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Der Gesundheitspass: Die Datenhoheit bleibt beim Patienten
Pläne des Gesundheitsministeriums
Die Pass-Idee ist nicht neu. Unter dem Eindruck der Lipobay-Affäre hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im August diesen Jahres auf die Einführung eines Arzneimittelpasses gedrängt (die DAZ berichtete in ihrer Ausgabe 2001, Nr. 35). Vorgesehen war, dass darauf alle Arzneimittel eines Patienten gespeichert werden, sowohl die vom Arzt verordneten als auch die im Rahmen der Selbstmedikation gekauften. Diese Vorstellungen sind inzwischen weiterentwickelt worden. Dr. Gottfried Dietzel, Leiter der Projektgruppe "Gesundheitspass" im Bundesgesundheitsministerium, stellte den Stand der Überlegungen vor.
Das Ministerium betrachtet den elektronischen Gesundheitspass zugleich als Datenträger und Schnittstelle für die Verbesserung der Kommunikation im Gesundheitswesen. Mit seiner Einführung soll sich die Qualität der medizinischen Behandlung, insbesondere die Arzneimittelsicherheit, verbessern. Da der Pass in der Obhut des Patienten verbleiben soll, wird damit gleichzeitig dessen Eigenverantwortung und -initiative gestärkt. Der Gesundheitspass wird zur Optimierung von Arbeitsprozessen führen und damit zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen beitragen. Ein weiteres Ziel besteht darin, die Transparenz aller erbrachten Leistungen zu erhöhen. Es ist geplant, den Gesundheitspass als Patientenkarte der "2. Generation" einzuführen und damit an etwas anzuknüpfen, das der Patient bereits kennt und womit er umzugehen gelernt hat. Die Datenhoheit liegt beim Patienten, d. h. er entscheidet, ob in ein "Fach" des Passes etwas eingetragen werden soll. Die Nutzung des Passes darf nur in einer seriösen Situation möglich sein, betonte Dietzel. Daher sollen Daten nur in Verbindung mit einer Health Professional Card, dem elektronischen Arztausweis, eingetragen oder gelesen werden können. Das Bundesgesundheitsministerium strebt eine Kompatibilität zu anderen Telematikanwendungen an, damit der Gesundheitspass keine zusätzliche Insel-Lösung ist.
Nach den bisherigen Vorstellungen soll der Gesundheitspass folgende Fächer und Angaben enthalten (siehe Grafik):
- Das "Arzneimittelfach" beinhaltet alle Arzneimittel, die der Patient verordnet bekommt oder im Rahmen der Selbstmedikation erwirbt. Für Eintragungen sind die Ärzte und Apotheker verantwortlich.
- Im Fach "Notfallinformationen" sind in Analogie zum Europäischen Notfallausweis ärztliche Angaben beispielsweise zur Blutgruppe, zu Asthma oder Diabetes gespeichert.
- Das Fach "Weitere Gesundheitsinformationen" enthält zusätzliche Karten oder Pässe wie beispielsweise die DIABCARD, die DENTcard oder die Onco-Card, den Impf- und den Röntgenpass.
- In das Blind- oder Tresorfach könnten Daten eingetragen werden, die der Patient nicht preisgeben möchte, wie beispielsweise die Einnahme von Viagra®. Im Rahmen eines Interaktionschecks sollen diese Daten zum Zwecke der Arzneimittelsicherheit jedoch eingelesen werden können.
- Elektronisches Rezept und Elektronischer Arztbrief werden Papier als Transportmedium ersetzen.
- Eine Verweisfunktion macht Links zu Labor- und Röntgendaten möglich.
- Ein Fach ist für Patientenangaben und Zusatzaufzeichnungen vorgesehen, z. B. Patientenverfügungen und den Organspenderausweis.
- Das Fach für die Versicherungsangaben enthält nicht nur die Krankenkassenmitgliedschaft, sondern auch die EU-Behandlungsberechtigung E 111 und den Zulassungsstatus, der online aktualisiert werden kann.
Das Bundesgesundheitsministerium plant nun, diese Vorstellungen mit Experten zu diskutieren. Nach Festlegung der Eckpunkte müssen die Rechtsgrundlagen für Modellversuche geschaffen werden. Ab 2002 sollen regionale Modellversuche durchgeführt werden. Mit der schrittweisen flächendeckenden Einführung des Gesundheitspasses ist jedoch frühestens in drei Jahren zu rechnen.
