Novel Food

R. Länger, A. Rößle, W. KubelkaDie Noni-Frucht &n

Vor etwa einem Jahr erreichten uns erstmals Berichte über ein neues pflanzliches Produkt mit der Bezeichnung "Noni". Hoffnungen weckte man damit in erster Linie bei Krebspatienten, da behauptet wurde, dass die regelmäßige Einnahme zur Auflösung von Tumoren führen könne. Inzwischen sind zahlreiche Produkte aus der Noni-Frucht im Handel, und falls die Aussagen in den Werbefoldern stimmen, lassen sich damit viele Krankheiten und Beschwerden lindern, die mit herkömmlicher Therapie nur schwer zu behandeln sind (Krebs, Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht, ...). Das Geschäft blüht, obwohl auch bereits kritische Stimmen [1, 2] die Bevölkerung warnen. In Deutschland ist die Abgabe von Noni-Zubereitungen vorläufig verboten [3], da innerhalb der EU für so genannte "Novel Foods" ein Zulassungsverfahren notwendig ist, das noch nicht abgeschlossen ist. Ungeachtet dessen werden die Produkte heftig beworben. Was ist aus wissenschaftlicher Sicht über "Noni" bekannt?

Botanik

Noni-Juice ist der Presssaft aus der Frucht von Morinda citrifolia L., einem Vertreter aus der Familie der Rubiaceae (Abb. 1). Die Pflanze ist ein bis 8 m hoher Strauch oder Baum mit gegenständigen Blättern (Abb. 2); kleine weiße Blüten sind in kugelförmigen, traubenartigen Blütenständen angeordnet. Die Früchte von Morinda citrifolia sind etwa kartoffelgroß, fleischig, eiförmig und bei der Reife gelblich-weiß. Die reifen Früchte sind durch einen unangenehmen Geruch gekennzeichnet, weshalb sie in Australien als 'cheese-fruit' bezeichnet werden. Andere Bezeichnungen für die Pflanze sind "kudu", "nonu" oder "Indischer Maulbeerstrauch".

Die Gattung Morinda umfasst ca. 200 Arten, die in tropischen Regionen verbreitet sind. Viele dieser Arten werden auch traditionell medizinisch angewendet. M. citrifolia ist in Südostasien beheimatet und jetzt von Indien bis Polynesien weit verbreitet [4]. Wegen des unangenehmen Geruchs werden dem Presssaft üblicherweise andere Fruchtsäfte zugemischt.

Inhaltsstoffe Frucht

In der Noni-Frucht kommen hauptsächlich folgende Inhaltsstoffe vor (Abb. 3):

  • Iridoide: Asperulosid und Desacetylasperulosid [5].
  • Glykoside: In einem n-Butanol-Extrakt konnten Diglucoside der Hexansäure, der Oktansäure und des 3-Methylbut-3-en-1-ol nachgewiesen werden [6].
  • Flüchtige Komponenten: Die reife Frucht ist charakterisiert durch einen hohen Gehalt an Carbonsäuren, in erster Linie freie Hexan- und Oktansäure. Im Dichlormethanauszug sind, neben einer Fülle an Spurenkomponenten, Scopoletin und nicht glykosidiertes 3-Methylbut-3-en-1-ol in nennenswerter Menge nachzuweisen [7].
  • Noni-ppt: eine nicht näher definierte "polysaccharidreiche Substanz", die zu ca. 13% im Presssaft enthalten ist [8].
  • Mineralstoffe: Die Analyse eines Noni-Presssaftes ergab einen Kaliumgehalt von 56,3 mMol/Liter, einer mit Orangen- oder Tomatensaft vergleichbaren Konzentration [9].
  • Anthrachinone: Trotz intensiver Literatursuche ließ sich keine Originalarbeit finden, in der Anthrachinonderivate für die Frucht von Morinda citrifolia beschrieben werden. Alle Angaben beziehen sich auf Extrakte der Wurzel, der Stammrinde oder auf Zell- oder Gewebekulturen. Es sind allerdings auch keine Befunde für das Fehlen von Anthranoiden im Fruchtsaft bekannt.

