Arzneimittel und Therapie

Entstehungsgeschichte eines neuen Arzneimittels: Nur wenige erreichen das Prü

Der durchschnittlich acht bis zu zehn Jahre dauernde Weg eines Wirkstoffes zum Medikament verläuft in Form eines Kreises: Während Forschung und Entwicklung zunächst die Grundlagen für die Substanz schaffen, kümmert sich die Produktion um deren Herstellung; das Marketing informiert Öffentlichkeit und Kunden, und die Verkaufsorganisation erwirtschaftet den Ertrag, mit dem insbesondere Forschung und Entwicklung rückfinanziert werden sollen. Allein dafür muß heute eine Summe von etwa 500 bis 700Millionen DM veranschlagt werden. Können erwarteter Nutzen, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit jedoch nicht deutlich nachgewiesen werden, kommt es schon vorher zu einem Abbruch der Entwicklungsarbeiten an dem Arzneimittel.

Präklinische Entwicklung

Größtenteils lösen Fragen wie: "Welche Störung in der Steuerung des menschlichen Stoffwechsels kann medikamentös beseitigt, welcher krankmachende Effekt verhindert werden?" oder "Lassen sich entsprechende Substanzen herstellen, die von der Norm abweichende Werte wieder einregulieren?" in den Pharmafirmen die Suche nach einem neuen Wirkstoff aus.

Nach Abschluß einer aufwendigen Vorauslese werden in automatischen Testsystemen mögliche Arzneimittelsubstanzen auf passende pharmakologische Wirkungen hin untersucht. Mit Hilfe des "High Throughput Screening" (systematisches Ausfiltern mit hohem Durchsatz) können jährlich je nach Bedarf Hunderttausende bis Millionen natürlicher oder synthetischer Komponenten charakterisiert werden.

Meist verbleiben im nächsten Arbeitsabschnitt noch durchschnittlich etwa 100 Stoffe in der näheren Auswahl, von denen nach weiteren Selektionsschritten die favorisierten an lebenden Zellen in Zell- oder Organkulturen geprüft werden. Entsprechen die Testsubstanzen auch dort den Anforderungen, werden sie üblicherweise patentiert und in ihrem chemischen Aufbau optimiert.

Erst dann werden die Wirkstoffe an Tieren getestet. Dabei wird ermittelt, ob die Substanz und welche Menge davon in einem lebenden Organismus tatsächlich wirkt oder ab wann sie giftig ist. Eine weitere Fragestellung der präklinischen Phase betrifft den Transport des Stoffes im Körper und seinen Abbau.

Damit Qualität und Vergleichbarkeit der Laboruntersuchungen vor dem Einsatz beim Menschen gewährleistet sind, müssen in Europa, den USA und Japan alle toxikologischen Untersuchungen in Planung und Durchführung den Richtlinien der Guten Laborpraxis (Good Laboratory Practice, GLP) entsprechen. Dazu gehört auch die Einhaltung der jeweiligen Tierschutzgesetze.

Einsatz beim Menschen zunächst in niedrigen Dosen

Nach den präklinischen Laborversuchen werden mit den Prüfsubstanzen klinische Studien durchgeführt. Darin werden Wirksamkeit und Verträglichkeit des Wirkstoffes am Menschen beobachtet. Die Substanz wird dabei zunächst in extrem niedrigen und dann in langsam und schrittweise erhöhten Dosierungen verabreicht. Detaillierte Vorschriften zur Durchführung klinischer Forschungsprojekte sind in den europäischen Richtlinien zur Guten Klinischen Praxis (Good Clinical Practice, GCP) und im deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) verbindlich festgelegt.

Nach diesen Vorgaben muß der Initiator einer klinischen Prüfung vor Beginn des eigentlichen Forschungsprojektes eine umfangreiche Dokumentation anlegen. Diese beinhaltet das bisher verfügbare Wissen zum Produkt, eine Nutzen-Risiko-Bewertung auf Basis der pharmakologisch-toxikologischen Daten, einen ausführlichen Prüfplan mit Begründung des Prüfvorhabens und dessen Beschreibung, eine detaillierte Information für die Prüfärzte, die Unterlagen zur Aufklärung der freiwilligen Teilnehmer einschließlich deren Einverständniserklärungen und ihre ordnungsgemäße Versicherung gegen eventuelle Gesundheitsschäden.

Gute Herstellungspraxis (GMP) erhöht die Sicherheit

Schließlich muß sichergestellt werden, daß die klinischen Prüfpräparate nach den derzeit geltenden Leitlinien der Guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, GMP) produziert werden. Hersteller sind beispielsweise verpflichtet, von jedem dieser Präparate Rückstellmuster und Analysenzertifikate aufzubewahren, damit auch nach Jahren noch Prüfungen durch ein unabhängiges Labor möglich sind.

