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Universitäten: 8. Internationales Symposium zur Pharmakologie des Schlaganfalls

Vom 23. bis 25. Juli wurde an der Universität Marburg das 8. Internationale Symposium zur Pharmakologie des Schlaganfalls, das "8th International Symposium on Pharmacology of Cerebral Ischemia" veranstaltet. Das internationale Symposium wird von Prof. Dr. Dr. Josef Krieglstein, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität mit der Unterstützung eines internationalen Beraterkomitees organisiert und führt im zweijährigen Rhythmus die führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Schlaganfallforschung aus aller Welt in Marburg zusammen.

In diesem Jahr stand das Symposium unter der Schirmherrschaft der hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Ruth Wagner, die in einem Grußwort die Teilnehmer in Marburg willkommen hieß und auf die besondere Bedeutung der internationalen Veranstaltung für die Weiterentwicklung der Wissenschaft auf dem Gebiet der neurodegenerativen Erkrankungen hinwies. Die Ministerin betonte in Ihrem Grußwort, dass angesichts der stetig wachsenden Zahl der von Schlaganfall und Morbus Alzheimer betroffenen Patienten, die Entwicklung wirksamer Therapien der neurodegenerativen Erkrankungen eine außerordentlich dringliche Herausforderung darstellt. Zudem hob Sie die Tagung als ein Zeichen der Wertschätzung der Marburger Wissenschaftler auf dem Forschungsgebiet sowie als hervorragende Möglichkeit für junge Nachwuchswissenschaftler hervor, "aktuelles Wissen auf höchstem Niveau zu erfahren". In einem weiteren Grußwort zur Eröffnung des Symposiums informierte der Präsident der Philipps-Universität Marburg, Professor Schaal, die Delegierten über die neuesten Entwicklungen im Zuge der Hochschulreform, die angelehnt an die Systeme in England und den USA, eine beschleunigte, zielgerichtete Ausbildung junger Wissenschaftler im Hochschulbereich anstrebt, um beispielsweise durch vereinfachte Habilitationsverfahren eine frühe Eigenständigkeit zu ermöglichen. Professor Hamprecht von der Universität Tübingen und Präsident der internationalen Gesellschaft für Neurochemie, hob in seiner Begrüßung den interdisziplinären Charakter des Symposiums hervor, das Wissenschaftler aus allen Bereichen der Naturwissenschaften zusammenführt und vor allem für junge Wissenschaftler die Chance bietet, von den Experten auf diesem Gebiet aus erster Hand zu lernen. Die internationale Gesellschaft für Neurochemie förderte in diesem Jahr insbesondere die Teilnahme von herausragenden jungen Wissenschaftlern in Form von Reisestipendien.

Symposium mit interdisziplinärem Charakter

Wie viele Teilnehmer betonten, liegt der besondere Reiz des internationalen Symposiums nicht nur in der herausragenden Qualität der rund 60 Rednerbeiträge aus den USA, Kanada, Japan und Europa, sondern vor allem auch in dem interdisziplinären Charakter, der es den Wissenschaftlern ermöglicht, experimentelle Ansätze zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen aus sehr verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, neue Ideen und Ansätze zu diskutieren und auch anhand von klinischen Ergebnissen kritisch zu überprüfen. Zudem ist es im Lauf der Jahre immer wieder gelungen, im Symposium neuen Richtungen auf dem Gebiet der Schlaganfallforschung entsprechend ihrer Bedeutung Raum für Diskussionen zu geben und so zu fördern, wie Nancy Rothwell aus Manchester in ihrem Schwerpunktvortrag über die Rolle von Zytokinen, den Mediatoren entzündlicher Reaktionen im Gehirn nach einem Schlaganfall, betonte. Während sie selbst vor zehn Jahren den einzigen Vortrag zum Thema Zytokine und entzündliche Reaktionen im Gehirn hielt, wurden die Teilnehmer des Symposiums in diesem Jahr in 14 Vorträgen über die neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet informiert, so Rothwell. Darüber hinaus werden auf dem Symposium inzwischen nicht nur pharmakologische Aspekte, also Möglichkeiten für die Arzneistofftherapie des Schlaganfalls aufgezeigt, sondern auf einer breiten Basis grundlegende Erkenntnisse zur Pathophysiologie der Gehirnschädigung, insbesondere Mechanismen des Nervenzelltods nach einem Schlaganfall, aufgezeigt, die erst in den nächsten Jahren neue Angriffspunkte für die Pharmakotherapie in der Klinik liefern werden.