Kein Wundermittel
Thema des Statements von Prof. Dr. Bruno Müller-Oehrlinghausen, dem Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, war die "Arzneimittelversorgung und Patientensicherheit aus Sicht der Ärzte". Er forderte eine Prioritätenliste über beabsichtigte und realisierbare Ziele des Gesundheitspasses. Einen großen Vorteil sieht er darin, dass die Informationsvermittlung an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Behandlung verbessert werden kann. Auch die Optimierung der Arzneimitteltherapie und die Erhöhung der Arzneimittelsicherheit erscheinen durch den Gesundheitspass möglich. Müller-Oehrlinghausen warnte zugleich vor übertriebenen Erwartungen. Der Gesundheitspass sei kein Wundermittel. Es genüge nicht, die entsprechenden Daten bereitzustellen, sie müssen auch bewertet werden. Ein Risiko sieht Müller-Oehrlinghausen in der möglichen missbräuchlichen Nutzung des Passes, beispielsweise durch Versicherungen. Sinnvoll sei nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion daher nur eine Nutzung auf freiwilliger Basis. Es sollte einen Anreiz, zum Beispiel in Form eines Bonussystems, für die Patienten geben, den Gesundheitspass vollständig zu bestücken. Müller-Oehrlinghausen plädierte für eine stufenweise Einführung, erste Modellversuche könnten mit chronisch Kranken durchgeführt werden.
Patienteninteressen zuwenig berücksichtigt
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Leiter der Forschungseinheit "Gesundheitspolitik und Evaluation medizinischer Versorgung" am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, stellte kritisch fest, dass im deutschen Gesundheitssystem die Patienteninteressen zuwenig berücksichtigt sind. Er beklagte außerdem Defizite in der Effizienz und Qualität der Behandlung, in der Informationsvermittlung zwischen den Vertragspartnern und bei der Koordination und Leistungsabstimmung. Glaeske belegte seine Ausführungen mit zahlreichen Beispielen. Es wurde beispielsweise festgestellt, dass 30 bis 50% aller Röntgenaufnahmen überflüssig seien.
Der Gesundheitspass könnte ein Hilfsmittel sein zur Lösung der anstehenden Probleme. Er könnte beim Disease Management und bei der Schaffung von mehr Versorgungstransparenz nützlich sein. Glaeske vertrat die Meinung, dass die Einführung von aut idem nur gekoppelt an einen Arzneimittel- oder Gesundheitspass erfolgen kann. Ein dringend notwendiger Datenschutz muss dabei ein Patientenschutz, kein Anbieterschutz, sein.
Vorteile systematischer Arzneimitteldokumentation
Frau Prof. Dr. Marion Schaefer vom Institut für Pharmazie, Arbeitsgruppe Arzneimittelepidemiologie/Sozialpharmazie, der Humboldt-Universität zu Berlin stellte in ihren Ausführungen dar, dass jegliche systematische Arzneimitteldokumentation, ganz gleich ob sie mit einem Pass oder in einem Apothekencomputer erfolgt, eine Reihe von Nutzeffekten bringt. Die Anwendungsdauer eines Medikaments sowie die Compliance des Patienten können damit beurteilt werden. Es lassen sich arzneimittelbezogene Probleme identifizieren, der Interventionserfolg ist kontrollierbar. Nicht zuletzt macht die Sammlung von Daten einen epidemiologischen Erkenntnisgewinn möglich.
Die Vorteile eines Passes sieht Schaefer darin, dass er personengebunden verfügbar ist und überall dort eingesetzt werden kann, wo die entsprechenden technischen Voraussetzungen bestehen. Dem steht als Nachteil gegenüber, dass ein Verlust oder Vergessen leicht möglich ist, was die lückenlose Datenerfassung erschwert. Die Dokumentation der Arzneimittel eines Patienten kann alternativ im Apothekencomputer erfolgen. Dies erscheint sinnvoll, da der Speicherplatz größer ist als beim Pass und etwa 75% aller Patienten immer dieselbe Apotheke aufsuchen. Für diese Patientengruppe ist eine intensive Betreuung möglich. Schaefer berichtete über ein Datenerfassungssystem, das von ihrer Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit ABDA und ABDATA entwickelt wurde. Es handelt sich dabei um eine Basisdatenerfassung im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung. Alle relevanten Daten der Patienten werden zunächst in einer Medikationsdatei erfasst. Mit dem daraus entwickelten Medikationsprofil können in der Apotheke arzneimittelbezogene Probleme identifiziert und die Compliance des Patienten eingeschätzt werden. Letzteres ist mit einem Gesundheitspass allein, der nur Daten speichert, sie aber nicht bewertet, nicht zu realisieren.
