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Verordnungseinschränkungen: Neue Arzneimittel-Richtlinien beschlossen
Zu den Gruppen, die ganz oder teilweise von der Erstattung ausgeschlossen werden, gehören zum Beispiel Antidiarrhoika, Venentherapeutika, Lebertherapeutika oder Lipidsenker.
Die Richtlinien, die Empfehlungen für die Ärzte darstellen, die diese beachten müssen, enthalten eine Synopse aller Verordnungsausschlüsse oder -eingrenzungen (neue und bestehende). Der Bundesausschuß wollte mehr Transparenz schaffen und das Wirtschaftlichkeitsgebot konkretisieren, sagte der Vorsitzende Karl Jung bei der Vorstellung der Richtlinien. Vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen in der GKV seien klare Aussagen nötig, mit welchen Arzneimitteln eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten sichergestellt werden könne. Nach Worten von Jung sind zu den 47 Arzneimittelgruppen, die die Ärzte nach den derzeitigen Richtlinien bereits nur eingeschränkt verschreiben dürfen, 22 neu hinzugekommen.
Neu ausgeschlossen von der Verordnung auf Kassenrezept werden zum Beispiel Antidiarrhoika, wobei (neben weiteren Ausnahmen) Elektrolytpräparate zur Rehydratation von Kindern ausgenommen sind. Weiter werden zum Beispiel ausgegrenzt oral zu applizierende Hämorrhoidenmittel und solche in fixer Kombination zur lokalen Anwendung sowie Kombi-Hustenpräparate, in denen Antitussiva oder Expektoranzien oder Mukolytika in fixer Kombination mit anderen Wirkstoffen vorliegen.
Umstrittener Entwurf
Umstritten war der Entwurf der Arzneimittel-Richtlinien, den das Gremium Ende Juni 1998 vorgestellt hatte. Im anschließenden Anhörungsverfahren meldeten Vertreter von Ärzten, Apothekern und der pharmazeutischen Industrie in teils umfangreiche Stellungnahmen medizinische und rechtliche Bedenken an. Nach Sichtung der 33 Aktenordner seien etliche Änderungen aufgenommen worden, sagte Jung. Ein Beispiel: Bei den ausgeschlossenen Antidysmenorrhoika werden als Ausnahmen neu die Agnus-castus-haltigen Monopräparate aufgeführt, die damit doch verordnungsfähig sind.
Darüber hinaus sei die Anlage neugestaltet worden, die den Ärzten Hilfestellung über die verschiedenen Bestimmungen geben soll. Auch sei die Sondennahrung wieder als Kassenleistung aufgenommen worden. Dies sei allerdings nur möglich gewesen, weil die Regierung die entsprechende Bestimmung im Sozialgesetzbuch per Gesetz geändert hatte (§ 31 SGB V). Daher sei der geplante Ausschluß von Diätpräparaten und Krankenkost einschließlich Sondennahrung entfallen, der im vergangenen Jahr zu einigem Wirbel geführt hatte (die DAZ berichtete).
Individuelle Verordnung
Neugefasst im Vergleich zu den seit 1993 gültigen Richtlinien ist ein Passus zu den individuellen Verschreibungen. Wörtlich heißt es hier: "Die Verordnung von nicht zugelassenen Arzneimitteln und von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen ist unzulässig. Dies gilt auch für die Erprobung." In Einzelfällen dürfen Ärzte nicht-verkehrsfähige Medikamente einsetzen oder für andere Indikationen anwenden. Hier muß die Krankenkasse zustimmen.
Besondere Therapierichtungen
Phytopharmaka, homöopathische oder anthroposophische Mittel werden nicht ausgeschlossen. Ihrer besonderen Wirkungsweise soll Rechnung getragen werden.
Ärzte: "Kein Kahlschlag"
Der Kinderarzt Dr. Jürgen Bausch, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und Mitglied im Bundesausschuß, erläuterte die Richtlinien aus Ärztesicht. Sie seien gerade zum jetzigen Zeitpunkt notwendig, weil die Mediziner angesichts des neuen Arzneimittelbudgets in besonderer Weise mit Arzneiverordnungen umgehen müssten. Wie Bausch sagte, würden die Ärzte künftig mehr als bisher gesetzliche Ausschlüsse beachten und zum Beispiel weniger Erkältungspräparate verordnen und das Wirtschaftlichkeitsgebot stärker anwenden. Der KV-Chef lehnte die im Vorfeld geäußerte Kritik ab, es werde zu starken Einschnitten in der Versorgung kommen. Es werde "keinen Kahlschlag" geben, erklärte er.