Weiter sollen laut Werbetexten auch organische Säuren und Vitamine vorkommen, entsprechende Publikationen konnten allerdings bislang nicht gefunden werden.

Andere Pflanzenorgane

Die überwiegende Anzahl der Untersuchungen zu Morinda citrifolia betreffen Stamm, Wurzel und Zellkulturen der Wurzel [10, 11, 12]. Hauptinhaltsstoffe sind Anthrachinone wie Damnacanthal, Nordamnacanthal, Morindon, Soranjidiol, Rubiadin u. a. (Abb. 4; Lit. bei [13]). Aufgrund des Gehaltes an Anthrachinonderivaten wurde die Wurzel früher zu Färbezwecken verwendet [7].

Proxeronin, Proxeronase, Xeronin?

Nach Aussagen der Vertreiberfirmen kommt das "Kolloid" Proxeronin in hohem Ausmaß in der Noni-Frucht vor. Proxeronin soll sich mit dem Enzym Proxeronase im Darm zu Xeronin "verbinden". Xeronin, "eine wichtige biochemische Verbindung", wird als "Enzymvorstufe" und als Alkaloid bezeichnet. Eine Recherche in den größten Datenbanken ergab, dass ein Naturstoff namens "Xeronin" in der wissenschaftlichen Literatur bislang nicht beschrieben wurde.

Wirkungen Traditionelle Verwendung

Die publizierten Angaben zur traditionellen Verwendung von Morinda citrifolia (z. B. [4, 14, 15]) betreffen in erster Linie Wurzel, Stammrinde und Blätter, wobei sich aber bei Vergleich der Anwendungsgebiete in verschiedenen Regionen keine bevorzugte Wirkungsrichtung erkennen lässt. Die Frucht ist hingegen in vielen systematischen Arbeiten zur Dokumentation der traditionell verwendeten Pflanzen nicht zitiert.

Die spärlichen Hinweise zur traditionellen Nutzung der Noni-Frucht beziehen sich auf Indikationen ähnlich jener der anderen Pflanzenorgane (entzündliche Prozesse von Haut und Schleimhäuten, Zahnfleischerkrankungen, Beschwerden der oberen Atemwege, Diarrhö, Wurmbefall, Gelbsucht, Fieber). Auch aktuelle mündliche Berichte von Kennern der traditionellen Medizin im Südpazifik attestieren der Frucht dieser Pflanze Bedeutungslosigkeit [16]. Eine gewisse Bedeutung erlangte sie bei Hungersnöten als Nahrungsmittel.

Wissenschaftliche Untersuchungen

  • Antitumor-Aktivität: Die nicht näher definierte Substanz "Noni-ppt" stimulierte an Mäusen, denen Lungenkarzinomzellen injiziert wurden, die Bildung von Tumornekrosefaktor alpha (TNF-alpha), Interleukinen und Interferon gamma (IFN-gamma). Die Überlebenszeit der Mäuse konnte allerdings nur bei Zusatzmedikation mit Chemotherapeutika verlängert werden. Eine therapeutische Relevanz kann aus diesen experimentellen Ergebnissen nicht abgeleitet werden [8].
  • Antibakterielle und antimykotische Wirkung: Die in der Sekundärliteratur zitierte leichte antibiotische Aktivität des Fruchtsaftes lässt sich bei Studium der Originalliteratur nicht verifizieren [17].
  • Klinische Wirksamkeit: Nach den Angaben in einer "Publikation" zu Noni [18] sollen bei verschiedensten Indikationen (Krebs, Herzerkrankungen, Schlaganfall, Diabetes, ...) bereits mehr als 42000 (!) Probanden behandelt worden sein; die Mehrheit der Patienten soll durch regelmäßige Einnahme von Noni-Produkten geheilt worden sein. In der wissenschaftlichen Literatur ist davon allerdings keine einzige Angabe zu finden.

Unerwünschte Wirkungen

Der Konsum eines Glases Noni-Juice vor jeder Mahlzeit führte aufgrund des relativ hohen Kaliumgehalts des Presssaftes nachweislich zu Komplikationen (Hyperkaliämie) bei einem Patienten mit Niereninsuffizienz [9].

