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Genetische Polymorphismen in der Biotransformation
Genetische Unterschiede können prinzipiell sowohl für das Therapieversagen bei einzelnen Patienten als auch für die unerwartet hohe Toxizität einzelner Arzneistoffe bei bestimmten Patienten verantwortlich sein. Durch die vielen möglichen genetischen Unterschiede bei den verschiedensten Biotransformationsenzymen und an den pharmakodynamischen Angriffspunkten selbst ergibt sich eine unüberschaubare Vielfalt an Variationsmöglichkeiten, die auf die Wirkung von Arzneistoffen Einfluß nehmen können. Um eine grundsätzliche Vorstellung von den möglichen Effekten zu geben, sollen hier allein Konsequenzen aus dem genetischen Polymorphismus des Cytochrom P 450-Isoenzyms CYP2D6 vorgestellt werden. Obwohl dieser Polymorphismus schon seit zwei Jahrzehnten bekannt ist, existieren nur wenige Studien zu seiner klinischen Relevanz.
Mögliche Auswirkungen genetischer Polymorphismen
Zu unterscheiden sind -normale Metabolisierer (extensive metabolizer=EM) hinsichtlich des CYP2D6-Isoenzyms von langsamen Metabolisierern (poor metabolizer=PM). In der europäischen Bevölkerung hat die letztgenannte Gruppe eine Häufigkeit von etwa 8%. Bei der Verstoffwechselung eines Arzneistoffes über das genannte Isoenzym müssen sich die genetisch unterschiedlichen Gruppen nicht immer deutlich durch verschiedene Blutspiegelverläufe unterscheiden. Dafür verantwortlich sind beispielsweise erhebliche phänotypische Unterschiede innerhalb der EM-Gruppe und mögliche alternative Biotransformationswege. Außerdem hängen die pharmakokinetischen und klinischen Konsequenzen von den einzelnen Arzneistoffen ab, wie die nachfolgenden möglichen Fälle und dazugehörigen Beispiele zeigen:
- Bei Arzneistoffen wie Metoprolol, bei denen das CYP2D6 den entscheidenden Biotransformationsweg bildet, ist bei den PM mit einer erhöhten Bioverfügbarkeit und verlängerten Halbwertszeit zu rechnen.
- Werden sowohl der verabreichte Arzneistoff als auch sein Hauptmetabolit über CYP2D6 verstoffwechselt und sind beide wirksam, so ist mit einer verstärkten und verlängerten Wirkung beider Substanzen zu rechnen. Dies betrifft beispielweise Imipramin und seinen Metaboliten Desipramin.
- Wird eine Substanz über CYP2D6 in einen unwirksamen Metaboliten umgewandelt und daneben unverändert über die Nieren ausgeschieden, so droht eine Kumulation bei niereninsuffizienten Patienten der PM-Gruppe. Denn hier sind sowohl die Ausscheidung als auch der Abbau zum unwirksamen Metaboliten behindert. Dies betrifft z.B. das Antiarrhythmikum Flecainid.
- Eine wieder andere Konstellation ergibt sich, wenn ein Arzneistoff über das polymorphe Enzym zu einem wirksamen Hauptmetaboliten abgebaut wird. Auch hier dürfte sich die Wirkung insgesamt verlängern.
- Kaum eine klinische Wirkung ist zu erwarten, wenn die Biotransformation über CYP2D6 eine untergeordnete Bedeutung hat und das Produkt dieses Nebenweges nicht hochwirksam ist. Dies betrifft z.B. Propranolol.
- Ganz anders können dagegen die Konsequenzen auch bei einem genetischen Polymorphismus in einem Nebenweg der Biotransformation sein, wenn dessen Produkt hochwirksam ist. Dies mag für Codein gelten, das durch O-Demethylierung zu Morphin umgewandelt wird. Obwohl dies nur ein Nebenweg ist, kann Codein so bei guten Metabolisierern stärker analgetisch wirken als bei Patienten der PM-Gruppe. Belege für diesen Effekt gibt es jedoch nur aus Untersuchungen mit experimentell hergestellten Schmerzzuständen.
Klinische Relevanz
Zu fragen bleibt, welche dieser theoretisch denkbaren Effekte klinische Bedeutung erlangen.
Im allgemeinen ist nur dann mit klinisch bedeutsamen Effekten zu rechnen, wenn das polymorphe Enzym den Hauptweg der Biotransformation betrifft, sofern nicht hochwirksame Metaboliten entstehen. Kritisch können auch Arzneistoffe mit geringer therapeutischer Breite sein.
Pharmakodynamische Unterschiede durch unterschiedliche Anzahl oder Sensitivität der Rezeptoren können die pharmakokinetischen Effekte ganz oder teilweise kompensieren.
Wenn die Dosis durch klinisches Monitoring titriert werden kann, wird die individuelle Biotransformation des Patienten erfaßt und das Problem des Polymorphismus damit gelöst.
Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen, z.B. auf die Aktivität von Enzymen, oder mehrere relevante Polymorphismen bei einem Patienten können schwerwiegende Konsequenzen auslösen.
Induzierte Enzymhemmungen
Durch den letztgenannten Effekt können Personen vom EM-Typ, die Hemmstoffe des CYP2D6-Enzyms als Arzneimittel anwenden, wie Personen vom PM-Typ reagieren. So wirken beispielsweise viele Neuroleptika als potente Hemmstoffe des CYP2D6. In einer schwedischen Studie konnte gezeigt werden, daß die Blutspiegel von Nortriptylin in Kombination mit solchen Neuroleptika signifikant erhöht waren.
Konsequenzen betreffen nicht nur die Metabolisierung von Arzneistoffen. Auch der initiale Schritt der Biotransformation von Ecstasy (MDMA) wird von CYP2D6 katalysiert. Hieraus läßt sich für Anwender vom PM-Typ ein höheres Risiko für eine akute toxische Schädigung durch Ecstasy ableiten. Dagegen drohen den Anwendern vom EM-Typ eher Langzeitschäden durch die neurotoxisch wirksamen Metaboliten von Ecstasy. Auch dabei zählt nicht allein die genetische Veranlagung, sondern auch die mögliche Hemmung des Enzyms durch Arzneistoffe. Besonders zu beachten ist hier die Kombination mit Ritonavir, das neben anderen CYP-Isoenzymen auch CYP2D6 stark hemmt. Demnach besteht sowohl für altbekannte als auch für neue Arzneistoffe erheblicher Forschungsbedarf zur praktischen Bedeutung der genetischen Polymorphismen und der durch Arzneistoffe oder andere Einflüsse induzierten Hemmung von Biotransformationsenzymen. tmb
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