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Der schwierige Schritt von der Studie in die Realität
Zu den gängigsten Daten, die in klinischen Studien erhoben werden, gehört die relative Häufigkeit eines bestimmten (unerwünschten) Effektes. Dies kann z. B. die Häufigkeit eines Infarktes oder eines anderen kardialen Ereignisses in einer Patientengruppe mit einer bestimmten Medikation und in einer Placebo- oder Vergleichsgruppe sein. Der Quotient aus diesen Häufigkeiten in der Verum- und in der Kontrollgruppe bildet das relative Risiko des Ereignisses mit der untersuchten Medikation im Vergleich zur Kontrolle. Wird dieser Betrag von der Zahl Eins subtrahiert, so resultiert die relative Risikoreduktion:
Relative Risikoreduktion = 1 - (Relative Ereignishäufigkeit in der Verumgruppe / Relative Ereignishäufigkeit in der Kontrollgruppe)
Therapieerfolg in der Studie ...
Multipliziert man diese relative Risikoreduktion mit der relativen Häufigkeit des betrachteten Ereignisses in der Studienpopulation (ermittelt in der Kontrollgruppe), so ergibt sich die absolute Risikoreduktion. Diese Zahl läßt sich jedoch auch einfacher erhalten. Denn sie ist die Differenz aus den relativen Häufigkeiten des betrachteten Ereignisses in den beiden Testgruppen:
Absolute Risikoreduktion = Relative Risikoreduktion x Relative Ereignishäufigkeit in der Kontrollgruppe = Relative Ereignishäufigkeit in der Kontrollgruppe - Relative Ereignishäufigkeit in der Verumgruppe.
Die absolute und die relative Risikoreduktion scheinen somit gleichwertig zu sein, da sie durch einfache arithmetische Operationen ineinander umwandelbar sind. Dies ist jedoch ein Trugschluß, denn die rechnerische Beziehung gilt nur innerhalb der Studie. Entscheidend ist, ob die ermittelten Größen auf die reale Welt übertragbar sind.
Hier erweist sich die relative Risikoreduktion als erheblich stabiler im Vergleich zur absoluten Risikoreduktion. Sie verändert sich in anderen Populationen weniger stark. Die Übertragung der absoluten Risikoreduktion in eine Population mit extrem geringen Wahrscheinlichkeiten für das betreffende Ereignis könnte sogar eine negative Häufigkeit für das Ereignis suggerieren, was offensichtlich unsinnig ist. Außerdem sprechen die erheblich einfacheren statistischen Methoden für die weitere Verarbeitung der relativen Risikoreduktion. Daher sollten weitere Berechnungen stets mit der relativen Risikoreduktion erfolgen, so daß erst die Ergebnisse in Absolutmaße umzurechnen sind.
... und in der Praxis
Doch was kann die relative Risikoreduktion aus einer Studie über die Risikoreduktion in einer realen Population aussagen? Auch hier gilt wieder die Beziehung:
Absolute Risikoreduktion = Relative Risikoreduktion x Relative Ereignishäufigkeit in der betrachteten Population.
Nur ist hier die betrachtete Population nicht die Studiengruppe, sondern eine komplex zusammengesetzte Bevölkerungsgruppe, in der viele Personen enthalten sind, die aufgrund der Einschlußbedingungen nicht in eine Studie aufgenommen würden. Zur Vereinfachung wird angenommen, daß die relative Risikoreduktion aus der Studie übernommen werden kann. Doch muß auf jeden Fall die relative Ereignishäufigkeit aus der tatsächlich interessierenden Zielpopulation verwendet werden. Dies kann im Einzelfall zu ganz anderen Schlußfolgerungen führen als die Verwendung der Werte aus den Studien. Große Abweichungen im Ergebnis ergeben sich naturgemäß, wenn sich die Risiken für das betrachtete Ereignis in der Ziel- und der Studienpopulation stark unterscheiden. Doch sollte in solchen Fällen auch nach möglichen Ursachen für diese Unterschiede gefragt werden.
Gründe können beispielsweise in einer unterschiedlichen Alters- oder Gesellschaftsstruktur, einem hohen Anteil multimorbider Patienten oder in der Compliance liegen. In der Realität dürfte im allgemeinen eine schlechtere Compliance und ein größerer Anteil multimorbider Patienten als in klinischen Studien zu erwarten sein. Die entscheidende Frage hierzu sollte lauten, ob die Ursache für den großen Risikounterschied durch die untersuchte Therapie zu beeinflussen ist. Ist das Erkrankungsrisiko in der Zielgruppe vollkommen anders strukturiert als in der Studie, besteht der Verdacht, daß möglicherweise nicht einmal die relative Risikoreduktion übertragbar ist. In einem solchen Fall hätte die Studie keinerlei Aussagekraft für die gewünschte Zielpopulation.
Praxisbeispiel
Die dargestellten Schwierigkeiten bei der Übertragung von Studienergebnissen in die Praxis erfordern ggf. für diese Übertragung weitere Studien durchzuführen, in denen die Risikodaten für die gewünschten Zielpopulationen ermittelt werden. Ein Beispiel hierfür bildet die CAPRA-Studie, die auf der bekannten CAPRIE-Studie zur Bewertung der kardialen Prävention mit ASS und Clopidogrel aufbaut.
Die CAPRA-Studie versucht, die Ergebnisse der CAPRIE-Studie auf eine Sekundärprävention in der Bevölkerung der kanadischen Provinz Saskatchewan zu übertragen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, daß Clopidogrel in einer "normalen" Bevölkerung mehr zusätzliche kardiale Ereignisse verhindert als in der idealtypischen Studienpopulation, da die Häufigkeit eines solchen Ereignisses in der Realität bei vorgeschädigten Patienten höher als in der Studie ist.
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