Lebensmittel - Verzehrprodukt - Arzneimittel?

Wenn die Werbeaussagen über Noni-Produkte (hochwirksame Inhaltsstoffe wie Proxeronin und Xeronin, Wirksamkeit bei zahlreichen Beschwerden, positiv getestet an über 42 000 Probanden) belegt wären, dürfte eine Zulassung als Arzneimittel völlig unproblematisch sein. Allerdings wurde unseres Wissens bislang in keinem Land eine derartige Registrierung beantragt. Manche Firmen versuchen, Noni-Produkte als "Novel-Food" auf den Markt zu bringen. Lebensmittel, die vor Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung der Europäischen Union (Mai 1997) nicht in nennenswerter Menge gehandelt wurden, müssen ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Da zurzeit kein derartiges Verfahren positiv abgeschlossen wurde, ist in der Bundesrepublik Deutschland derzeit die Abgabe von Noni-Produkten nicht zulässig [3].

In Österreich sind nach Auskunft des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen [19] einige Produkte als Verzehrprodukt angemeldet und nicht untersagt worden. Von der Behörde wird einer Einstufung als Verzehrprodukt stattgegeben, wenn der Antragsteller einen allfälligen Gehalt an proteolytischen Enzymen deklariert und die Freiheit von Anthrachinonderivaten bestätigt. In Österreich sind demnach Noni-Produkte rechtmäßig als Verzehrprodukt auf dem Markt, für eine generelle Warnung vor Noni-Produkten wie in Deutschland sieht das genannte Bundesministerium derzeit keine Veranlassung.

Fazit

Die Literatur zu Morinda citrifolia ist gekennzeichnet von zahlreichen Zitier- und Interpretationsfehlern, vor allem werden Angaben zu Inhaltsstoffen und zur traditionellen Anwendung von Wurzeln und Blättern kritiklos auf die Frucht übertragen. Die Aussagen zu Wirkstoffen und Wirksamkeit in Werbebroschüren entbehren jeder Grundlage.

Das Resümée ist daher ernüchternd:

  • Über "Proxeronin" und "Xeronin", jene "biochemisch" so "wichtigen" Substanzen, finden sich keinerlei wissenschaftliche Publikationen.
  • Die traditionelle Anwendung korreliert nicht mit den Heilanpreisungen in den Werbebroschüren.
  • Die in einem einzigen Tierexperiment beobachtete äußerst schwache Antitumor-Aktivität lässt keinerlei Rückschluss auf eine klinische Wirksamkeit zu.
  • Es gibt keine Dokumentation der behaupteten Anwendung an über 42000 Probanden/Patienten.
  • Ein positiver Effekt für den Konsumenten von Noni-Produkten ist aus wissenschaftlicher Sicht aus den publizierten Daten nicht abzuleiten.

Kastentext: Marketing und Wissenschaft

Die "Karriere" der Noni-Frucht begann Mitte der 90er-Jahre auf Hawaii, das geographisch zu Polynesien zählt. Der überraschende wirtschaftliche Erfolg der Frucht und der daraus durch Fermentation hergestellten Produkte wurde 1999 ihn einem Aufsatz dargestellt [20]. Demnach begannen die gesundheitsbewussten Konsumenten in Hawaii die Noni-Produkte zu schätzen, obwohl keine pharmakologischen oder klinischen Daten verfügbar waren, die dazu berechtigt hätten. Der Erfolg der Noni-Produkte hat bei den Wissenschaftlern zunächst Skepsis ausgelöst. Sollte der Erfolg anhalten, werden vermutlich auch wissenschaftliche Untersuchungen folgen [21]. Im Fall der Noni-Frucht hinkt die Wissenschaft also dem Marketing hinterher. Die Novel-Food-Verordnung von 1997 will im Sinne des Verbraucherschutzes verhindern, dass dergleichen innerhalb der Europäischen Union geschieht.

