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Was uns Lipobay über die Marktwirtschaft lehrt (Kommentar)
Die Publizitätsvorschriften des Aktienrechtes haben der Firma Bayer eine Menge Ärger eingehandelt – nicht weil sie dagegen verstoßen hätte, sondern weil sie sie eingehalten hat! So erfuhren Apotheker und Ärzte erst aus der (Börsen-)Presse von den Neuigkeiten über Cerivastatin. Wer sich darüber beklagen möchte, sollte seinen Ärger beim Gesetzgeber abladen, nicht bei der Firma Bayer.
Doch was lehrt uns diese aus pharmazeutischer Sicht kurios anmutende Bestimmung des Börsenrechts? – Die Marktwirtschaft ist keineswegs das gesetzlose Chaos, als das sie viele Kritiker gerne darstellen. Gerade dort, wo die Marktwirtschaft am marktwirtschaftlichsten ist, nämlich an der Börse, gelten die strengsten Regeln. Erst recht in Amerika mit der strengsten Börsenaufsicht der Welt. Dort herrscht keineswegs das Gesetz des Wilden Westens, wie uns viele ABDA-Standespolitiker mit ihrer Kritik gegen "Amerikanisierung" und "Ökonomisierung" des Gesundheitswesens immer wieder glauben machen wollen. Bayer hätte den geplanten Börsengang an der Wall Street sicher für lange Zeit vergessen können, wenn die Firma sogar gegen die (nicht ganz so rigiden) deutschen Börsenregeln verstoßen hätte.
Doch wofür gibt es in der Marktwirtschaft überhaupt so strenge Regeln? Letztlich folgen sie alle einer Logik: Sie sollen die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb sichern. Dafür braucht die Börse Transparenz, d. h. gleichzeitige Information aller Marktteilnehmer. Der gleichen Logik folgen die Kartellbehörden, die die marktbeherrschende Stellung einzelner Unternehmen verhindern sollen.
Einen ähnlichen Fall bilden Kontraktionszwänge. Damit können Unternehmen gezwungen werden, ihre Dienste allen Nachfragern unter gleichen Bedingungen zu öffnen, damit alle von den Vorteilen des Wettbewerbs profitieren können. So kostet ein neuer Telefonanschluss auf einer entlegenen Hallig nicht mehr als in der Großstadt, die Mischkalkulation muss es ausgleichen. Und niemand fordert entsetzt noch billigere Telefone für Städter.
Hier sollten Apotheker aufhorchen! Ist nicht die Arzneimittelversorgung mindestens genauso wichtig wie preisgünstiges Telefonieren? Ist die Mischkalkulation der Apotheken etwa weniger bedeutsam als die des öffentlichen Nahverkehrs oder der Stromversorger? In vielen Bereichen fordert ein fairer Wettbewerb regelnde Eingriffe in den Markt. Dies sind keine Ausnahmen von der Marktwirtschaft, sondern Rahmenbedingungen, die einen fairen Wettbewerb erst ermöglichen!
Mit anderen Worten: DocMorris ist nicht die Marktwirtschaft aus dem Lehrbuch. Denn die setzt fairen Wettbewerb unter gleichen Bedingungen voraus! Darum sollten die Apotheker nicht die angeblich so grausame Ökonomie als Ganzes verdammen, sondern sich deutlich zum Wettbewerb bekennen, aber klare Regeln fordern. Das liegt im Trend und findet in Brüssel sicher mehr Gehör als allgemeines Wehklagen.
Thomas Müller-Bohn
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