Falsch sei auch die Befürchtung, es werde die Therapiefreiheit des Arztes eingeschränkt. Der Mediziner könne abweichend von den Empfehlungen der Richtlinie trotzdem verordnen, müsse dies allerdings dokumentieren.
Beispiel: Rheumasalben überflüssig?
Der Kinderarzt verdeutlichte dies anhand der Rheumasalben. So seien Rheumamittel zur externen Anwendung in der Verordnung eingeschränkt, weil das Behandlungsziel mit anderen Maßnahmen oder kostengünstiger zu erreichen sei. Werde beispielsweise zugleich ein orales Präparat gegen die rheumatische Erkrankung eingesetzt, sei die Salbe überflüssig. Zur Linderung lokaler Beschwerden seien kalte oder warme Umschläge zweckmäßiger und kostengünstiger. Scheide allerdings die systemische Gabe von Antirheumatika (NSAR) aus, könnten Rheumasalben in Ausnahmefällen unter Angabe einer Begründung wie "NSAR-Unverträglichkeit" verschrieben werden.
Nach Worten von Wolfgang Schmeinck, dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen (BKK), steht die Einsparung bei Arzneikosten nicht im Vordergrund, er bezifferte gleichwohl die zu erwartenden Einsparungen auf rund eine Milliarde Mark. Ziel sei es gewesen, die Richtlinien für die Ärzte so konkret zu fassen, dass sie mehr als bisher beachtet würden.
Positivliste gefordert
Sowohl der Ausschußvorsitzende Jung als auch die Ärztevertreter forderten unabhängig von den Arzneimittel-Richtlinien die Positivliste. Der Gesetzgeber solle Klarheit darüber schaffen, was Mediziner zu Lasten der GKV verordnen dürften und was nicht, sagte Dr. Rainer Hess von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die Richtlinien selbst könnten nur konkretisieren, was zur wirtschaftlichen Verordnungsweise gehöre.
Reaktionen
Mehrere Pharmaverbände meldeten Kritik an. So äußerte der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) rechtliche Bedenken, ob der Bundesausschuß überhaupt solche Aufstellungen erlassen dürfe. Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) konstatierte einige Verbesserungen gegenüber dem Entwurf vom Sommer 1998. Trotzdem stellten die Richtlinien einen Eingriff in die Therapiefreiheit des Arztes dar. Leidtragende seien in erster Linie Patienten und Hausärzte, denen die Verordnung bisher gebräuchlicher Medikamente verwehrt werde. Der BPI kritisierte, dass die Richtlinien Medikamente gegenüber anderen Behandlungsformen diskriminierten, obwohl Arzneimittel die am besten untersuchten Therapieformen seien. Der Verband forderte die Ministerin auf, die Richtlinien nicht zu genehmigen.
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) warf dem Gremium aus Ärzten und Kassen innovationshemmende Akzente vor. Der Bundesausschuß erschwere die Therapie nach dem neuesten Erkenntnisstand. Der VFA bemängelte, dass Heilversuche auf Einzelfälle beschränkt würden und von der Zustimmung der Kasse abhingen. Dies sei medizinisch und ethisch problematisch, aber auch zu bürokratisch.
Kastentext: Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen
Der Bundesausschuß besteht aus je neun Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen sowie aus drei Unparteiischen. Das Gremium hatte Ende am 26. Juni 1998 nach fast zweijähriger Arbeit einen Entwurf neuer Arzneimittel-Richtlinien vorgelegt, zu dem etliche Verbände anschließend in der Anhörung medizinische und rechtliche Bedenken anmeldeten. Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat am 8. Januar 1999 eine umfangreiche Neufassung der Arzneimittel-Richtlinien beschlossen. Zu den 47 Arzneimittelgruppen, die die Ärzte nach den derzeitigen Richtlinien bereits nur eingeschränkt verschreiben dürfen, kommen 22 Gruppen neu hinzu. Die Bundesgesundheitsministerin hat das letzte Wort. Beanstandet sie diese Fassung nicht, treten die Richtlinien am 1. April in Kraft.
Kastentext: Arzneimittel-Richtlinien
Die Richtlinien
- beschreiben allgemeine Regeln wirtschaftlicher Verordnungsweise,
- stellen Leistungsausschlüsse und -einschränkungen, soweit sie sich unmittelbar aus Gesetz und Rechtsverordnungen ergeben, zusammenfassend dar,
- treffen die sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden Konkretisierungen einschließlich der sich daraus ableitenden Leistungsausschlüsse und -einschränkungen,
- geben mit indikationsbezogenen Therapieempfehlungen und wirkstoffbezogenen Therapiehinweisen Entscheidungshilfen für geeignete Behandlungsstrategien und eine therapeutisch zweckmäßige wirtschaftliche Arzneimittelversorgung und
- ermöglichen eine therapie- und preisgerechte Arzneimittelauswahl, auch unter Berücksichtigung der Festbeträge nach § 35 SGB V.
aus: Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
Kastentext: Was heißt "unwirtschaftliche Arzneimittel"?