Aufgabe der Ethik-Kommission: Schutz vor Gefahren

Dann werden die Unterlagen mit dem Prüfplan einer unabhängigen Ethik-Kommission vorgelegt. Liegt deren zustimmendes Ethik-Votum vor, werden alle Dokumente bei der Bundesoberbehörde eingereicht. In Deutschland sind dafür das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zuständig.

Die Aufgaben der Ethik-Kommission sind im Arzneimittelgesetz geregelt. Ihre wichtigste Aufgabe ist der Schutz der teilnehmenden Freiwilligen vor einer Gesundheitsgefährdung. Die Kommission muß den Nutzen klinischer Prüfungen gegen ein mögliches Risiko für diese Personen und den Patienten abwägen. Die Ethik-Kommissionen sind öffentlich-rechtlich organisiert und in Deutschland dem Landesrecht des Bundeslandes unterworfen, in dem sie ihren Sitz haben. Nach internationalen Anforderungen bestehen sie aus mindestens fünf Mitgliedern. Die Mehrheit (mindestens drei) müssen Ärzte sein, deren Aufgaben durch die Berufsordnung geregelt sind. Außerdem müssen ein Jurist und ein medizinischer Laie dazugehören.

Klinische Prüfung in Phase I: Verträglichkeit und Pharmakokinetik

Die klinische Phase unterscheidet vier Stufen. In Phase I erforschen die klinischen Pharmakologen das Verträglichkeits- und das pharmakokinetische Profil der Substanz. Diese Untersuchungen betreffen die Art der Aufnahme (Resorption), Verstoffwechselung (Metabolismus) und Ausscheidung (Elimination) im Körper. Dabei wird geklärt, welche Stoffwechselwege und Organfunktionen der Wirkstoff beeinflußt, wie lange die Wirkung anhält und ob sich unerwünschte Nebenwirkungen einstellen. Dazu wird die Prüfsubstanz an etwa 60 bis 80 gesunden Freiwilligen (Probanden) getestet. Besteht der Wirkstoff jedoch beispielsweise aus zelltoxischen Zytostatika zur Bekämpfung von Krebserkrankungen, wird er nur an bereits erkrankte Patienten verabreicht.

Phase II: Verum- und Plazebogruppe

In den Studien der Phase II soll geklärt werden, ob das Prüfpräparat bei Kranken wirksam ist, welche Nebenwirkungen auftreten und welche Dosis optimal ist. Die dazu notwendigen Untersuchungen werden an 100 bis 500 Patienten durchgeführt. Diese werden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) in je eine von zwei Gruppen eingeteilt. Dadurch wird sichergestellt, daß bekannte und unbekannte Merkmale der Patienten auf beide Gruppen gleichmäßig verteilt sind. Die Patienten der einen Gruppe erhalten im Verlauf der Studie ein Plazebo (Scheinmedikament). Dabei handelt es sich um eine wirkstofffreie Darreichungsform (Dragee, Tablette, Kapsel, Infusionslösung), die jedoch in Farbe und Geschmack mit der wirkstoffhaltigen Medizin (Verum) übereinstimmt.

Zur Unterscheidung von dieser Plazebogruppe wird die andere als Verumgruppe bezeichnet. Keinem der Patienten ist bekannt, zu welcher Gruppe er gehört. Bei den meisten Untersuchungen weiß auch der Arzt nicht, ob die Prüfmedikation, die er seinen Patienten verabreicht, den Wirkstoff enthält oder nicht. In diesem Fall spricht man von "doppelblinden" Studien. Bei schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs oder Aids erhalten die Mitglieder beider Gruppen aus ethischen Gründen weiterhin ihre Standardtherapie, der jeweils das Plazebo oder der neue Wirkstoff hinzugefügt wird.

Phase III: Beweis der Wirksamkeit

Ziel der Studien in PhaseIII ist der Beweis der Wirksamkeit. Weiterhin soll eine Risiko-Nutzen-Abwägung nach kurzzeitiger oder längerfristiger Gabe der Prüfsubstanz ermöglicht und der therapeutische Wert im Vergleich zu Alternativen bestimmt werden. Dazu wird die Prüfsubstanz unter den Bedingungen erprobt, die der späteren Anwendung unter Praxisbedingungen nahezu entsprechen. Um die große Zahl freiwilliger Patienten (1000 bis 5000) sinnvoll eingliedern zu können, finden die Studien meist als sogenannte multizentrische Prüfungen in mehreren Krankenhäusern und Praxen statt. Dabei werden zufallsbedingt männliche und weibliche Patienten ungleichen Alters und verschiedener Herkunft mit Unterschieden in bezug auf Lebens- und Eßgewohnheit sowie Gesundheitszustand ausgewählt.

