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DAZ aktuell
Standpunkt: Wanzenfrei?
Die Unruhe ist groß. Und die Aufregung. Und der Ärger. Der SPIEGEL erkennt in dem am Freitag im Bundesrat zur Entscheidung anstehenden Großen Lauschangriff einen "Angriff auf die Pressefreiheit". Anwälte fürchten ihre künftige Arbeit behindert. Und über fünftausend Ärzte haben der Ärzte Zeitung gegenüber bekundet, daß sie darin einen "Anschlag auf Ärzte und Patienten" sehen. Mediziner empören sich, daß die Gespräche von Hunderten von Patienten belauscht werden können, nur weil vielleicht ein Verdächtiger mal in die Praxis gekommen ist. Und daß das Vertrauensverhältnis der Patienten zu ihrem Arzt darunter leiden wird, wenn sie damit rechnen müssen, daß Daten aus intimsten Bereichen nicht mehr sicher sind. Präsidenten und Sprecher der Ärzteschaft protestieren, daß hier das Grundgesetz der ärztlichen Schweigepflicht, das Arztgeheimnis, verletzt wird, fordern ein verfassungsmäßig garantiertes Abhörverbot, wie es das Gesetz für Priester und Abgeordnete vorsieht. Nur die Apotheker schweigen. Sind offensichtlich nicht betroffen, weil ihre Apotheken wanzenfrei bleiben dürften. Mit einer "gewissen Verbitterung" stellte ein hochrangiger ABDA-Vertreter, der namentlich nicht genannt sein möchte, fest: "Das interessiert die Apotheker überhaupt nicht. Sie sind nicht problembewußt genug. Ich finde das selber ganz, ganz schlimm." Denn - so die Süddeutsche Zeitung: "Wanzen fressen Freiheit auf." Natürlich ist bei den meisten deutschen Praxen kaum zu erwarten, daß bei ihnen Wanzen tatsächlich installiert werden, genausowenig wie in fast allen Apotheken. Es wird die Ausnahme bleiben, doch die Folgen dieser Ausnahmen sind schwerwiegend. Denn wenn keine strikte Vertraulichkeit mehr gewährleistet wird, wenn nach der Apothekenbetriebsordnung bis Ende des Jahres Beratungsecken eingerichtet werden müssen, dann kann die geforderte Diskretion der Beratung und Information nicht mehr hundertprozentig garantiert werden. Und das dürfte auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und Apotheker belasten. Müßten sich die ApothekerInnen deshalb nicht doch darüber erregen, daß ihre Patienten bald vielleicht nicht mehr absoluter Vertraulichkeit vertrauen können? Schließlich geht es dabei weniger um das Recht der Mediziner, sondern um das Recht der Patienten. Viele Ärzte sind der Aufforderung gefolgt, den Politikern ihre Meinung zu sagen, aktiv in die Diskussion einzugreifen. 93Prozent von über 5000 Medizinern haben in einem Ärzte-Votum der Ärzte Zeitung gegenüber die Meinung vertreten, daß das Lauschgesetz das Arztgeheimnis aushöhlt. Über 63Prozent befürchten, daß Patienten aus bestimmten Gruppen, zum Beispiel Suchtkranke oder AIDS-Patienten, weniger ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen werden, aus Angst, daß ihre Krankheit und Probleme bekannt werden. Und über 74Prozent wollen ihre Patienten auf die Gefahr des Abhörens hinweisen. Über 22Prozent wollen spezielle abhörsichere Gesprächsecken einrichten. Und die Apotheker? Wenn heute so viel von Kooperation zwischen Ärzten und Apothekern die Rede ist, wäre es da nicht an der Zeit, die Forderungen der Ärzteschaft im Interesse des ja angeblich immer im Vordergrund stehenden Patientenwohls zu unterstützen? Mit einem Anruf, einem Fax, einem Protesttelegramm in letzter Minute an den eigenen Abgeordneten, die eigene Landesregierung? "Noch besteht die Chance, daß Ihre Meinung gehört und in Bonn berücksichtigt wird", heißt der Aufruf. Auch wenn der Arzt Dr.Hans-Joachim Lorentz in Birkenwerder schon per Plakat kundtut: "Liebe Patienten, überlegen Sie sich genau, was Sie mir erzählen, auch die Räume eines Arztes und sein Telefon sind nicht mehr abhörsicher." Noch ist es nicht soweit. Aber es kann bald soweit sein. Hans Mohl
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