- DAZ.online
- DAZ / AZ
- AZ 51/2002
- DocMorris / Deutscher ...
Kommentar
DocMorris / Deutscher Apothekerverband vor dem Europäischen Gerichtshof: Hält
Der Zuschauerandrang im Großen Sitzungssaal des Europäischen Gerichtshofs war beträchtlich: im Blickfeld von Presse, Fernsehen und interessierter Öffentlichkeit die 16 Luxemburger Richter, die auf Beschluss des Landgerichts Frankfurt/Main in einem so genannten Vorlageverfahren zu prüfen haben, ob die arzneimittel- und heilmittelrechtlichen Versand- und Werbeverbote in Deutschland mit europäischem Recht in Einklang stehen.
DocMorris: Allein gegen alle
In der über dreistündigen Anhörung stand der Prozessvertreter von DocMorris, Professor Christian Koenig, mit seinem Plädoyer für eine "Liberalisierung der Arzneimittelversorgung" rechtlich allein auf weiter Flur, auch wenn er – durchaus genüsslich – aus der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung und der zeitgleich mit der Luxemburger Verhandlung veröffentlichten Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit zitierte, die noch einmal den politischen Willen unterstrich, "den E-Commerce mit Arzneimitteln und Medizinprodukten einschließlich deren Versand" zuzulassen (s. Pressemitteilung unten). "Der deutsche Gesetzgeber", so Koenig, "wartet gespannt auf ein entsprechendes Signal aus Luxemburg!"
Zitat
"Dieses Verfahren kommt genau zum rechten Zeitpunkt! Die deutsche Bundesregierung hat sich vor zwei Monaten in ihrer Koalitionsvereinbarung selbst auf eine "Liberalisierung der Arzneimittelversorgung" festgelegt. Nun wartet der deutsche Gesetzgeber gespannt auf ein entsprechendes Signal aus Luxemburg!" Professor Christian Koenig, Prozessvertreter von DocMorris
"Versandhandelsverbot: Diskriminierungsfreie Verkaufsmodalität...
Dagegen betonten die Rechtsvertreter des Deutschen Apothekerverbandes, Rechtsanwalt Dr. Claudius Dechamps und der Europarecht-Experte Professor Jürgen Schwarze, Universität Freiburg, dass es sich beim deutschen Versandhandelsverbot weder um eine diskriminierende Ungleichbehandlung in- und ausländischer Apotheken handele noch das Werbeverbot dafür via Internet die Dienstleistungsfreiheit einschränke. Das Versandhandelsverbot als Verkaufsmodalität betreffe in- und ausländische Hersteller und Apotheken gleichermaßen. Die Internetpräsentation von DocMorris sei bloßes Hilfsmittel und Anhängsel eines komplexen Verkaufsvorgangs, keine eigenständige Dienstleistung.
Im Übrigen, so Dechamps, befördere der Versandhandel mit Arzneimitteln systembedingt verspätete und falsche Lieferungen und vereitele die Möglichkeit einer persönlichen Kundenberatung. Hierfür gebe es zahlreiche Beispiele.
Zitat
"Arzneimittellieferungen im Wege des Versandes sind systembedingt fehlerträchtig und störanfällig." Rechtsanwalt Dr. Claudius Dechamps, Prozessvertreter des Deutschen Apothekerverbandes
...zum Schutze der Gesundheit"
Auch der Vertreter der Bundesregierung, Ministerialrat Wolf-Dieter Plessing (Bundesministerium der Finanzen), distanzierte sich - angesichts der politischen Ambitionen des Gesundheitsministeriums durchaus überraschend - mit klaren und eindeutigen Worten von den Rechtsausführungen des niederländischen Versandhändlers. Er wolle sich, so Plessing, nicht zum Co-Anwalt von DocMorris machen lassen.
Sowohl der Versand mit in Deutschland nicht zugelassenen als auch mit dort zugelassenen apothekenpflichtigen Arzneimitteln dürfe europarechtlich zum Zwecke des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes durchaus untersagt werden. "Bei sensiblen Produkten wie Arzneimitteln", so Plessing, "muss es Deutschland gestattet sein, die Verkaufsmodalität so zu gestalten, dass eine Arzneimittelabgabe nur im Zusammenhang mit der entsprechenden Beratung erfolgen darf – also nur unter persönlicher Anwesenheit des Apothekers und des Kunden."
Zitat
"Die deutsche Bundesregierung hält an ihrer Ansicht fest, dass das deutsche Arzneimittelrecht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, und zwar sowohl in Bezug auf das Versandhandelsverbot für Arzneimittel als auch für das entsprechende Werbeverbot." Ministerialrat Wolf-Dieter Plessing (Bundesministerium der Finanzen) als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland
Kommission, Griechenland, Frankreich, Irland: unisono contra Versand
Ähnlich äußerten sich auch der Vertreter der Europäischen Kommission, Josef Christian Schieferer, sowie die Repräsentanten Griechenlands, Frankreichs und Irland, die in dem Verfahren ebenfalls angehört wurden. Während Schieferer betonte, dass dem nationalen Gesetzgeber bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes ein Beurteilungsspielraum zustehe, sah die Vertreterin Frankreichs in den Versandhandelsverboten diskriminierungsfreie und vertriebsbezogene Regelungen, die in keinem Widerspruch zum EG-Vertrag stehen. Dieser Auffassung schlossen sich auch die weiteren Mitgliedstaaten an, die angehört wurden (Griechenland, Irland).
