Arzneimittel und Therapie

Kombinationsimpfstoffe gegen Kinderkrankheiten: Lassen sich Masern, Mumps, Röte

Die Weltgesundheitsorganisation WHO möchte bis zum Jahr 2000 die Infektionskrankheiten Masern, Mumps und Röteln in Europa eliminieren. Voraussetzung dafür ist eine hohe Durchimpfungsrate, die in Ländern ohne Impfpflicht wie Deutschland nicht erreicht wird. Realistischer ist das Ziel der WHO, die Poliomyelitis bis zum Jahre 2000 weltweit zu eradizieren. Europa ist infolge der hohen Wirksamkeit der Schluckimpfung schon weitgehend poliovirenfrei. Daher ist das Impfrisiko trotz der guten Verträglichkeit des oralen Impfstoffs größer als das Infektionsrisiko. Um die Sicherheit und die Akzeptanz der Polio-Impfung auch weiterhin zu gewährleisten, wird die Ständige Impfkommission am Berliner Robert Koch-Institut (STIKO) im nächsten Jahr statt des Lebendimpfstoffs den inaktivierten Polio-Impfstoff in Kombination mit anderen Impfstoffen empfehlen.

Ein Kombinationsimpfstoff, so glaubt man, erhöht die Impfbereitschaft, denn damit läßt sich die Zahl der erforderlichen Spritzen reduzieren. Die Impfbereitschaft der Bevölkerung ist für den Erfolg des WHO-Programms entscheidend, weil sich die Polio-Erreger mit einem Totimpfstoff nur dann bleibend ausrotten lassen, wenn die Durchimpfungsrate sehr hoch ist.

Komplikationen häufiger als vermutet Masern, Mumps und Röteln sind keine harmlosen Kinderkrankheiten, sondern ernst zu nehmende Infektionen, die schwer verlaufen können. Jährlich erkranken in Deutschland, so schätzt das Berliner Robert Koch-Institut, etwa 100000 Menschen an den Masern. Bis zu 100 Kinder erleiden dabei eine gefährliche Masernenzephalitis, die bleibende Schäden hinterlassen kann. Im Jahre 1996 starben allein in Deutschland zehn Kinder an den Folgen einer Maserninfektion (vgl. DAZ 47/97, S. 26f.). Im Vergleich mit den Masern ist die Mumpsmorbidität niedriger. Man schätzt die Zahl der jährlich in Deutschland Erkrankten auf bis zu 60000, wobei die Mumpsmeningitis als häufige Komplikation auftritt. Bei den Röteln registriert man jährlich etwa 100 Fälle von Embryopathien. Sie ereignen sich, wenn nicht immunisierte Schwangere sich mit Rötelnviren infizieren und den Erreger auf den Embryo übertragen. Die Folge sind unter anderem Herzmißbildungen, Augenschäden und Taubheit.

Impfbereitschaft fördern Um Masern, Mumps und Röteln (MMR) erfolgreich zu eliminieren, sind Durchimpfungsraten von etwa 95% notwendig. In Deutschland wird dieses Ziel nicht erreicht, denn es gibt hier keine Impfpflicht. Während an der ersten MMR-Impfung, die ab dem zwölften Lebensmonat erfolgen sollte, noch 70 bis 75% aller Kinder teilnehmen, sind es bei der zweiten Impfung ab dem sechsten Lebensjahr nur noch zehn bis 15%. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Bevölkerung für Impfungen zu motivieren und die am Gesundheitswesen beteiligten Berufsgruppen gezielt zu schulen. Als Impfstoffe verwendet man Kombinationen aus attenuierten Masern-, Mumps- und Rötelnviren. Ab dem 15. Dezember 1997 ist mit Priorix® ein neuer MMR-Impfstoff erhältlich. Die Dreifachkombination erzielt klinischen Studien zufolge hohe Serokonversionsraten und ist nach Auskunft der Herstellerfirma SmithKline Beecham gut verträglich.

Impfstoff gegen MMR und Varizellen geplant Derzeit empfiehlt die STIKO eine Impfung gegen Varizellen (Windpocken) nur als Indikationsimpfung. Unter anderem sollen folgende Personen geimpft werden: seronegative Kinder mit einem T-Zelldefekt oder mit schwerer Neurodermitis, seronegative Personen, die mit diesen Kindern Umgang haben oder sie betreuen, sowie seronegative Frauen mit Kinderwunsch. Obwohl die Windpocken in den medizinischen Lehrbüchern als ≥meist harmlose Kinderkrankheit" klassifiziert werden, wurden allein in Deutschland innerhalb sechs Monaten dieses Jahres mit dem sogenannten ESPED-System (Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen) 98 schwere Fälle von Varizelleninfektionen registriert. Deshalb empfehlen einige Experten die Windpocken-Impfung für alle Kinder. Auch der neue MMR-Impfstoff Priorix® soll durch eine Komponente gegen Varizellen erweitert werden. Eine solche Kombination wurde bereits in einer Studie getestet, wo man ähnliche Serokonversionsraten wie mit den einzelnen Impfstoffen erzielen konnte.