Ganz gleich, in welcher Form Arzneimitteldokumentation betrieben wird - durch die Aufdeckung arzneimittelbezogener Probleme und deren Lösung lassen sich im Gesundheitswesen Kosten einsparen. Schaefer stellte eine Modellrechnung zur Abschätzung vermeidbarer Folgekosten durch eine Arzneimitteldokumentation vor. Dabei zeigte sich, dass pro Jahr ca. 1 Milliarde DM durch die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten eingespart werden könnten. Schaefer resümierte, dass eine Entscheidung für oder gegen eine Arzneimitteldokumentation das Recht auf bestmögliche Therapie gegen das Recht auf individuellen Datenschutz abwägen sollte. Gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass ein Datenmissbrauch wirksam verhindert werden kann.
Meinung der Patienten: keine Pass-Pflicht
Dr. Ekkehard Bahlo, Präsident der Patientenschutzvereinigung DGVP, Heppenheim, stellte die Situation aus Sicht der Patienten dar. Erfahrene chronisch Kranke Menschen wünschen sich Telematik, da dadurch viele Doppeluntersuchungen gespart und vernünftige Behandlungsketten erreicht werden könnten. Andererseits befürchten auch viele chronisch kranke Menschen, dass ihre persönlichen Gesundheitsdaten in die Hände von Versicherungen oder Arbeitgebern gelangen werden. Bahlo mutmaßte, dass sich auch einige Ärzte aus Angst vor einem "gläsernen Arzt" gegen den "gläsernen Patienten" aussprechen würden.
Nach Ansicht Bahlos erweckt die Politik mit ihrer Argumentation zur Zeit den Eindruck, als sollten hauptsächlich Einsparpotenziale erschlossen werden. Er lehnte eine Pass-Pflicht kategorisch ab, weil er damit die Selbstbestimmung des Patienten gefährdet sieht. Bahlo forderte, dass viele Dinge vor einer Pass-Einführung genau geregelt werden. Vor allem muss der Einblick des Besitzers eines Gesundheitspasses in seine Daten uneingeschränkt gewährleistet sein.
Bahlo forderte "Ombudsstellen", in denen der Patient seine Daten lesen und zusätzlich eine erläuternde Beratung erhalten könnte. Er warnte davor, den Gesundheitspass als Ersatz für die Lösung struktureller Probleme im Gesundheitswesen zu betrachten. Viele Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung, wie Mangel an Qualität und Patientenorientierung sowie Partikularismus, müssen gleichzeitig angegangen werden. Die Telematik kann nach Bahlos Ansicht jedoch zum Gelingen der Reformarbeit beitragen.
Wie das elektronische Rezept funktionieren könnte
Harald Möhlmann, Leiter des Grundsatzreferates der AOK Berlin, referierte zum Thema "Das elektronische Rezept als Bestandteil des Gesundheitspasses". Bei dem von der AOK und anderen Krankenkassen favorisierten elektronischen Rezept, kurz eRezept, wird die Verordnung des Arztes zunächst vom seinem Computer online an einen Verordnungsserver übermittelt. Der Patient erhält ein Datenblatt ausgedruckt. Er besucht dann eine Apotheke seiner Wahl und legt die Versichertenkarte oder ein vergleichbares Dokument vor. Ein darauf vorhandener Vermerkt gibt dem Apotheker die Möglichkeit, sich das Rezept vom Verordnungsserver herunterzuladen.
Nach Meinung Möhlmanns liegen die Vorteile des eRezepts klar auf der Hand. Die schnelle Datenübermittlung zwischen Arzt, Apotheker und Krankenkassen würde maßgeblich zur Kostenreduzierung im Gesundheitswesen beitragen, denn "Langsamkeit verursacht Kosten". Möhlmann sprach sich jedoch dafür aus, die Segnungen einer technischen Lösung, wie sie auch immer ausfallen mag, nicht überzubewerten. Die grundlegenden Strukturprobleme des Gesundheitswesens ließen sich damit nicht lösen.
