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DAZ aktuell
Demenz: Therapieempfehlungen in der Kritik
Die Therapieempfehlungen zur Demenz waren im Januar 2001 in 2. Auflage erschienen. Gegenüber der 1. Auflage hat sich eine Reihe von Änderungen ergeben, weil in den letzten Jahren neue Antidementiva auf den Markt gekommen sind. Die Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) haben besonders weit reichende Bedeutung, weil Kassenärzte sich gemäß Nr. 14 der Arzneimittel-Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bei der Verordnung von Arzneimitteln für GKV-Versicherte an diesen Empfehlungen orientieren sollen. Das unterscheidet sie von Therapieempfehlungen verschiedener Fachgesellschaften. Zur Demenz gibt es beispielsweise auch eine Behandlungsleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und ein Manual des Bundesverbandes der Allgemeinärzte Deutschlands (BDA).
Selbst definierte Kategorien inkonsequent angewandt
Als ein Hauptkritikpunkt wurde bei dem Symposium geäußert, dass die AkdÄ die selbst definierten Kategorien zur Evidenz nicht konsequent angewandt habe. Mit dem Rubrum "positive Aussage [zur Wirksamkeit] gut belegt" wurde in den Therapieempfehlungen lediglich Donepezil (Aricept®) versehen. Es setzt voraus, dass die Aussage durch mehrere adäquate, valide klinische Studien oder durch eine oder mehrere valide Metaanalysen oder systematische Reviews gestützt wird.
Mindestens eine adäquate, valide klinische Studie mit positivem Ergebnis zur Wirksamkeit wurde für Rivastigmin (Exelon®) konstatiert ("positive Aussage belegt"). Mit einem Unentschieden belegte die AkdÄ dagegen alle weiteren bewerteten Antidementiva, nämlich Ginkgo-biloba-Trockenextrakt (z. B. Tebonin®), Nimodipin (Nimotop®), Dihydroergotoxin (z. B. Hydergin®), Memantin (Akatinol® Memantine) und Piracetam (Nootrop®). Diese Bewertung wird vergeben, wenn nach Ansicht der AkdÄ keine sicheren Studienergebnisse vorliegen, die eine günstige oder schädigende Wirkung belegen, sei es, dass adäquate Studien fehlen oder dass mehrere, aber widersprüchliche Studienergebnisse vorliegen.
Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych. Ralf Ihl, Düsseldorf, führte aus, dass gemäß den Kategorien zur Evidenz, wie sie von der AkdÄ vorausgesetzt werden, nicht nur für Donepezil und Rivastigmin die Wirksamkeit belegt sei, sondern auch für den Ginkgo-biloba-Trockenextrakt EGb 761 (Tebonin®), für Rivastigmin und für Galantamin (Reminyl®, in den Therapieempfehlungen der AkdÄ noch nicht berücksichtigt).
Für alle Substanzen lägen entsprechende Metaanalysen vor. Die schlechtere Beurteilung für EGb 761 stützt sich, so Ihl, lediglich auf eine methodisch fragwürdige Studie, bei der ein fehlender Nutzen bei Bewohnern eines Altenheims mit verschiedenen Hirnleistungsstörungen gefunden wurde. Hier gebe es so viele Unklarheiten, beispielsweise bei der Diagnostik und der Qualifikation der Beurteiler, dass der Therapieerfolg im Grunde nicht beurteilbar sei.
Wirksamkeitsnachweis erbracht
Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller, München, erläuterte die Anforderungen der europäischen Zulassungsbehörde CPMP für den Wirksamkeitsnachweis von Antidementiva. Demnach soll sich ein Antidementivum günstig auf die Bereiche Kognition, Alltagsaktivitäten und Psychopathologie auswirken. Der Wirksamkeitsnachweis erfordert signifikante Testunterschiede bei der Kognition und einem weiteren Bereich in einer mindestens sechsmonatigen Studie (das BfArM fordert dagegen Wirksamkeit auf allen drei Ebenen). Demnach wäre ebenfalls für Donepezil, Rivastigmin, Galantamin, Ginkgo-biloba-Extrakt und Memantin der Wirksamkeitsnachweis erbracht. Möller hob hervor, dass für Memantin sogar Wirksamkeitsnachweise für schwer demente Patienten und für vaskuläre, also durch Hirndurchblutungsstörungen/Schlaganfälle verursachte Demenz vorlägen.
Er gab zu bedenken, dass die Therapie mit Acetylcholinesterase-Hemmern wie Donepezil und Rivastigmin die Differenzialdiagnose einer Alzheimer-Demenz voraussetze, die für niedergelassene Ärzte schwierig sei. Weiterhin kritisierte er, dass die AkdÄ im Wesentlichen auf die Behandlung der Alzheimer-Demenz eingehe und für vaskuläre Demenz und sonstige primäre Demenzformen keine Empfehlung abgebe.
Therapieempfehlungen zurückziehen!
In der Diskussion bestätigte Dr. med. Bernd Zimmer, Wuppertal, Vertreter des BDA, dass er sich als Allgemeinmediziner mit den Therapieempfehlungen der AkdÄ allein gelassen fühle. Viele Fragen der täglichen Praxis, wie Probleme der Komedikation, der Sequenztherapie, der Therapie bei schwer Dementen würden nicht angesprochen. Dr. Ihl kritisierte, dass beispielsweise Verhaltenssymptome dementer Patienten, die den Umgang mit ihnen stark belasten können, in diesen Therapieempfehlungen gar nicht berücksichtigt worden seien.
Anlässlich des Symposiums gaben die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP), die DGPPN und die Hirnliga e. V. eine gemeinsame Stellungnahme heraus, in der sie die AkdÄ aufforderten, die Therapieempfehlungen zurückzuziehen und zu überarbeiten. Die Unterzeichner stellten fest, dass "die Therapieempfehlungen Demenz der AkdÄ in verschiedenen Punkten (methodisches Vorgehen, Transparenz, Bewertungskriterien, Konsens-Bildung) nicht den Tranparenzkriterien, die für die Erstellung von Leitlinien durch die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) publiziert sind, genügen." Dies führe unter anderem zu widersprüchlichen Darstellungen der diagnostischen Möglichkeiten sowie der Einsetzbarkeit von Antidementiva bei vaskulärer Demenz und dazu, dass "die Darstellung der Wirkungen und Nebenwirkungen der Antidementiva selektiv nach unklaren, unbenannten und uneinheitlich wirkenden 'Kriterien' erfolgt und im Ergebnis den Empfehlungen nationaler medizinischer Fachgesellschaften, Berufsverbände und der WHO widerspricht".
Der Vorsitzende der AkdÄ, Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Berlin, wies die Vorwürfe als unberechtigt zurück und verteidigte den ebenfalls kritisierten Umstand, dass die Mitarbeiter an den Therapieempfehlungen anonym bleiben. Er widersprach der Behauptung, die Stellungnahmen der Fachgesellschaften seien bei der Formulierung der Therapieempfehlungen nicht berücksichtigt worden. Vielmehr hätten die DGPPN und die AGNP (Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie) der Endfassung der Therapieempfehlungen zugestimmt. Hier hatte es offenbar ein Kommunikationsproblem innerhalb der Fachgesellschaften gegeben.
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