Oral versus inaktiviert Europa ist mit Ausnahme der Türkei und Tadschikistan frei von Poliomyelitis-Viren; weltweit registriert man jedoch noch etwa 4000 Neuerkrankungen pro Jahr. Vor neun Jahren trat in Deutschland der letzte gesicherte Fall einer Polio-Erkrankung mit Wildviren auf. Dieser Erfolg beruht auf der Schluckimpfung, die billig, einfach anzuwenden und hochwirksam ist. Der oral einzunehmende Lebendimpfstoff von Sabin (OPV: oral polio vaccine) ist hinsichtlich Wirksamkeit und Schutzdauer dem zu injizierenden Totimpfstoff von Salk (IPV: inactivated polio vaccine) überlegen, denn der orale Impfstoff induziert neben der humoralen Immunantwort auch eine lang anhaltende enterale Immunität. Da Polio-Wildviren Enteroviren sind, besitzt die enterale Immunität den entscheidenden Vorteil, daß sich keine Erreger im Darm vermehren und die Infektionskette unterbunden wird, denn der Infizierte scheidet keine lebenden Erreger über den Darm aus.

Neue Strategie im neuen Jahr Das Risiko, sich in Deutschland mit Polio-Wildviren zu infizieren, ist zu vernachlässigen: Infolge der Schluckimpfung sind die Erreger ausgerottet; infolge des hohen Durchimpfungsgrades ist die Bevölkerung vor importierten Polio-Wildviren geschützt. Die Erfahrung lehrt aber, daß immer dann, wenn die Angst vor einer Infektion wegfällt, die Angst vor möglichen Impfschäden zunimmt. Obwohl die Polio-Lebendimpfung gut verträglich ist, besteht doch bei einer von 2,5 Millionen Impfungen das Risiko, durch die Impfviren an einer paralytischen Poliomyelitis zu erkranken. Das heißt, man muß in Deutschland mit etwa zwei schweren Impfkomplikationen pro Jahr rechnen. Weil damit das Impfrisiko größer ist als das Infektionsrisiko, wird die STIKO nächstes Jahr ihre Strategie ändern und statt der Lebendvakzine die Totvakzine von Salk empfehlen, bei der Impfschäden viel seltener auftreten.

Ohne Akzeptanz kein Erfolg Der Totimpfstoff (IPV) wirkt schwächer immunogen als die Lebendvakzine (OPV). Deshalb wird man die weltweite Eradikation der Polio-Wildviren mit dem Totimpfstoff nur dann vorantreiben können, wenn ein sehrhoher Prozentsatz der Bevölkerung geimpft ist. Dazu ist es notwendig, daß die Bevölkerung eine Injektionsimpfung mit der Totvakzine akzeptiert. Die STIKO setzt dabei auf Kombinationsimpfstoffe, weil ihrer Ansicht nach die Impfbereitschaft in der Bevölkerung steigt, wenn sich die Zahl der notwendigen Spritzen durch die Kombination von Impfkomponenten verringert. Die STIKO will ihre Empfehlung aufschieben, bis entsprechende Kombinationsimpfstoffe mit einer IPV-Komponente für Säuglinge erhältlich sind. Die Kombination der IPV-Komponente mit Impfbestandteilen, die von der Bevölkerung bereits gut akzeptiert werden, ist sinnvoll, denn nur so werden sich die hohen Durchimpfungsraten erzielen lassen, die notwendig sind für die weltweite Eradikation der Polio-Wildviren.

Quelle Prof. Dr. Burkhard Schneeweiß, Berlin, Prof. Dr. Burghard Stück, Berlin, Prof. Dr. Heinz-Josef Schmitt, Kiel, Dr. Gary Dubin, Rixensart/Belgien, Dr. Johannes F. Hallauer, Kiel, Prof. Dr. James D. Cherry, USA, Priv.-Doz. Dr. Achim Kaufhold, Rixensart/Belgien, Symposium im Rahmen der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) ≥Neue Impfstoffe gegen alte Krankheiten", Berlin, 13. November 1997, veranstaltet von SmithKline Beecham, München.

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