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Positivliste: Die Qualität von pflanzlichen Arzneimitteln wird nicht beachtet
In der Positivliste sollen alle Arzneimittel aufgeführt werden, auf die der Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse zur Behandlung einer Erkrankung Anspruch hat. Arzneimittel, die dort nicht aufgenommen worden sind, darf der Arzt nicht zu Lasten der Krankenkasse verordnen. Die Positivliste soll aus einem Hauptteil und einem Anhang bestehen. In den Hauptteil sollen die chemisch-synthetischen Arzneimittel aufgenommen werden. Die pflanzlichen Arzneimittel kommen wie die homöopathischen und anthroposophischen Arzneimittel in den Anhang.
Abwertung von Phytopharmaka befürchtet
Manfred Kreisch, Mitglied der Geschäftsleitung der Firma Schwabe, warnte davor, pflanzliche Arzneimittel als Medikamente zweiter Klasse zu betrachten. Dies entspreche nicht der Meinung der Patienten: "In den letzten zwei Jahren sind wir bei der Versorgung von Kassenpatienten Zeugen eines seltsamen Widerspruchs: Obwohl die Patienten, die mit pflanzlichen Arzneimitteln behandelt werden wollen, wächst, werden diese Medikamente immer seltener verordnet." 1996 haben die gesetzlichen Krankenkassen 2,2 Mrd. für Phytopharmaka bezahlt, pflanzliche Arzneimittel für 260 Mio. DM wurden zusätzlich auf Privatrezept verordnet. 1998 haben die GKV-Versicherten pflanzliche Arzneimittel im Wert von 1,95 Mrd. DM erhalten, 1999 sank diese Zahl auf 1,68 Mrd. DM. Dem standen 1999 320 Mio. DM von Privatverordnungen entgegen. "Der Rückgang der Kassenleistung betrug also 14 %", sagte Kreisch. Auch in diesem Jahr setze sich dieser Trend fort: Im ersten Halbjahr lag laut Kreisch der Verordnungswert pflanzlicher Arzneimittel zu Lasten der GKV bei 0,64 Mrd. DM. "Das bedeutet: In Umfragen genießen zwar pflanzliche Arzneimittel höchstes Ansehen, im Praxisalltag aber nimmt ihr Anteil an den GKV-Verordnungen kontinuierlich ab", meinte Kreisch, "das ist schwer zu verstehen, denn diese Medikamente sind oft billiger und besser verträglich als chemisch-synthetische Präparate."
Insgesamt wurden weniger Arzneimittel verordnet
Kreisch wies darauf hin, dass sich diese Restriktionen nicht mit dem Hinweis auf notwendige allgemeine Sparmaßnahmen begründen ließen, denn wie die Entwicklung der Kosten der GKV für Arzneimittel zeige, habe die Solidargemeinschaft in diesem Zeitraum nicht weniger, sondern mehr Geld für Medikamente ausgegeben. 1998 waren es nach Aussage von Kreisch 333,37 Mrd. DM, 1999 stiegen die GKV-Ausgaben für Medikamente auf 36,2 Mrd. DM. Mengenmäßig wurden weniger Arzneimittel verordnet als im Vorjahr. Das bedeute, so Kreisch, dass in Deutschland immer mehr Geld für immer weniger Medikamente ausgegeben werde.
"Trend zur Zweiklassenmedizin"
"Pflanzliche Arzneimittel werden zunehmend auf Privatrezept verordnet oder zum Selbstkauf ärztlich empfohlen", meinte Kreisch. Er sah hierin einen Trend zur Zweiklassenmedizin. Bei einem Teil der Patienten sei die Therapie reduziert worden, damit bei einem anderen Teil auf die Verordnung teurer chemisch-synthetischer Präparate ausgewichen werden könne. Als Erklärung machte Kreisch Unsicherheit bei den Ärzten darüber aus, inwieweit sie Phytopharmaka tatsächlich verordnen dürften bzw. bei welchen Verordnungen sie Regresse befürchten müssten.
Bringt die Positivliste Licht in den Dschungel?
Mit der Positivliste sei nun geplant, "Licht in den Dschungel des Arzneimittelurwaldes" zu bringen und die Unsicherheit der Ärzte zu beseitigen, führte Kreisch aus. In dieser Liste werden alle Arzneimittel aufgeführt, auf die der Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse zur Behandlung einer Erkrankung Anspruch hat. Arzneimittel, die dort nicht gelistet sind, darf der Arzt nicht zu Lasten der Krankenkasse verordnen. Mit der Positivliste soll sichergestellt werden, dass Kassenpatienten nur solche Arzneimittel erhalten, für die nach den Worten des Sozialgesetzbuches ein "mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen" nachgewiesen wurde. Kreisch kritisierte, dass dieser "mehr als geringfügige Nutzen" nirgends definiert ist. Das erste Ziel der Positivliste sei nach Aussage von Kreisch eine deutliche Reduzierung der Kassenarzneimittel.