Kosten und Nutzen des Passes
Dr. Bertram Häussler, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Institutes für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH (IGES) Berlin und Vorstandsmitglied des Berliner Zentrums Public Health, befasste sich in seinem Beitrag mit den kostentechnischen Fragen einer Einführung des Gesundheitspasses. Grundlage seiner Ausführungen war eine Kosten-Nutzen-Analyse zu einer neuen Generation der Krankenversichertenkarte und zum elektronischen Rezept, die von der ABDA und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. in Auftrag gegeben worden war. Die Ergebnisse liegen seit Mai 2001 vor. Danach würden sich die einmaligen Investitionskosten für die Einführung einer Krankenversichertenkarte der neuen Generation auf rund 1,1 Milliarden DM belaufen. 560 Millionen DM sind von den Ärzten, 442 Millionen DM von den Krankenkassen und 89 Millionen DM von den Apotheken zu tragen. Die jährlichen Betriebskosten werden mit 150 Millionen DM veranschlagt, 77 Millionen DM tragen die Ärzte, 48 Millionen DM die Krankenkassen und 25 Millionen DM die Apotheken. Die Ärzte würden, zum Beispiel durch den Wegfall des Druckens von Papierrezepten, etwa 10 Millionen DM jährlich einsparen. Bedeutend höher werden die Einsparpotenziale bei den Apotheken (80 Millionen DM) und den Krankenkassen (795 Millionen DM) angesetzt. Ein Einsparung von 300 Millionen DM soll bei den Krankenkassen allein dadurch zustande kommen, dass keine Fehler bei der Feststellung des Zuzahlungsstatus mehr passieren würden.
Aus diesen Berechnungen ergibt sich eine starke Verschiebung der Gleichgewichte. Die Ärzteschaft trägt den größten Anteil der Investitionen und Betriebskosten, erzielt aber nur geringe Einsparungen von unter 2%. Dagegen liegen die jährlichen Einsparungen der Krankenkassen bei 180% ihrer Investitionen, die Apotheken investieren 11% mehr als sie jährlich einsparen. Häussler unterstrich die Aussage der Analyse, dass diese Ungleichgewichte durch noch zu entwickelnde Mechanismen ausgeglichen werden müssten.
Außer den vergleichsweise hohen Investitions- und Betriebskosten bei Einführung des Gesundheitspasses gibt es aus Sicht der Ärzte weitere Hindernisse. Wenn die Software im Computer des Arztes beispielsweise eine Warnung aufgrund einer Arzneimittelinteraktion auslöst, dann werden auch Kosten dadurch verursacht, dass der Arzt die Warnung überprüfen, bewerten, gegebenenfalls weitere Informationen einholen und schließlich eine Entscheidung treffen muss. Es sei wichtig, dass praktisch relevante Informationen erzeugt werden und die Zahl der falsch positiven Warnungen möglichst gering ist. Problematisch wäre auch, wenn die Angaben auf dem Pass unvollständig sind, weil dann der Arzt keine vernünftige Arbeitsgrundlage hat. Ein Anreiz für den Pass könnte bei Ärzten darin liegen, dass sie Managementunterstützung erhalten sowie auf einfachere und qualitativ bessere Weise Netzwerke bilden können. Wenn der Gesundheitspass auf freiwilliger Basis eingeführt werden würde, dann müsste es auch Anreize für Patienten geben. Dies könnte beispielsweise ein Verzicht auf die Zuzahlungen zu Arzneimitteln sein.
Häussler hält es für wichtig, dass eine Einführung des Gesundheitspasses erst nach einer grundlegenden Erprobung stattfindet. Er müsste unbedingt auch in andere Reformvorhaben, beispielsweise Disease-Management-Programme, integriert werden.
Rolle des Apothekers: verstärkte Kooperation mit dem Arzt
Prof. Dr. Volker Dinnendahl, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Eschborn, sprach zum Thema "Verändert der Gesundheitspass die Rolle des Apothekers?". Dinnendahl stellte fest, dass sich die grundlegenden Aufgaben, die dem Apotheker durch die Apothekenbetriebsordnung gestellt sind, nicht verändern werden. Es wird jedoch leichter werden, sie zu erfüllen. Er brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass sich mit der Pass-Einführung sowohl das Verhältnis zwischen Ärzten und Apothekern als auch das Ansehen des Apothekers in der Öffentlichkeit verbessern. Ersteres könnte vor allem dadurch gelingen, dass die gemeinsame Dokumentation eine verstärkte Kooperation von Arzt und Apotheker mit sich bringt.
