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Arzneimittel und Therapie
Onkologie: Mehrfachresistenzen gegen Zytostatika
Mehrfachresistenz durch Transportproteine
Besonders problematisch ist die häufig anzutreffende Mehrfachresistenz (Multidrug resistance, MDR). Die Tumorzellen sind dann nicht nur gegen das angewendete Zytostatikum – meist einen Naturstoff – resistent, sondern auch kreuzresistent gegen viele andere chemisch nicht verwandte Zytostatika, die völlig andere Wirkungsmechanismen haben können.
Als Verursacher der Mehrfachresistenzen menschlicher Tumorzellen wurden bislang zwei Proteine entlarvt:
• P-Glykoprotein, das wegen seiner relativen Molekülmasse von 170000 als PG-170 abgekürzt wird,
• ein Mehrfachresistenzprotein mit der relativen Molekülmasse 190000, abgekürzt MRP-190.
Beide sind Transportproteine durch die Zellmembran und gehören zur ABC-Oberfamilie (ABC = ATP-binding cassette). Sie unterscheiden sich in ihrem Aufbau, den Zelltypen, in denen sie vorkommen, und geringfügig auch in den Resistenzprofilen, die sie auslösen.
Anhand von zwei Modellen versucht man sich zu erklären, wie die vermehrte Synthese dieser Proteine zur Mehrfachresistenz führt:
• Nach dem Pumpen- oder aktiven Transportmodell bindet das Protein direkt an die Zytostatika und transportiert sie aus der Tumorzelle heraus.
• Im Modell der veränderten intrazellulären Verteilung beeinflußt das vermehrt gebildete Protein das elektrische Membranpotential sowie das pH- und Volumengleichgewicht und stört so indirekt die intrazelluläre Verteilung und Zurückhaltung der Zytostatika in der Zelle.
Zytostatika nach außen pumpen Das Vorhandensein von PG-170 und MRP-190 in der Plasmamembran spricht für ihre Rolle als Ausflußpumpen. In einigen Zellinien kommen die Proteine aber auch im endoplasmatischen Retikulum und anderen Strukturen des Zellplasmas vor. Sie fungieren auch als Transporter für intrazelluläre Substanzen, beispielsweise Leukotrien C4, 17-b-Estradiolglucuronid und Glutathiondisulfid. Möglicherweise verhindern die Proteine die Zytostatika-Akkumulation in der Zelle, indem sie die Substanzen erst an Glutathiondisulfid konjugieren und dann aus der Zelle befördern. Tumorzellen, die gegen Doxorubicin resistent sind und vermehrt MRP-190 bilden, weisen Kreuzresistenzen gegen Anthracycline, Epipodophyllotoxine und Vincaalkaloide auf, bleiben jedoch gegenüber Antimetaboliten und Platin enthaltenden Zytostatika empfindlich. Im Unterschied zu Tumorzellen mit PG-170-Überproduktion sind Tumorzellen mit MRP-190-Überproduktion resistent gegen bestimmte Schwermetallsauerstoffanionen, wie Arsenit, aber empfindlich gegenüber Mitoxantron. Gegenüber Colchicin und Taxol zeigen sie eine geringgradige Resistenz. Dieselben Zytostatika können eine vermehrte Bildung von PG-170 oder MRP-190 oder beider Proteine auslösen. Bislang ist unklar, welche Faktoren bestimmen, welches der beiden Transportproteine vermehrt gebildet wird. Überproduktion der Proteine bei bestimmten Krebsarten Eine Überproduktion der Mehrfachresistenz-Proteine wurde in Zellen aus Lungen-, Darm-, Magen-, Brust- und Eierstockkrebs, aus Schilddrüsentumoren, Neuroblastomen und Gliomen sowie von Patienten mit akuter oder chronischer Leukämie beobachtet. Der ideale Hemmstoff eines Mehrfachresistenzproteins wäre ein kleines synthetisches Molekül, das oral verabreicht werden kann. Er sollte lipophil genug sein, um die Plasmamembran zu durchdringen und wenig toxische Nebenwirkungen haben.
Chemoresistenz rückgängig machen Verschiedene Wirkstoffe wurden mit eher mäßigem Erfolg eingesetzt, um die Chemoresistenz rückgängig zu machen. Problematisch bei solchen ≥Chemosensitizern", wie Verapamil, Chinidin und Ciclosporin, ist, daß die notwendige Konzentration und Wirkungsdauer nicht erreicht werden können. Mit Tamoxifen gelang es, die Doxorubicinresistenz von Brustkrebszellen wiederaufzuheben. Diese Wirkung scheint auf einer Konkurrenz an den Bindungsstellen des P-Glykoproteins mit der Folge eines verringerten Zytostatikaausstroms zu beruhen. Substanzen mit unterschiedlichster Struktur, zum Beispiel die Dihydropyridine Nicardipin und NIK-250, Difloxacin, der Leukotrien-D4-Rezeptorant-agonist MK-571 sowie das Ciclospo-rinanalogon PSC-833, können bestimmte Tumorzelltypen gegen manche Zytostatika sensibilisieren. Die Immunsuppressiva Ciclosporin und Tacrolimus führten beispielsweise zur verstärkten Anhäufung von Epirubicin in mehrfachresistenten Leukämiezellen. Hochwirksame zellspezifische Hemmstoffe der Mehrfachresistenzproteine gibt es noch nicht. Eine andere Strategie zur Aufhebung der Mehrfachresistenz ist die Entleerung der Glutathiondisulfidvorräte der Tumorzelle mit dem Gamma-Glutamyl-Cystein-Synthetasehemmer Bu-thioninsulfoximin (BSO). Hiermit konnten MRP-190-überproduzierende Zellen gegen ausgewählte Zytostatika empfindlich gemacht werden, allerdings wurden zugleich Signalübertragungswege und intrazelluläre Gleichgewichte gestört.
Behandlung mit Antisense-Oligonukleotiden Ein weiterer Ansatz ist die Behandlung mit Antisense-Oligonukleotiden oder synthetischen Ribozymen, die an der mRNA von PG-170 oder MRP-190 angreifen. Ribozyme sind substratspezifische RNA-Moleküle, die andere RNA-Moleküle schneiden können und so die Proteinsynthese verhindern. Hiermit wurde die durch PG-170-vermittelte Resistenz teilweise aufgehoben. Allerdings sanken die mRNA- und Proteinspiegel nur vorübergehend. Chemisch veränderte Oligonukleotide können die Bildung der Mehrfachresistenzproteine in Zukunft möglicherweise wirksamer und anhaltender verhindern und so die Resistenz vollständig aufheben.
Reddy, D. S.: Development of multidrug resistance protein inhibitors. Drugs of the Future 22, 653–660 (1997).
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