Vorschlagsliste von neun Sachverständigen
Neun Sachverständige sollen in einer Kommission bis Mitte 2001 eine Vorschlagsliste erarbeiten, aus der dann das Bundesgesundheitsministerium mit Zustimmung der Bundesländer eine Rechtsverordnung erstellt, die so genannte Positivliste. Kreisch kritisierte das Missverhältnis: "Neun Sachverständige entscheiden also über die Arzneimittelversorgung von 70 Mio. Kassenpatienten. Eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte für die Zulassung, also die Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln mehrere 100 Mitarbeiter benötigt."
Sind Phytopharmaka keine richtigen Arzneimittel?
Im Hauptteil der Positivliste finden sich die chemisch-synthetischen Arzneimittel wieder. Die pflanzlichen Arzneimittel landen mit den homöopathischen und anthroposophischen Arzneimitteln im Anhang. Damit werde suggeriert, so Kreisch, bei pflanzlichen Arzneimitteln handele es sich um Medikamente von minderer Qualität. Kreisch wies darauf hin, dass Phytopharmaka das gleiche strenge Zulassungsverfahren durchlaufen müssten wie chemisch-synthetische Arzneimittel.
Warnung vor Substitutionseffekten
Kreisch wies darauf hin, dass Positivlisten zu einer Substitution mild wirkender durch stark wirkende Arzneimittel führen könnten. Beispielsweise würden bei leichten bis mittelschweren Depressionen dann keine Johanniskrautpräparate mehr, sondern Benzodiazepine eingesetzt. "Das ist weder medizinisch vertretbar, noch aus Patientensicht wünschenswert", kritisierte Kreisch, "unser Gesundheitswesen benötigt Arzneimittel für unterschiedlich schwere Erkrankungen".
Kassenpatienten, die eine pflanzliche Alternative wünschen, müssten diese dann zu 100 % aus eigener Tasche bezahlen. Kreisch bezweifelte, dass eine Positivliste zu nennenswerten Einspareffekten führen würde. Positivlisten verzögerten vor allem Neueinführungen. Der Verbrauch von Arzneimitteln sowie die Qualität der Arzneimittel werde nach der Meinung von Kreisch durch solche Listen nicht verbessert.
Kein Anreiz mehr für Qualitätssicherung
Auch Prof. Dr. Henning Blume von der Firma Socratec aus Oberursel warnte davor, die Phytopharmaka in den Anhang zu verbannen. Firmen, die heute die Qualität ihrer Präparate sicherten, hätten dann keinen Vorteil mehr von ihrem enormen Forschungsaufwand. In den Anhang kämen nämlich nicht einzelne geprüfte Präparate, sondern hier würden pauschal zum Beispiel Johanniskrautpräparate gelistet. Damit würden Hersteller, die sich heute nicht um Qualität und Wirksamkeit ihrer Präparate bemühen, belohnt. Diese Firmen könnten die Ergebnisse seriöser Hersteller auf ihre Produkte übertragen. "Durch die Positivliste werden Trittbrettfahrer gefördert", so Blume. Pflanzliche Arzneimittel sind wesentlich schwerer zu bewerten als chemisch-synthetische Arzneimittel. Bei pflanzlichen Arzneimitteln spielt nämlich nicht nur die Qualität der Ausgangsstoffe eine wichtige Rolle, sondern auch deren Verarbeitung, das Extraktionsverfahren und schließlich die Galenik des fertigen Phytopharmakons. Deshalb sind Phytopharmaka auch nicht austauschbar und in ihrer Qualität nicht vergleichbar. Wirksamkeitsnachweise und Erkenntnisse lassen sich nicht von einem Produkt auf ein anderes übertragen, manchmal sind sogar nicht einmal die Chargen eines bestimmten Arzneimittels in ihrer Zusammensetzung gleich.
Seriöse Firmen belegen laut Blume Qualität und Wirksamkeit ihrer Präparate. Blume meinte, wenn die Positivliste nicht verhindert werde, werde kein Unternehmen mehr Geld in die Qualitätssicherung investieren können. Mit den Worten "Qualität muss sich lohnen", rief Blume zu einem wissenschaftlich gesicherten Umgang mit Phytopharmaka auf. Die Positivliste führe zum Gegenteil.
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