Mechanismen des neuronalen Zelltods

Auch in diesem Jahr wurden, neben den neuesten Erkenntnissen zu teilweise bekannten Mechanismen des neuronalen Zelltods und der Gewebeschädigung nach einem Schlaganfall, völlig neue Bereiche der Schlaganfallforschung mit zukunftsweisendem Charakter vorgestellt. Ein wesentlicher Teil der Vorträge und Posterbeiträge beschäftigte sich mit den Mechanismen des Nervenzelltods, der in Folge eines Schlaganfalls einsetzt und zu einer massiven Schädigung des Gehirngewebes mit entsprechenden funktionellen Ausfällen führt. Ein Schlaganfall wird in ca. 85% der Fälle durch den Verschluss einer großen Arterie und zu 15% durch Blutungen im Gehirn ausgelöst und führt über die Unterbrechung der Durchblutung im Gewebe zur Ischämie. Es kommt zu einem schwerwiegenden Mangel an Sauerstoff und Glucose im betroffenen Bereich, damit zu einem raschen Abfall der Energiereserven in den Neuronen und dem Zusammenbruch der physiologischen, lebenserhaltenden Abläufe in den Zellen; ein massiver Zelltod ist die Folge. Wie dieser Zelltod mechanistisch abläuft und über die therapeutischen Ansatzpunkte, die für das Überleben von Neuronen und zum Schutz der Gehirnfunktion möglich sind, gibt es seit Jahren kontroverse Ansichten. Unbestritten ist, dass eine rasche Wiederherstellung der ausreichenden Durchblutung im Gehirngewebe Voraussetzung ist, um möglichst viele Neurone zu retten und die Gehirnfunktion schnell wiederherzustellen.

Nekrose und Apoptose

Zwei verschiedene Wege, die nach einem Schlaganfall zum Zelltod führen, sind beschrieben: Der passive nekrotische Zelltod, der unter Freisetzung des Zellinhaltes zur schnellen Auflösung der Zelle führt und eine starke, zusätzlich schädigende Entzündungsreaktion im Gehirngewebe hervorruft. Daneben ist insbesondere im Randbereich des Infarkts, der auch Hauptziel von Therapieansätzen darstellt, ein aktiver Zelltod zu beobachten, die Apoptose. Bei ihr wird, im Gegensatz zur Nekrose, ein Selbstmordprogramm in der Zelle gestartet, das zu einem "stillen" Zelltod führt, der ohne sekundäre Entzündungsreaktionen abläuft. Bei der Apoptose werden die Fragmente der sterbenden Zelle dann von benachbarten Zellen aufgenommen. Beide Arten des Nervenzelltods werden nach einer zerebralen Ischämie im Infarktgebiet gefunden. Auf dem Symposium konnte jetzt demonstriert werden, dass auch Mischformen zwischen den beiden Formen des Nervenzelltods existieren, wobei das initiale Selbstmordprogramm in eine Nekrose mündet. Für die Therapie des Schlaganfalls kann dies bedeuten, dass es sinnvoll ist, in das Selbstmordprogramm der Zellen gezielt einzugreifen, z.B. durch Hemmstoffe von Caspasen.

Hemmung der Caspase-Aktivität schützt vor Zelltod

Caspasen sind Enzyme, die in der Zelle nach einer Schädigung aktiviert werden und das Selbstmordprogramm anstoßen. Dies geschieht in einer geordneten Folge, wobei in frühen Phasen der Apoptose so genannte Initiator-Caspasen aktiviert werden, die wiederum so genannte Effektor-Caspasen anstoßen, um das Selbstmordprogramm unwiderruflich zu starten. Eine Hemmung der Caspase-Aktivität ist auf verschiedenen Stufen möglich und schützt nach den vorgestellten Daten große Bereiche des Gehirns vor den Schädigungen nach einer Ischämie. Viele der Erkenntnisse zu den Caspasen und anderen Mechanismen der Apoptose werden mit Hilfe von transgenen Tieren gewonnen, in denen die entsprechenden Enzyme entweder ausgeschaltet oder vermehrt gebildet wurden. Daneben interessieren sich die Forscher insbesondere auch für Vorgänge in der Zelle, die zu einer Schädigung von Mitochondrien, den Energielieferanten der Zelle führen. Mitochondrien werden bei einem Schlaganfall offenbar in ihrer Funktion erheblich gestört, was zunächst zu einem Abfall der Energiereserven und zu einem toxischen Anstieg der Calciumkonzentration in den Zellen führt. Zusätzlich tragen geschädigte Mitochondrien ihrerseits zum Zelltod bei, indem sie vermehrt schädigende Sauerstoffradikale bilden und auch Stoffe freisetzen, unter anderem Cytochrom C, das wiederum Caspasen aktiviert, also Apoptose auslöst.