Literatur [1] Presseaussendung der Arbeiterkammer Steiermark vom 29. 12. 2000, Nr. 63/2000. [2] Verein für Konsumenteninformation, Internetseite (www.konsument.at): Noni-Saft und -Pillen: teuer, illegal und wirkungslos, 5. März 2001. [3] Pressedienst des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, Berlin, Pressemitteilung 07/2001 vom 13. Februar 2001. - Darauf Bezug nehmend: Mitteilung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, Dtsch. Apoth. Ztg. 141: 890. [4] I. A. Abbott, C. Shimazu (1985), J. Ethnopharmacol. 14: 213 - 222. [5] O. Levand, H.O. Larson (1979), Planta Med. 36: 186 - 187. [6] M. Wang, et al. (2000), J. Nat. Prod. 63: 1182 - 1183. [7] J.-P. Farine, L. Legal, B. Moreteau, J.-L. LeQuere (1996), Phytochemistry 41: 433 - 438. [8] A. Hirazumi, E. Furusawa (1999), Phytother. Res. 13: 380 - 387. [9] B.A. Mueller, M.K. Scott, K.M. Sowinski, K.A. Prag (2000), Am. J. Kidney Dis. 35: 310 - 312. [10] K. Inoue, H. Nayeshiro, H. Inoue, M. Zenk (1981), Phytochemistry 20: 1693 - 1700. [11] T. Hiramatsu, M. Imoto, T. Koyano, K. Umezawa (1993), Cancer Lett. 73: 161 - 166. [12] H. Auterhoff, N. Maiss (1960), Pharm. Ztg. 105: 114 - 115. [13] R. Hegnauer (1973), Chemotaxonomie der Pflanzen, Band 6, Birkhäuser Verlag, Basel und Stuttgart. [14] Y. N. Singh (1986), J. Ethnopharmacol. 15: 57 - 88. [15] A. Dittmar (2001), Internetseite (www.dittmar.dusnet.de): Traditionelle Heilpflanzen Samoas. [16] R. Upton, Herbalist und Herausgeber der American Herbal Pharmacopeia (2001), persönliche Mitteilung. [17] D. A. Limyati, B.L.L. Juniar (1998), J. Ethnopharmacol. 63: 201 - 208. [18] N. Solomon (1998): Noni (Morinda citrifolia) - the fruit with 101 medicinal uses, Woodland Publishing, Pleasant Grove - Utah. [19] Stellungnahme des Österreichischen Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen über die Beurteilung von Noni-Zubereitungen, März 2001. [20] A. R. Dixon, H. McMillen, N.L. Etkin (1999), Ferment this: The transformation of Noni, a traditional Polynesian medicine (Morinda citrifolia, Rubiaceae). Economic Botany 53 (1): 51 - 68. [21] M. Heinrich (2001), Ethnopharmazie und Ethnobotanik, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, S. 130 f.

Ergänzter Nachdruck aus der Österreichischen Apotheker-Zeitung Nr. 7 vom 2. April 2001, S. 320 - 321, mit freundlicher Erlaubnis der Verfasser und der Redaktion.

Seit letztem Jahr sind in Europa zahlreiche Produkte aus der polynesischen Noni-Frucht auf den Markt gekommen. Als neuartige Lebensmittel bedürfen sie gemäß der Novel-Food-Verordnung innerhalb der EU einer Zulassung, die aber bisher nicht erfolgt ist. Der Handel ist also illegal, wie auch das BgVV im Februar 2001 festgestellt hat. Bedenklich ist darüber hinaus, dass die Noni-Produkte mit medizinischen Aussagen beworben werden: Sie sollen bei sonst schwer heilbaren Krankheiten wie beispielsweise Krebs und Diabetes wirksam sein, den Blutdruck senken und schlank machen. Diese Werbung enthält unseriöse Aussagen über angebliche Wirkstoffe, die jedoch der Forschung bislang unbekannt sind, und über klinische Studien, die anscheinend nie stattgefunden haben, jedenfalls nicht dokumentiert worden sind. In Wirklichkeit ist die Datenlage zu den Inhaltsstoffen und den Wirkungen der Noni-Frucht sehr bescheiden

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