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- DAZ 22/1998
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Die Seite 3
Im Gesundheitswesen fehlt Geld? Nicht mehr lange! Wenn wir doch nur den Verfechtern einer "evidence-based-medicine" mehr Gehör schenken würden - die Defizite würden sich schnell in Überschüsse verwandeln. Allerdings, schon der Begriff ist mißverständlich: Gemeint ist nicht eine "Evidenz" in dem deutschen Wortsinn, daß eine medizinische Maßnahme oder Methode dem Arzt oder Patienten unmittelbar einleuchtend, gewissermaßen selbstredend sinnvoll (evident) erscheint. Eher ist das Gegenteil richtig: gemeint ist eine strikte Ausrichtung der Medizin an streng rationalen wissenschaftlichen Methoden. Anerkannt soll nur noch werden, was wissenschaftlich fundiert belegt worden ist - kontrolliert, doppelblind und randomisiert. Und auch die Kosten-Nutzen-Relation soll stimmen. Einer "evidenzbasierten Medizin" das Wort zu reden, ist derzeit "in". Die Kassen tun es (fast) alle, der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen plädiert dafür, und unlängst räusperte sich die Arzneimittelkommission der Ärzteschaft und auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung in diesem Sinn. Dagegen läßt sich, finde ich, zunächst einmal wenig einwenden. Allerdings sollten dann, bitte schön, auch alle Therapie- und Diagnoseverfahren nach vergleichbar strengen Kriterien auf den Prüfstand gestellt werden. Und nicht nur das, was der Volksmund meint, wenn er von "seiner Medizin" spricht - den Arzneimitteln also. Allzu oft wird bislang noch mit zweierlei Maß gemessen. In ihrer Wirkung und Wirksamkeit durchaus nach relativ strengen Kriterien geprüfte "rationale Phytopharmaka" (z.B. Ginkgo-, Kava- oder Johanniskrautpräparate) oder auch chemisch-synthetische Stoffgruppen (z.B. Nootropika) werden z.B. von den Autoren des Arzneiverordnungsreportes zuweilen recht pauschal mit einem Bann belegt. Aber andere Therapiemethoden, zu denen es vergleichbar exakte Belege ihrer Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erst recht nicht gibt, bleiben außerhalb der Kritik, stehen unter dem Schutz der Politik. Das gilt allemal für sehr viele der psychotherapeutischen Verfahren, selbst für jene darunter, die als anerkannt gelten. Es gilt sogar für nicht wenige operative Eingriffe. Dort wird nicht immer pingelig genau darauf geachtet, daß die "Evidenz", der Nutzen der Methode sauber belegt ist. Manchmal stehen in dieser Hinsicht sogar die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen besser da. Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat in einer Richtlinie Kriterien für die Notwendigkeit, den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit von Therapiemethoden festgelegt. Der Nutzen wird über eine Evidenzskala definiert. Der absichtsvolle Hintergrund: Nur die durch Studien untadelig belegten Behandlungs- und Therapiemethoden sollen demnächst noch abrechnungsfähig bleiben. Reinen Praxiserfahrungen oder Expertenmeinungen wird nur ein geringer Evidenzgrad zugestanden. Allerdings: Wenn man derart strenge Maßstäbe durchgängig anlegen würde, blieben von der gegenwärtigen Medizin nicht mehr als 20 oder maximal 30 Prozent übrig - so meinen selbst Propheten der evidenzbasierten Medizin. 20 oder 30 Prozent - das würde vielleicht auch für die Arzneimittel gelten, aber eben nicht nur für sie. Solche szientistische Radikalität mag in der Reinheit des Gedankens ja faszinierend sein. In der Wirklichkeit des Lebens, fürchte ich, bewirkt sie just das Gegenteil. Sie stärkt jene, denen Rationalität eher lästig ist. Jene, die sich absondern, in der Hoffnung, sich so vor Kritik immunisieren zu können. Jene, die Kasse machen wollen, solange es geht, mit obskuren Behandlungsmethoden oder Arzneimitteln oder - um noch weniger faßbar zu sein - mit sogenannten Nahrungsergänzungsmitteln, die sich vom Indikationsanspruch her eigentlich den gleichen Kriterien wie Arzneimittel stellen müßten. Die Protagonisten der evidenzbasierten Medizin - ob sie Cochrane, Sackett, Raspe oder sonstwie heißen - müssen aufpassen, daß sie nicht in die Rolle von Propheten einer neuen Heilslehre gedrängt werden. Sie würden sich damit selbst ihren Einfluß nehmen. Die Versuchung mag groß sein, mit zweierlei Maß zu messen - Arzneimittel z.B. sehr viel strenger zu sehen als andere Behandlungsarten. Sie sollten dieser Versuchung widerstehen. Klaus G. Brauer Aufgepaßt ... In dieser DAZ finden Sie hinter Seite 18 ein tolles Geschenk: Eine CD, mit der sie nach Lust und Laune in (fast) dem gesamten deutschen Buchmarkt recherchieren können. Nicht nur nach Fachtiteln und Fachmedien, sondern nach allem, was Sie gerade interessiert. Und wenn Sie etwas bestellen wollen - wir machen es Ihnen leicht. Leichter gehts kaum.
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