Bildung neuer Neurone mit Hilfe von Stammzellen

Neben den Mechanismen in den Nervenzellen tragen auch sekundäre Reaktionen von anderen Zellen im Gehirn, Astrozyten und Mikroglia, sowie die Einwanderung von Immunzellen aus dem Blut im Zuge der erwähnten Entzündungsreaktionen für die Entwicklung des Schadens nach einem Schlaganfall entscheidend bei. Neue Daten, die auf dem Symposium vorgestellt wurden, belegen allerdings, dass die gleichen Zellen auch ein Potenzial besitzen, Neurone zu schützen, wenn sie rechtzeitig aktiviert werden und protektive Zytokine und Wachstumsfaktoren freisetzen. Besonders interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch die Anwendung von Stammzellen bei neurodegenerativen Erkrankungen und Schlaganfall. In mehreren Beiträgen zu diesem völlig neuen Gebiet wurde gezeigt, dass Stammzellen, die in das geschädigte Gehirn injiziert wurden, sich im Schädigungsbereich ansiedeln, dort in Nervenzellen ausdifferenzieren können, was offenbar zu einer funktionellen Verbesserung führt. Ein solcher Effekt kann nicht nur mit neuronalen embryonalen Stammzellen, sondern auch mit Stammzellen aus dem Knochenmark erreicht werden. Zudem werden neue Strategien entwickelt, Stammzellen im Gehirn vermehrt zu aktivieren und zur Bildung neuer, funktioneller Neurone zu bringen. Bis vor kurzem war ein solcher Ansatz undenkbar, da Regeneration in dieser Form, die Bildung neuer Neurone im reifen Gehirn, nicht bekannt war. Es werden zur Zeit Ansätze verfolgt, die eine solche Regeneration im Gehirn gezielt in Gang setzen sollen.

Mit Gentherapie in Schädigungsmechanismen eingreifen

Ein weiteres neues Gebiet, das auch im Bereich der Schlaganfallforschung zukunftsweisend sein wird, ist die Gentherapie auf der Grundlage einer systematischen Analyse von Genen, die im Verlauf von Schädigungs- oder Reparaturmechanismen im Gehirn aktiv werden. Eine solche Analyse wird nur durch großangelegte, computergestützte Verfahren möglich sein, die den Vergleich der erhobenen Daten in umfangreichen Datenbanken erfordert. Diese Analyse wird - ähnlich wie das "Human Genome Projekt" - ein hohes Maß theoretischer Arbeit mit den über die nächsten Jahre und Jahrzehnte zu sammelnden Daten erfordern. Die Werkzeuge, dieses Projekt anzugehen, sind bereits verfügbar, und die ersten Daten wurden in Marburg vorgestellt. Obwohl auf Jahrzehnte ausgelegt, erhoffen sich die Schlaganfallforscher entscheidende Fortschritte aus diesem Projekt, um nach theoretischer Vorarbeit gezielter in die Schädigungsmechanismen eingreifen zu können. Dies ist auch deshalb überaus wichtig, weil trotz intensiver Forschung auf dem Gebiet des Schlaganfalls und vielversprechender Ergebnisse experimentell wirksamer Substanzen, eine nervenschützende Therapie des Schlaganfalls noch nicht verfügbar ist. Eine weitere wichtige Erkenntnis aus den Erläuterungen zu den weitgehend nicht erfolgreichen klinischen Untersuchungen ist die Notwendigkeit, aus den Fehlern bei der klinischen Anwendung potenziell schützender Substanzen zu lernen und die Studien an den Patienten noch enger auf die experimentellen Befunde abzugleichen. Gleichzeitig werden auf der Grundlage der vorgestellten, neuen Erkenntnisse ständig verbesserte Modelle für die Vorgänge nach einem Schlaganfall entwickelt. In allen Bereichen, von der Betrachtung einer einzelnen Nervenzelle über die tierexperimentellen Modelle des Schlaganfalls und schließlich den Patienten, wurde in Marburg in den letzten Tagen viel Neues berichtet. Die Ergebnisse aus den Diskussionen und Anregungen zu neuen Ansatzpunkten für die Therapie des Schlaganfalls dürfen mit Spannung erwartet werden, wenn in zwei Jahren die Forscher wieder aus der ganzen Welt in Marburg zusammenkommen, um über ihre Forschung zu berichten.

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