Der Bundesausschuß hat Kriterien zur Beurteilung von Unwirtschaftlichkeiten entwickelt und Arzneimittelgruppen benannt, deren Verordnung unter Berücksichtigung dieser Kriterien unwirtschaftlich ist.
Das trifft für Arzneimittel zu,
- die nicht der Behandlung von Krankheiten dienen oder deren Anwendung aus medizinischen Gründen nicht notwendig ist,
- bei denen das angestrebte Behandlungsziel mit anderen medikamentösen Maßnahmen medizinisch zweckmäßiger und/oder kostengünstiger zu erreichen ist,
- bei denen das angestrebte Behandlungsziel ebenso mit nichtmedikamentösen Maßnahmen medizinisch zweckmäßiger und/oder kostengünstiger zu erreichen ist,
- bei denen anstelle von fixen Wirkstoffkombinationen das angestrebte Behandlungsziel mit therapeutisch gleichwertigen Monopräparaten medizinisch zweckmäßiger und/oder kostengünstiger zu erreichen ist und
- für sogenannte traditionelle Arzneimittel, die entsprechend der gesetzlichen Möglichkeit ohne Wirksamkeitsnachweis im Markt sind.
- Darüber hinaus liegt eine unwirtschaftliche Verordnungsweise vor, wenn Arzneimittel, bei denen der Behandlungserfolg wegen individuell unterschiedlichen Ansprechens nicht vorhersehbar ist, ohne besondere Erfolgskontrolle längerfristig verordnet werden.
Quelle: Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen
Kastentext: Anforderungen an eine wirtschaftliche Verordnungsweise
Welche Aussagen trifft der Bundesausschuß zum Komplex Verschreibung? Wie sollen die Ärzte vorgehen, um ihre Patienten mit Arzneimitteln zu versorgen? Wir dokumentieren dieses wichtige Kapitel aus den Arzneimittel-Richtlinien.
Der Vertragsarzt soll dem Wirtschaftlichkeitsgebot durch kostenbewußte Verordnung insbesondere in folgender Weise entsprechen:
- Stehen zum Erreichen eines Therapieziels mehrere gleichwertige Behandlungsstrategien zur Verfügung, soll der Vertragsarzt die nach Tagestherapiekosten und Gesamtbehandlungsdauer wirtschaftlichste Alternative wählen.
- Stehen für einen Wirkstoff mehrere, für das Therapieziel gleichwertige Darreichungsformen zur Verfügung, soll der Vertragsarzt die preisgünstigste Darreichungsform wählen.
- Der Vertragsarzt soll bei der Verordnung von Arzneimitteln, die mit gleichem Wirkstoff, Wirkstärke und Darreichungsform von verschiedenen Firmen angeboten werden, ein möglichst preisgünstiges Präparat auswählen.
Der Vertragsarzt soll bei der Verordnung von Arzneimitteln auch wirkstoff- und namensgleiche Importarzneimittel berücksichtigen.
Der Vertragsarzt soll zum Preisvergleich sowie zur Auswahl therapiegerechter Verordnungsmengen die Zusammenstellung nach Nummer 11.6 zugrunde legen (Preisvergleichsliste, Anlage 6). Die zu verordnende Menge (Packungsgröße) hängt in erster Linie von der Art und Dauer der Erkrankung ab:
- Bei akuten Erkrankungen soll der Vertragsarzt eine kleine, für das angestrebte Therapieziel ausreichende Menge verordnen.
- Bei der Neueinstellung auf eine medikamentöse Dauertherapie soll der Vertragsarzt, um Verträglichkeit und Wirkung zu prüfen, dem Patienten eine angemessen kleine Arzneimittelmenge verordnen oder zur Verfügung stellen.
- Bei chronischen Krankheiten kann die Verordnung von großen Mengen wirtschaftlicher sein als die wiederholte Verordnung kleiner Mengen.
- Vor jeder Wiederholung einer Verordnung von Arzneimitteln soll der Vertragsarzt prüfen, ob diese erforderlich ist und ob die verordnete Menge mit der vorgesehenen Anwendungsdauer übereinstimmt. Dabei ist insbesondere auf Arzneimittelmißbrauch, -gewöhnung oder -abhängigkeit zu achten.
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