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- DAZ 19/1998
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Kommentar
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat Entscheidungen gefällt, die auch für das deutsche Gesundheitswesen von grundlegender Bedeutung sind. Patienten in der Europäischen Union können sich demnach die Kosten für eine medizinische Behandlung im EU-Ausland von ihrer Krankenkasse erstatten lassen. Die Richter in Luxemburg haben damit anders als die Politiker in Bonn und Brüssel entschieden. Denn die Politiker hatten zuletzt im Amsterdamer Vertrag das Subsidiaritätsprinzip festgeschrieben, jeder Staat in der EU sollte sein Gesundheitswesen selbst organisieren. Die Richter nun pochen auf den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr. Dem Bundesgesundheitsminister treibt dieses Urteil einige Sorgenfalten auf die glatte Stirn. Verständlich: Kompetenzen werden auf die EU-Ebene verlagert, aber die Finanzverantwortung verbleibt bei den Mitgliedstaaten. Wird nun der Massentourismus in die Nachbarländer einsetzen? Vermutlich nicht. Selbst die Krankenkassen, die das Urteil als verbraucherfreundlich bezeichnen, warnten vor einer "Schnäppchenjagd", Patienten sollten auf die Qualität der Behandlung achten. Konzentrieren dürfte sich die Liberalisierung auf Hilfsmittel und planbare Eingriffe wie Zahnersatz, und örtlich gesehen auf grenznahe Gebiete. Beim Zahnersatz macht die Liberalisierung für die Verbraucher einen gewissen Sinn, da nur hier die Kostenerstattung gilt und die Kassen einen Festzuschuß zahlen. Der Restbetrag, den der Patient trägt, könnte sich bei günstigeren Auslandspreisen verringern. Ansonsten gilt in Deutschland nach wie vor das Sachleistungsprinzip. Das Bundesgesundheitsministerium prüft nun, welche konkreten Auswirkungen sich für das deutsche System ergeben. Die Kassen müßten für Leistungen im Ausland zahlen, ohne die Qualität oder Wirtschaftlichkeit beeinflussen zu können. Mittelfristig sind Seehofers Befürchtungen nachvollziehbar, das deutsche System könne ausgezehrt werden. Während hier Kapazitäten bereitstehen, fließen Mittel ins Ausland, die in Deutschland dann fehlen. Ärgerlich für die Regierungen: Weil die Sozialversicherungssysteme und die Volkswirtschaften in der EU auf völlig unterschiedlichem Niveau sind, wollten die Mitgliedstaaten noch keine Sozialunion. Für Seehofer wären die Folgen daraus klar: Entweder würde das hochwertige deutsche System auf ein niedrigeres Niveau nivelliert oder es müßten Finanztransfers in finanzschwache EU-Staaten erfolgen. Beides will Seehofer nicht. Hier steckt noch einiger Sprengstoff. Der Arzneibereich ist im übrigen nicht unmittelbar betroffen. Theoretisch denkbar sind Auswirkungen im grenznahen Bereich, zum Beispiel in den Fällen, in denen der Preis eines Präparates unterhalb der Zuzahlung liegt. Apotheken nahe zur Grenze werden womöglich Änderungen spüren, die anderen nicht. Sinn macht ein Präparatekauf für den Patienten in der Regel nicht, da er von einer eventuellen Differenz nicht profitiert. Das ist beim Festzuschuß beim Zahnersatz anders.
Susanne Imhoff-Hasse
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