Praxis

Neue Therapiekonzepte: Genforscher gegen Migräne

In den letzten Jahren haben Wissenschaftler bei seltenen Formen von erblicher Migräne mehrere Gene entdeckt, die bei den Mitgliedern betroffener Familien verändert sind. Inzwischen mehren sich die Hinweise, daß diese Gene den Einstrom von Calcium und Kalium in Nervenzellen regulieren.

Schon vor einigen Jahren entdeckte eine Forschergruppe von der niederländischen Universität in Leiden, daß ein bestimmtes Gen auf Chromosom 19 bei einer seltenen, aber schweren Form erblicher Migräne bei der Hälfte der Betroffenen verändert ist. Inzwischen haben französische und amerikanische Wissenschaftler in weiteren Familien mit erblicher Migräne zusätzliche Genveränderungen entdeckt. Alle betroffenen Gene auf Chromosom 1 und 19 sind an der Regulation des Einstroms von Calcium und Kalium in Nervenzellen beteiligt: In ihnen ist die genetische "Bauanleitung" für sogenannte Ionenkanäle verschlüsselt. Derartige Störungen an den Ionenkanälen spielen auch bei anderen neurologischen Erkrankungen, etwa erblichen Muskelerkrankungen, eine Rolle, die wie die Migräne attackenartig verlaufen. Darum vermuten die Experten, daß solche Störungen an den Ionenkanälen weniger für die Erkrankungen selbst als vielmehr für deren attackenförmigen Verlauf bedeutsam sind. Derartige Erkenntnisse, die zunächst nur eine Minderheit der Migränepatienten betreffen, sind gleichwohl auch für alle anderen Migränepatienten langfristig bedeutsam. Vielleicht können in absehbarer Zeit neue Medikamente entwickelt werden, die gezielt diese Ionenkanäle beeinflussen und dadurch die Häufigkeit der Migräneattacken zumindest reduzieren. Medikamente, die den Calcium-Einstrom in Zellen hemmen, Calciumantagonisten, werden zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt. Allerdings können sie - wie klinische Studien belegen - Migräneanfälle nicht verhindern. Dies könnte unter anderem damit zusammenhängen, daß diese Substanzen die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können. Wenn es jedoch gelänge, Substanzen zu entwickeln, die gezielt nur die Ionenkanäle im Gehirn beeinflussen, könnte dies neue Möglichkeiten für die Migräneprophylaxe eröffnen.

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