- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 50/2000
- Zur Erinnerung: 150. ...
Feuilleton
Zur Erinnerung: 150. Todestag von Antoine-Germain Labarraque
Das Chlor und seine Verbindungen
Zunächst entdeckte der französische Arzt und Chemiker C. L. Berthollet (1748-1822), dass das Chlor und seine Verbindungen eine mehr oder weniger starke Bleichwirkung besitzen. Er gewann aus einer Chlorkalk- und Pottaschelösung eine Kaliumhypochloritlösung, die seit 1788 in den Manufakturen des Grafen von Artois in Javel bei Paris, als Bleichmittel für Leinwand und Kattun, hergestellt wurde ("Eau de Javelle"). Der Schotte Charles Tennant produzierte ab 1800 in St. Rollox bei Glasgow Chlorkalk als "Bleichpulver". Zu Räucherungen (Fumigation oxymuriatique) wurde das Chlor 1773 erstmals von Guyton de Morveau empfohlen. Von ihm stammt übrigens der Ausdruck "Desinfection" (Morveau: "Desinfection de l'air", 1801). Unter all diesen Forschern und Unternehmern befand sich auch der Apotheker Antoine-Germain Labarraque, der sich mit seiner Natriumhypochloritlösung "Liqueur de Labarraque" einen Namen gemacht hat. In dieser Flüssigkeit hatte er das Kalium der "Eau de Javelle" durch Natrium ersetzt. In späterer Zeit gab es verschiedene Vorschriften zur Herstellung dieser Lösung, die in die Pharmakopöen aufgenommen wurde.
Pharmazeut von der Pike auf
Antoine-Germain Labarraque (*28. März 1777) stammte aus dem Städtchen Oloron-Sainte-Marie (Pyrenees-Atlantiques). Er erlernte in Orthez fast drei Jahre lang die Apothekerkunst, wurde aber bereits 1793 (!) zum Militär (Armee des Pyrenees Occidentales) eingezogen und zum Unteroffizier ernannt. In seiner Freizeit war er bei einem Apotheker in der Garnisonsstadt Saint-Jean-de-Luz tätig. Als Stabsapotheker arbeitete Labarraque später am Militärhospital in Barra (Spanien), erkrankte an Typhus und erhielt 1795 seine Entlassung aus dem Militärdienst.
Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Montpellier, wo er Vorlesungen von Jean-Antoine Chaptal (1756-1832) in Chemie hörte, siedelte er nach Paris über. Hier erhielt er 1799 eine Anstellung in der Offizin der Witwe von Bertrand Pelletier (1761-1797), die von E. Bouillon la Grange und A. A. Parmentier beaufsichtigt wurde. In Paris besuchte er das CollŹge de Pharmacie bzw. (ab 1803) die Ecole de Pharmacie, wo er Vorlesungen von bedeutenden Wissenschaftlern (Louis N. Vauquelin u. a.) hörte. Damit schuf er sich die Grundlagen für seine späteren beruflichen Erfolge. Am 8. Juni 1805 erhielt er sein Apotheker-Diplom und ließ sich 1806 als Apotheker in der rue Saint-Martin 65 zu Paris nieder.
Im Laboratorium seiner Apotheke beschäftigte Labarraque sich mit verschiedenen chemischen Arbeiten (u.a. alkoholische Färbemittel), verfasste einige Publikationen (z.B. über die Auflösung des Phosphors, 1805) und trug 1809 vor der Société de Pharmacie seine Denkschrift über "Die alkoholischen Tinkturen und einige Experimente mit alkoholischen Benzoetinkturen" vor. Als J. N. Corvisart des Marest, der seit 1807 Leibarzt von Napoleon I. war, Labarraque für den Posten eines Apothekers des Kaisers vorschlug, lehnte er diese Ehre ab.
Sieg über den Gestank
1820 setzte die Societe d'encouragement pour l'industrie nationale (Gesellschaft zur Förderung der nationalen Industrie) einen Preis in Höhe von 1500 Francs für die Verbesserung der Darmsaitenherstellung aus. Gesucht wurde eine mechanische oder chemische Methode, die Schleimhaut ohne Mazeration vom Darm zu entfernen und außerdem seine Fäulnis zu verhindern.
Bei der Lösung der Preisfrage stand Labarraque Ch. L. Cadet de Gassicourt (1769-1821), einst Apotheker Napoleons I., mit hilfreichen Hinweisen zur Seite. Für den ersten Teil der Aufgabe fand Labarraque eine Natriumhypochlorit-Lösung, die der Schwede N. G. Sefström bereits 1815 zu diesem Zweck verwendet hatte und die später fälschlicherweise als "Eau de Javalle" bezeichnet wurde, als geeignet. Diese Lösung musste in einer mit einem Glasstopfen fest verschlossenen Flasche an einem kühlen Ort und vor Licht geschützt aufbewahrt werden, da durch Licht und Wärme das Hypochlorit in Chlorat überführt wird.
