Feuilleton

125. Todestag von Antoine-Jerome Balard

Innerhalb von ca. 165 Jahren entdeckten Naturwissenschaftler die Elemente in der VII. Hauptgruppe (Halogene) des periodischen Systems der chemischen Elemente und stellten sie in elementarer Form dar: das gasförmige Chlor (1774), das feste Iod (1811), das flüssige Brom (1826), das gasförmige Fluor (1886) und das feste, äußerst seltene Astat (1940). Unter den Entdeckern waren erstaunlicherweise vier Pharmazeuten (C.W. Scheele, B.Courtois, A.J. Balard und H.F.F. Moissan), von denen Balard das Brom entdeckte.

Antoine-Jerome Balard, der am 30. September 1802 in Montpellier als Sohn eines armen Weinbauern geboren worden war, verdiente sich ab seinem 17. Lebensjahr als Laborant und Präparator bei dem Chemieprofessor Joseph Anglada (1775-1833) an der Universität seiner Vaterstadt seinen Lebensunterhalt. 1819 begann er bei Laugier und Blance seine Ausbildung zum Apotheker. Nachdem er 1826 approbiert worden war, eröffnete er in Montpellier eine Apotheke und übte in dieser bis 1839 seinen Beruf aus. Nebenher war Balard als Vorlesungsassistent an der Ecole de Pharmacie und der Faculte des Sciences tätig, wo er von dem Chemiker Jacques Etienne Berard (1789-1869) zum wissenschaftlichen Arbeiten angeleitet wurde.

Entdeckung des Broms

Zunächst begann Balard, sich mit dem 1811 von Bernard Courtois (1777-1838) entdeckten Element Iod zu beschäftigen, und publizierte darüber in den Annales de Chimie et de Physique (28, 1825, S.178) die Arbeit "Note pour servir a l'histoire naturelle de l'iode". Bei seinen Untersuchungen zum Iodgehalt der Asche von Meerespflanzen (Tang u.a.), des Meerwassers, und der Mutterlauge aus den Salinen von Montpellier machte er folgende Entdeckung: Neben dem durch die Zugabe von Stärke blau gefärbten Iod in den mit Chlorwasserstoff versetzten Untersuchungslösungen bildete sich noch eine intensiv gelbe Schicht.

Diesen Stoff schüttelte er mit Ether aus und erhielt eine braunrote Flüssigkeit. Durch Zugabe von Ätzkali verwandelte sich diese zu einem Salz, aus dem sie durch Reaktion mit Braunstein und Schwefelsäure wieder zurückgewonnen werden konnte. Balard erkannte, dass es sich hier um ein Element handelte, das eine große Ähnlichkeit mit Chlor und Iod hatte.

Er gab der braunroten Flüssigkeit den Namen "muride" (von frz. muire = Salzlake) und reihte sie bei den Halogenen ein. Sehr bald wurde die Bezeichnung "muride" von der Kommission der Französischen Akademie, die Balards Ergebnisse noch einmal hatte überprüfen lassen, auf Vorschlag von Gay-Lussac in Brom (von griech. bromos = Gestank) umgeändert, wegen des üblen Geruchs der neuen Substanz. Die Entdeckung des Elements Brom veröffentlichte Balard 1826 im Band 32 der Annales de Chimie et de Physique (S. 337, 382) unter dem Titel "Memoire sur une substance particuliŹre contenue dans l'eau de la mer".

Liebig hatte das Nachsehen

Bereits ein Jahr vor Balard hatte Justus Liebig die Mutterlauge der Saline Theodorshalle bei (Bad) Kreuznach analysiert und dabei neben dem Iod noch eine stark riechende Flüssigkeit gefunden. Diese sah er als "Chlorjod" an und beschäftigte sich deshalb nicht weiter mit ihr.

Sein ganzes weiteres Leben lang hat sich Liebig darüber geärgert, dass er das vermeintliche "Chlorjod" nicht intensiver unter die Lupe genommen und folglich nicht als Element erkannt hatte. Aus Neid spottete er über Balard, der bisher kaum als Wissenschaftler hervorgetreten war: "Das Brom hat Balard entdeckt."

Auch dem Apotheker Carl Jakob Löwig (1803-1890), der sich mit den Solen bei Kreuznach befasste, ging es 1825 so wie Liebig. Auch er erkannte den neuen Stoff nicht als Element. 1829 veröffentlichte Löwig sein Buch "Das Brom und seine chemischen Verhältnisse".

Noch 1826 entwickelte Balard die Bromwasserstoff-Synthese und machte die wässrige Lösung unter der Bezeichnung Acidum hydrobromicum näher bekannt. Er stellte auch erstmals Silberbromid her, das durch Bromwasserstoff aus anderen Silbersalzlösungen ausgefällt wird.

