausnahmebestimmung existiert in der Vereinbarung nicht
- es gibt sie allenfalls in guten Absichten, in der Phantasie. Und es gibt auch keinen weiteren Vereinbarungstext neben dem bekannt gewordenen, in dem eine Ausnahmebestimmung bezüglich Qualitätsbedenken existiert - so mußte Wolf auf Befragen einräumen.

Man könnte Wolfs Legende auf sich beruhen lassen, wenn nicht
Hermann Stefan Keller, der Vorsitzende des Deutschen
Apothekerverbandes, gerade eben versucht hätte, weiter an ihr zu stricken. Angesprochen auf die Kritik, daß die Qualität bei der Auswahl à la Niedersachsen-Vereinbarung keine Rolle spiele und dort nur der Preis maßgebend sei, räumt Keller in einem in der letzten Woche erschienenen Interview der PZ zwar "Fehler im Informationsaustausch" ein. Weil der Wortlaut der Vereinbarung nicht allen bekannt gewesen sei, habe es "Spekulationen" gegeben. Wenn man den Text aber genau lese und ihn im Kontext mit den
entsprechenden Paragraphen des SGB V interpretiere, seien die Spekulationen nicht mehr gerechtfertigt.

Richtig ist just das Gegenteil. Gerade weil die Kritiker den Text genau kannten und ihn (im Gegensatz zu manchen vorschnellen Befürwortern) auch im Kontext gelesen hatten, mußten sie feststellen, daß der Qualitätsaspekt weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach in der Vereinbarung berücksichtigt worden war. Sie liefen deshalb zurecht dagegen Sturm.
Das hat, so denke ich, auch Hermann Stefan Keller insgeheim
inzwischen eingesehen. Jeder Vertrag müsse in seiner Gesamtheit "dahingehend beurteilt werden, ob die preisliche Verantwortung mit der Verantwortung für die Qualität, mit der Möglichkeit für die Beratung durch den Apotheker zur Stärkung der apothekerlichen Kompetenz", verbunden sei. Nur wenn dies gegeben sei, könne man solchen Verträgen nähertreten. Na also - warum nicht gleich so. Klaus G. Brauer

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