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- DAZ 50/2001
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Die Seite 3
...was das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen vorschlägt, dann ist unser Gesundheitswesen nicht mehr das, was es einmal war, es ist vollkommen zerschlagen und verändert. Alle am Gesundheitswesen Beteiligte müssten sich radikal umstellen, Leistungserbringer wie Patienten. Eines lässt sich schon heute sagen: besser wäre es letztendlich nicht, eher schlechter, auf jeden Fall aber anders.
Dabei steht das Gutachten des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen unter der Überschrift "Zur Steigerung von Effizienz und Effektivität der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung". Gemacht ist das Thesenpapier allerdings allein unter dem Blickwinkel, mehr Wirtschaftlichkeit ins System zu bringen, nicht unbedingt, um für die Patienten eine bessere Versorgungsqualität zu gewährleisten. Und genau da sitzt der Schwachpunkt des Gutachtens: die Arzneimittelversorgung lässt sich nun mal nicht unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachten, die Arzneimittelversorgung hat Eigenheiten, die es zu berücksichtigen gilt.
Schade, dass Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt so unreflektiert nach diesem Thesenpapier greift, als sei es die Rettung unseres Gesundheitswesens vor steigenden Kosten, die ultima ratio, die auf einmal unser Gesundheitswesen sanieren könnte. Für mich ist das eher eine Verzweiflungstat der Ministerin - denn sie steht gewaltig unter Druck. Die Kassenbeiträge steigen spürbar an, der Kanzler drückt sein Missfallen an dem Hickhack in der Gesundheitspolitik aus und die Opposition stellte schon Rücktrittsforderungen. Da ist Frau Ministerin richtig froh: so ein Gutachten von Wirtschaftsweisen, auf das man sich zurückziehen kann, kommt da gerade recht nach dem Motto "die müssen ja wissen, was richtig ist".
Vielleicht hätte Frau Schmidt das Gutachten erst einmal in Ruhe durchlesen und mit Fachleuten aus dem Pharma-, Ärzte- und Apothekenbereich diskutieren sollen. Dann wäre z. B. sehr schnell klar geworden, dass man bei Waren durch Aufhebung der Preisbindung zwar einen größeren Wettbewerb bekommt, in der Regel mit sinkenden Preisen (siehe Telefonmarkt oder Strommarkt), aber der Kunde muss viel mehr vergleichen, sieht sich einem Dschungel an Angeboten gegenüber oder wird letztendlich doch übervorteilt. Will man das bei Arzneimitteln, bei einem Gut, das für die Wiederherstellung der Gesundheit eingesetzt wird? Soll der Patient in Zukunft wirklich von Apotheke zu Apotheke ziehen, um ein preisgünstiges Aspirin zu erhalten? Außerdem, was nützt es der GKV, wenn der Kunde seine OTC-Arzneimittel noch günstiger bekommt? Ist es gesundheitspolitisch gewollt, dass bei einer Grippewelle die Grippemittel teurer werden? Ist es gewollt, dass das Arzneimittelangebot unter Gesichtspunkten des Wettbewerbs eingeschränkt wird? Soll die Gesundheit des Menschen einem Preiskampf unterworfen werden?
Und was soll eine partielle Erweiterung des Dispensierrechts für Ärzte bringen? Auf jeden Fall keinen Cent mehr in den Kassen der Kassen. Beispiele aus Ländern mit Systemen, in denen Ärzten dies gestattet ist, zeigen, dass dies nichts spart.
Aufhebung des Versandhandelsverbot - es hätte mich sehr gewundert, wenn das Gutachten sich gegen den Versandhandel ausgesprochen hätte. Irgendwie ist das zur Zeit eine Welle, die durch das Land geht. Jeder glaubt, im Versandhandel liegen enorme Einsparpotenziale, Versandhandel ist einfach "in", Versandhandel ist trendy - dabei will die deutsche Bevölkerung laut Umfragen ihre Arzneimittel gar nicht vom Postboten. Einsparungen lassen sich, wenn man nicht Rosinen pickt, so gut wie nicht erzielen, und die individuelle, persönliche Betreuung bleibt im wahrsten Sinn des Wortes auf der Strecke.
Der Sachverständigenrat glaubt, die Rosinenpickerei dadurch zu entschärfen, dass die Arzneimittelpreisverordnung "gedreht" wird, teure Arzneimittel also billiger werden und niedrigpreisige preislich angehoben werden. Ulla Schmidt will die Versandhandelsproblematik in eine Richtung lösen, bei der auch auf Dauer die wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln durch Apotheken sichergestellt ist - beides Mal schöne Worte, die an den Versuch der Quadratur des Kreises erinnern.
Wenn der Versandhandel kommt, werden kleinere Apotheken sterben, die wohnortnahe Versorgung wird darunter leiden. Und letztendlich wird der Versandhandel auch zu einer totalen Systemveränderung führen mit Kettenapotheken und Fremd- und Mehrbesitz. Wirtschaftsminister Werner Müller ließ bereits durchblicken, dass er offen dafür sei, das Mehrbesitzverbot bei Apotheken zu kippen, den Versandhandel zuzulassen und die Handelsspanne bei Apothekern zu ändern.
Ob es sinnvoll ist, bei der Zulassung eines neuen Arzneimittels noch den Nachweis pharmakoökonomischer Vorteile als vierte Hürde zu verlangen, ist diskussionswürdig. Nur: das würde weitere Studien erfordern, die das Arzneimittel sicher nicht billiger machen würden.
Einem Punkt des Gutachtens dagegen können alle (außer dem Finanzminister) zustimmen: der Senkung der Mehrwertsteuer. Das würde den Kassen sofort rund 3,5 Mrd. DM bringen. Doch diesen Wunsch kann uns nicht einmal der Weihnachtsmann erfüllen.
Peter Ditzel
Wenn das käme,...
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