Auch in Phase IV geht die Dokumentation weiter

Alle Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung einschließlich der Phase III bilden die Grundlage für die Zulassung einer Prüfsubstanz als Arzneimittel. Die Genehmigung kann nach erfolgreichem Abschluß der PhaseIII beantragt werden. Nach der Zulassung durch die zuständigen Behörden darf der pharmazeutische Unternehmer das Medikament in den Verkehr bringen. Auch danach muß der Hersteller in enger zeitlicher Abfolge die Alltagserfahrungen mit dem Arzneimittel in der Praxis gegenüber den Zulassungsbehörden dokumentieren. Ziel dieser Berichte ist unter anderem die Dokumentation von sehr seltenen Nebenwirkungen eines Arzneimittels, die beispielsweise in einer Häufigkeit von 1:20000 auftreten und sich damit in Phase-III-Studien nicht feststellen lassen.

Die Zulassungsbehörde kann bei der Zulassung eines Arzneimittels Auflagen festlegen oder weitergehende klinische Studien fordern. Sinnvoll sind diese oft international organisierten und mehr als 10000 Patienten umfassenden Untersuchungen der PhaseIV vor allem dann, wenn der Effekt einer medikamentösen Behandlung auf die Gesamtbevölkerung beurteilt werden soll. Dabei geht es beispielsweise um Auswirkungen einer kombinierten Anwendung mit anderen Medikamenten, das Sicherheitsprofil bei Langzeitanwendungen oder bisher unbekannte, zusätzliche Wirkungen.

Zwei Zulassungsverfahren in der EU

Beim zentralisierten Zulassungsverfahren wird die Zulassung eines Arzneimittels nicht von einer nationalen Zulassungsbehörde, sondern von der EU-Kommission in Brüssel erteilt. Der organisatorische Ablauf dieses Verfahrens wird von der Europäischen Arzneimittelagentur (European Agency for the Evaluation of Medical Products, EMEA) in London durchgeführt. Das zentralisierte Zulassungsverfahren für innovative und biotechnologische Arzneimittel führt zur Erteilung einer europaweit geltenden Zulassung.

Im Zusammenhang mit dem dezentralen Zulassungsverfahren (Verfahren der gegenseitigen Anerkennung) beantragt der pharmazeutische Unternehmer zunächst in nur einem EU-Mitgliedsstaat eine nationale Zulassung. Anschließend kann auf Basis dieser Erstzulassung in dem Referenzmitgliedsstaat auch die Zulassung in weiteren EU-Ländern beantragt werden.

Die Erstzulassung muß innerhalb von 90 Tagen von den Zulassungsbehörden anderer Mitgliedsstaaten anerkannt werden, wenn nicht schwerwiegende Gründe entgegenstehen. Im Gegensatz zum zentralisierten Verfahren, das zu einer europaweit geltenden Zulassung durch die EU-Kommission führt, sind es im dezentralisierten Verfahren weiterhin die Mitgliedsstaaten, die nationale Zulassungsentscheidungen treffen. Daher erstreckt sich die Zulassung für das Arzneimittel jeweils nur auf das Gebiet der an dem dezentralisierten Zulassungsverfahren beteiligten Mitgliedsstaaten.

Für die beiden europäischen Gemeinschaftsverfahren spielen die Europäische Arzneimittelagentur und ihre beratenden Ausschüsse, wie der europäische Ausschuß für Arzneimittelspezialitäten (Committee for Proprietary Medicinal Products, CPMP) und das Committee for Veterinary Medicinal Products (CVMP) eine wichtige Rolle. Zu den Hauptaufgaben der EMEA gehören ihre Kompetenz als wissenschaftliches Schiedsgericht, wenn sich Mitgliedsstaaten nicht über die Anerkennung einer Zulassung einigen können. Außerdem erarbeitet sie wissenschaftliche Bewertungen von Arzneimitteln für zentrale Zulassungsanträge und koordiniert die Arzneimittelüberwachung in der EU.

Ähnliche Verhältnisse in den USA

In den Vereinigten Staaten von Amerika ist die Food and Drug Administration (FDA) die zentrale Zulassungsbehörde. Die Begriffe "New Drug Application" (NDA, Anmeldung eines neuen Wirkstoffes) oder "Product Licensing Application" (PLA, Produkt-Zulassungs-Anmeldung) werden im Zusammenhang mit den Zulassungsanträgen verwendet. Nach Beendigung der drei Studienphasen erfolgt die Auswertung aller Analysen und Daten. Sofern die Ergebnisse positiv ausgefallen sind, wird bei der FDA eine NDA oder PLA gestellt. Vielfach umfassen die abgegebenen Unterlagen mehr als 100000 Seiten. Es ist gesetzlich festgelegt, daß der FDA mindestens sechs Monate Zeit zur Begutachtung der Unterlagen zur Verfügung steht, wobei üblicherweise ein Zeitraum von etwa einem Jahr vergeht. Wenn die FDA die New Drug Application genehmigt, darf das Arzneimittel auf den Markt gebracht werden.

Quellen Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., Bonn, Tel./Fax 022881999-0/99,
Internet: www.vfa.de Pharma Information, Basel, Tel./Fax 0041-06126434-34/35, Internet: www.interpharma.ch Pressematerial der Hoffmann-La Roche, Basel

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