Parteien optimistisch, Ergebnis offen
Bei der anschließenden Befragung der Parteien durch das Gericht und die österreichische Generalanwältin standen Testkäufe bei so genannten Internet-Apotheken im Vordergrund. Dabei hatten sich zum Teil gravierende Sicherheitsmängel offenbart. In diesem Zusammenhang scheint für die Richter insbesondere von Bedeutung zu sein, ob bei einem Arzneimittelversand gewährleistet werden kann, dass die Medikamente zuverlässig den korrekten Adressaten erreichen und ob im Zuge eines Versandhandels für den Besteller eine jederzeitige Beratungsmöglichkeit besteht.
Nach der mündlichen Verhandlung äußerten sich beide Parteien optimistisch über den Ausgang des Verfahrens. Unter Hinweis auf die richterlichen Fragen fühlten sie sich in ihren Rechtsauffassungen jeweils bestätigt. Man darf gespannt sein: Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist im Frühjahr 2003 zu rechnen.
Ulla Schmidt: Versandhandel kommt auf jeden Fall
Völlig unabhängig vom Ausgang des Luxemburger Verfahrens beharrt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt freilich weiterhin auf der Einführung eines "geregelten, kontrollierten und überwachten elektronischen Handel einschließlich Versandhandel mit Arzneimitteln". In ihrer am Dienstag, dem Tag der mündlichen Verhandlung, verbreiteten Pressemitteilung favorisiert die Ministerin dabei – ungeachtet der Stellungnahmen der angehörten Mitgliedstaaten - eine "möglichst gemeinschaftsweit gültige" Versandregelung.
Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 10. Dezember 2002
Versandhandel wird in Deutschland liberalisiert
Heute hat die Bundesregierung bei der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof die Gründe für das in Deutschland bestehende Versandhandelsverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel dargelegt. Zugleich hat sie darauf hingewiesen, dass sie angesichts der neuen Möglichkeiten der Informationstechnologie die Wirtschaftlichkeit und Verbraucherfreundlichkeit stärken und den Versandhandel mit Arzneimitteln liberalisieren will. Dazu erklärt die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt:
"E-Commerce mit Arzneimitteln und Medizinprodukten einschließlich deren Versand ist in einigen Staaten im europäischen Wirtschaftsraum und darüber hinaus rechtlich möglich und Realität. Auch in Deutschland ist der Versand von nicht apothekenpflichtigen Arzneimitteln und Medizinprodukten im Gegensatz zu apothekenpflichtigen Arzneimitteln in Verbindung mit E-Commerce rechtlich zulässig. Vor diesem Hintergrund können wir den Verbraucher wesentlich besser schützen, wenn wir einen geregelten, kontrollierten und überwachten elektronischen Handel einschließlich Versandhandel mit Arzneimitteln ermöglichen. Es wird uns nicht gelingen, Deutschland vor modernen Technologien und neuen Absatzwegen abzuschotten. Wir halten es für besser, sich rechtzeitig auf neue Entwicklungen einzustellen und die Rahmenbedingungen zu gestalten, als eine absehbare Entwicklung hinnehmen zu müssen. Klar ist: Niemand darf zum Bezug von Arzneimitteln über Internet gezwungen werden. Es bleibt bei der freien Entscheidung der Patientinnen und Patienten.
Den elektronischen Handel einschließlich Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln sollen nur Apotheken betreiben dürfen. Oberste Priorität haben dabei die Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes, die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und der faire Wettbewerb. Dabei muss auch eine angemessene Information der Verbraucher gewährleistet werden können. Sollte dies im Einzelfall ohne eine Beratung in Anwesenheit des Patienten nicht möglich sein, so darf dieses Arzneimittel nicht versendet werden. Mein Ziel ist dabei auch eine möglichst gemeinschaftsweit gültige Regelung: Ich habe mich mit einer entsprechenden Initiative schon im Frühjahr an die Kommission gewandt."
Bundesministerin Schmidt geht davon aus, dass diese Art der Arzneimittelversorgung als ein zusätzlicher Service der öffentlichen Apotheken angeboten wird. Auch in Zukunft wird die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten ihre Arzneimittel in der nahegelegenen Apotheke kaufen. Die Apothekerinnen und Apotheker können Internet und Versandhandel gezielt nutzen, um ihren Service auszubauen und so die Kundenbindung zu verstärken. Nur solche Apotheken sollen die Erlaubnis zum elektronischen Handel einschließlich Versandhandel erhalten, welche die dann vorgeschriebenen Anforderungen an die Apotheke selbst und an deren Personal, an die WebSite und die darin enthaltenen Informationen und an die Logistik einschließlich Sendungsverfolgung und Aushändigung an den Adressaten erfüllen. Die Empfehlungen des "Runden Tisches" im Gesundheitswesen zum elektronischen Handel einschließlich Versandhandel mit Arzneimitteln werden bei der Gesetzgebung eine wichtige Rolle spielen. In diese rechtliche Entwicklung müssen die EU-Kommission und die anderen EU-Mitgliedstaaten eingebunden werden.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.