Allerdings müsste der Arzt die fachliche Kompetenz des Apothekers stärker als bisher respektieren, der Apotheker wiederum sollte seine Fähigkeiten dem Arzt offensiver anbieten. Dinnendahl stellt sich den Apotheker als Mittler zwischen den Ärzten der verschiedenen Fachrichtungen vor, der die Medikationen auf Plausibilität und Sicherheit prüft. Außerdem würde mit dem Gesundheitspass die Aut-idem-Regelung vernünftig umgesetzt werden. Entsprechende Modellversuche könnten sofort starten, denn es gibt bereits die von der ABDA entwickelte ABDA-Karte. Dinnendahl sprach sich für eine flächendeckende Einführung des Gesundheitspasses aus, da aus der Selbstmedikation genauso viele Gefahren erwachsen können wie aus den verordneten Medikamenten.
Datenschutzrechtliche Anforderungen
Prof. Dr. Hansjürgen Garstka, Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes Berlin, legte die Position der Datenschützer dar. Die Einführung eines Gesundheitspasses könnte das Recht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung beschränken. Für extrem wichtig hält Garstka eine Funktionstrennung auf der Chipkarte. Beispielsweise sollte der Zahnarzt nicht die Daten des Gynäkologen einsehen können. Er empfahl, im Strafgesetz ein Zweckentfremdungsverbot zu etablieren, so dass eine unlautere Nutzung des Passes entsprechend verfolgt werden könne.
Garstka verwies auf weitere negative Auswirkungen, die mit der Einführung des Gesundheitspasses aus seiner Sicht verbunden sein könnten. Er hält eine Anonymisierung des Arzt-Patienten-Gesprächs für wahrscheinlich, d. h., der Arzt schaut öfter in den Computer, als dass er sich dem Patienten zuwendet. Garstka sieht nicht nur die Gefahr einer Überwachung des Patienten, sondern auch die Gefährdung der freien Arzt- und Apothekenwahl.
In der von Prof. Georges Fülgraff geleiten Podiumsdiskussion wurden noch einmal die unterschiedlichen, aber auch übereinstimmenden Positionen der Referenten deutlich. Während sich die Vertreter der Ärzte, der Patienten und die Datenschützer für einen Gesundheitspass auf freiwilliger Basis aussprachen, waren die Vertreter der Apotheker, der Universitäten, Krankenkassen und der Politik der Überzeugung, dass sich eine höhere Arzneimittelsicherheit nicht durch Freiwilligkeit beim Gesundheitspass erreichen lässt. Es herrschte jedoch Einigkeit darin, dass auf dem Weg zum Gesundheitspass viel Überzeugungsarbeit nötig sei. Das Ziel könnte in drei Etappen erreicht werden: Zunächst sei eine umfangreiche Werbekampagne für den Pass notwendig. In der zweiten Etappe sollte er auf freiwilliger Basis eingeführt werden. Erst nach dieser, möglicherweise recht langen, Übergangszeit sollte es die Pass-Pflicht wie bei der jetzigen Versichertenkarte geben. Als sehr wichtig erachteten es alle Referenten, dass der Bürger Sinn und Vorteile des Gesundheitspasses versteht und ihm genug Zeit gegeben wird, sich ein Urteil zu bilden.
Die Voraussetzungen dafür scheinen nicht schlecht zu sein. In einer im November diesen Jahres vom "FOCUS" veröffentlichten EMNID-Umfrage sprachen sich 71% aller Befragten für die Einführung eines Gesundheitspasses in Deutschland aus.
Kastentext: Weitere Informationen zum Thema Gesundheitspass
- Kosten-Nutzen-Analyse "Neue Versichertenkarte und elektronisches Rezept", durchgeführt von Debold & Lux Beratungsgesellschaft für Informationssysteme und Organisation im Gesundheitswesen mbH, Hamburg und secunet Security Networks AG, Essen, Mai 2001. Nachzulesen unter www.abda.de.
- Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums Nr. 131 vom 3. Dezember 2001: "Telematik im Gesundheitswesen bringt den Patientinnen und Patienten einen Zugewinn an Information und Transparenz bei gleichzeitig garantiertem Datenschutz".
- Website des Berliner Zentrums Public Health: www.bzph.de
Die Pass-Idee ist nicht neu. Unter dem Eindruck der Lipobay-Affäre hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im August diesen Jahres auf die Einführung eines Arzneimittelpasses gedrängt. Vorgesehen war, dass darauf alle Arzneimittel eines Patienten gespeichert werden, sowohl die vom Arzt verordneten als auch die im Rahmen der Selbstmedikation gekauften. Diese Vorstellungen sind inzwischen weiterentwickelt worden. Dr. Gottfried Dietzel, Leiter der Projektgruppe "Gesundheitspass" im Bundesgesundheitsministerium, stellte den Stand der Überlegungen vor.
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