Neue Chlorverbindungen

Aufgrund seiner Fähigkeiten als Naturforscher und Chemiker wandte sich Balard mehr und mehr der Lehrtätigkeit zu. Von Ende 1829 bis 1837 war er als Nachfolger von Duportal "Professeur-adjoint" an der École de Pharmacie in Montpellier und von 1837 bis 1841 Professor für Physik. Während dieser Zeit beschäftigte er sich auch weiterhin mit Halogenen. So führte er Forschungen über die Chlorverbindungen durch, die als Bleichmittel und Chlorkalk verwendet wurden ("Sur la nature des combinaisons decolorantes du chlore", 1834). Dabei gelang es ihm, die unterchlorige Säure (HOCl) und das Dichlormonoxid (Cl2O) darzustellen.

1842 berief man Balard nach Paris, wo er als Chemiker und Assistent von L. J. Thenard (1777 bis 1857) an der Sorbonne tätig war. Damals entdeckte er bei der Zersetzung von Ammoniumhydrogenoxalat das Oxalsäuremonamid ("Sur la decomposition du bioxalate d'ammoniaque", 1844).

In Paris war Balard von 1845 bis 1851 Dozent an der Ecole Normale Superieure, anschließend bis zu seinem Tod Professor der Chemie an dem College de France. Zu seinen bedeutendsten Schülern zählen Guillaume L. Figuier (1819-1894; er war von 1850 bis 1859 Assistent am College de France unter Balard), Charles A. Wurtz (1817-1884), Louis Pasteur (1822-1895) und Marcelin Berthelot (1827-1907).

Letzterer war ab 1851 Assistent von Balard und erhielt 1859 den neu eingerichteten Lehrstuhl für organische Chemie an der Ecole Superieure de Pharmacie. 1867 ernannte man Balard zum Generalinspekteur des Hochschulwesens in Frankreich. Nach seinem Tode wurde dieser Posten M. Berthelot übertragen.

Amylnitrit

In den 34 Jahren, die Balard in Paris lehrte und forschte, hat er u.a. das Amylnitrit entdeckt. Der Ausgangspunkt dafür war seine Beschäftigung mit dem Amylalkohol ("Sur l'alcool amylique", 1844), den er auch im Wein nachwies. 15 Jahre nach der Darstellung des Amylnitrits bemerkte J. Guthrie, dass sich nach Einatmung seiner Dämpfe der Puls beschleunigt und das Gesicht rötet. Der Mediziner T. L. Brunton (1844-1916) führte das Amylnitrit 1867 in die Therapie der Angina pectoris ein.

Etwa 20 Jahre lang (ab 1824) hat sich Balard mit der Entwicklung eines preiswerten Verfahrens zur Gewinnung von Natrium- und Kaliumsulfat aus dem Meerwasser beschäftigt ("Sur l'extraction des sulfates de soude et de la potasse des eaux de la mer", in: Comptes Rendus 19, 1844). Diese Salze wurden für die Soda- und Glasherstellung sowie in anderen Fabrikationszweigen benötigt. Als man 1850 die Salzlager in Staßfurt entdeckte und immer mehr die Methode von Leblanc zur Sodaherstellung benutzte, verlor die von Balard entwickelte Methode an Bedeutung.

Antoine-Jerome Balard wurde von seinen Mitmenschen und all seinen Schülern sehr geschätzt, die in ihm das Vorbild eines wahrhaften Gelehrten erblickten. Er starb am 30. März 1876 in Paris.

Kastentext: Brom als Arznei

Schon bald nach der Entdeckung des Broms fanden Bromverbindungen wie Kaliumbromid Aufnahme in den Arzneischatz wegen ihrer sedativen und betäubenden Wirkung, so als Mittel gegen Epilepsie, gegen Schlaflosigkeit und als Beruhigungsmittel.

Literatur: Roger Dolique: Antoine-Jerome Balard 1802-1876. In: Figures Pharmaceutiques Franaises. Paris 1953, S. 89-94. O. Zekert: Berühmte Apotheker, Bd.2. Stuttgart 1962, S. 13f. Dictionary of Scientific Biography, Bd.I, S.416f. New York 1970. I. Asimow: Biographische Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik. 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1974, S. 255f. S. Engels u. A. Nowak: Auf der Spur der Elemente. 2. Aufl. Leipzig 1977, S. 106f. W. R. Pötsch u.a.: Lexikon bedeutender Chemiker. Leipzig 1988, S. 25. L. F. Trueb: Die chemischen Elemente. Stuttgart 1996, S. 342. Poggendorff, I, Sp. 91f.; III, S. 64.

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