Was den zweiten Teil der Aufgabe anbetraf, konnte Labarraque auf seine Publikation "L'art du boyaudier" (Kunst der Darmsaitenherstellung) verweisen, die 1822 im Dictionnaire technologique erschienen war. In diesem Beitrag berichtete er u.a. auch von einer wichtigen physiologischen Entdeckung. Er fand, dass bei Pflanzenfressern das Bauchfell sehr dünn ist, während die Mucosa sehr dick ist. Das Gegenteil konnte er bei Fleischfressern feststellen.
Da die Ergebnisse, die Labarraque und zwei andere Kandidaten, die sich an der Lösung der Preisfrage beteiligt hatten, umstritten waren, wurden die 1500 Francs von der Gesellschaft nicht ausgezahlt. Um die Recherchen dennoch weiter voranzutreiben, setzte die Societe einen neuen Preis aus. Für Labarraque war die Sache aber gelaufen, und er wandte sich von nun an hauptsächlich den Problemen auf dem Gebiet der Hygiene zu. 1825 überreichte ihm die Akademie der Wissenschaften in Paris den "Prix Montyon" in Höhe von 3000 Francs, "weil er durch seine zahlreichen Versuche nachgewiesen hat, dass man preisgünstig und einfach die Lösungen gewisser Chlorverbindungen sowohl zur augenblicklichen Vertreibung des Gestanks von tierischer Materie, der sich bei der Fabrikation von Darmsaiten oder bei in Verwesung übergangenen Leichen entwickelt, als auch zur Wiederherstellung der guten Beschaffenheit verdorbener Luft gebrauchen kann." Dafür waren ihm u.a. auch die Hersteller von Darmsaiten sehr dankbar, da von nun an kein grauenhafter Fäulnisgeruch in ihren Werkstätten herrschte.
Desinfektion allerorten
Das entscheidende Experiment mit seinem "Desinfektionsmittel" wurde am 1. August 1823 in Paris vorgeführt. Für seine Leistungen erhielt er 1825 von der Akademie zu Marseille die Medaille für "L'application des chlorures a l'hygiene et a la therapeutique".
Mit seinem Werk "Maniere de se servier du chlorure d'oxyde de sodium, soit pour panser les plaies de mauvaise nature, soit comme moyen d'assainissement des lieux insalubres et de désinfection des matiŹres animales", 1825, warb Labarraque für die Verbesserung der öffentlichen Hygiene. Von nun an kamen seine Kalium- und Natrium-Chlorverbindungen als Desinfektionsmittel (Kanäle, Fischfabriken, Markthallen, Hospitäler, Schlachthäuser, auf Schiffen usw.) schnell in Gebrauch. Ärzte benutzten sie bei der Sezierung von Leichen, für feuchte Wundverbände, zu Einspritzungen gegen Tripper und als Klistiere. 1826 desinfizierten sich damit die Arbeiter, die mit dem Ausschlemmen des Amelot-Kanals beschäftigt waren. Ferner gebrauchte man die Desinfektionsmittel 1824 für den stark von Fäulnis befallenen Leichnam König Ludwigs XVIII., 1830 für die Toten der Juli-Revolution und nach dem Ausbruch der Cholera (1832) in Paris.
Labarraque lieferte seine Chlorverbindungen anfangs kostenlos an verschiedene Krankenhäuser in Havanna und Brasilien sowie an andere Institutionen. Während der Choleraepidemie von 1832 schickte er 200 Flaschen an die Armen seiner Vaterstadt. 1840 besuchte er seine alte Heimat, wo man ihm einen herzlichen Empfang bereitete. Zwei Jahre später verkaufte er an seinen Schwiegersohn Rene Le Canu und seine Tochter seine Apotheke sowie die Urheberrechte seiner Desinfektionsmittel, deren Nutzung er bisher dem Hause Frere überlassen hatte. Die nach ihm benannte Natriumhypochlorit-Lösung, welche selten sogar innerlich benutzt wurde, blieb lange im Gebrauch, bis sie später durch bessere Desinfektionsmittel abgelöst wurde. Labarraque war seit 1824 Mitglied der Academie de Medecine, seit 1836 Mitglied des Rates der öffentlichen Hygiene und Gesundheitspflege des Departement Seine und bereits seit 1826 Ritter der Ehrenlegion. Im Jahr 1846 erlitt er seinen ersten Schlaganfall, am 2. Dezember 1850 starb er in Galluis (Yvelines). Seit 1945 ruht seine Asche auf dem Friedhof Pere-Lachaise in Paris.
Literatur: Poggendorff I, Sp. 1336 M. Bouvet: Labarraque. In: Figures Pharmaceutiques Franaises. Paris 1953, S. 41-46. P. Zekert: Berühmte Apotheker, Bd. 1. Stuttgart 1955, S. 114f. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker (Hrsg. v. A. Hirsch), 3. Aufl., Bd. 3. München/Berlin 1962, S. 638. A. Corbin: Pesthauch und Blütenduft - Eine Geschichte des Geruchs (a. d. Französischen v. G. Osterwald). Berlin 1984, S. 162-164. S. Villa: Beiträge von Apothekern zur Bakteriologie, Desinfektion, und Hygiene in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diss. Basel 1993, S. 129-132. Dictionnaire de Biographie Franaise, Bd. 18, Paris 1994, Sp. 1298f.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.