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Arzneimittel und Therapie
COPD-Therapie: Mit Tiotropium gegen die Raucherlunge
COPD – die chronisch obstruktive Bronchitis – entsteht in erster Linie durch inhalierten Tabakrauch. Berufliche Expositionen und Umweltverschmutzung haben zumindest in Europa keine Bedeutung. Wenn die fortwährend eindringenden Schadstoffe die Selbstreinigungsmechanismen der Atemwege (z. B. die mukoziliäre Clearance) überfordern und nicht mehr ausreichend eliminiert werden können, reagiert das Lungengewebe mit einer chronischen Entzündungsreaktion, die im Laufe der Jahre zur progressiv verlaufenden COPD führt. Die Zilien gehen dabei zugrunde, und die Schleimhaut der Lunge wird zunehmend abgebaut. Die typischen Symptome einer COPD sind neben Husten und Auswurf vor allem eine progrediente Atemnot. Der Betroffene ist körperlich nur noch eingeschränkt belastbar.
Abgrenzung zum Asthma bronchiale: vor allem Husten mit Auswurf
Viele Symptome von Asthma bronchiale und COPD ähneln sich zwar auf den ersten Blick, doch können diese beiden Atemwegserkrankungen anhand verschiedener Kriterien gut voneinander abgegrenzt werden: Zunächst einmal sind Patienten mit einer COPD im Mittel älter als die mit einem Asthma bronchiale. Der typische COPD-Patient ist in der Regel älter als 40 Jahre und starker Raucher.
Die Atemnot ist bei der COPD zumindest bei Beginn der Erkrankung belastungsabhängig. Beim Asthma tritt Luftnot charakteristischerweise anfallsartig und vor allem auch in den frühen Morgenstunden auf. COPD-Patienten leiden (auch entsprechend der alten Definition einer chronischen Bronchitis) vor allem unter Husten mit Auswurf. Der typische Asthma-Husten zeigt sich als unproduktiver Reizhusten.
Zirkadiane Schwankungen der Luftnot, wie sie beim Asthma bronchiale vorkommen (z. B. "morning dip"), finden sich bei der COPD nicht. Relativ rasche symptomatische Verschlechterungen kommen bei einer COPD in der Regel nur im Rahmen von Exazerbationen (häufig viral oder bakteriell bedingt) vor.
Auch die zellulären Mechanismen der Entzündungsreaktion unterscheiden sich: Die asthmatische Entzündung der Bronchialschleimhaut wird dominiert durch T-Helfer-Lymphozyten (CD4-Lymphozyten), eosinophile Granulozyten und deren Mediatoren. Bei der COPD finden sich vor allem neutrophile Granulozyten, aktivierte Makrophagen und T-Suppressor-Lymphozyten (CD8-Lymphozyten).
Zerstörung der Lungenbläschen führt zum Emphysem
Zu Beginn betrifft die COPD vor allem die kleinen Atemwege. Die Alveolen, die als Gasaustauschfläche dienen, werden allmählich zerstört. Außerdem gehen elastische Fasern verloren, wodurch sich die Atemwege immer mehr verengen (exobronchiale Obstruktion). Dabei entstehen nekrotische Bindegewebsstränge, die schließlich einen Bronchus in der Endstellung fixieren.
Nun kann sich das Lungenparenchym nicht mehr zusammenziehen, um die Atemluft wieder auszustoßen. Die Patienten haben also in erster Linie Probleme mit der Ausatmung und nicht – wie vielfach irrtümlich angenommen – mit der Einatmung. Die Einatmung ist ein aktiver Vorgang, während bei der Ausatmung die Atemluft durch die Rückstellkräfte der Lunge weitgehend passiv wieder ausströmt.
Sind die Bronchien bei der COPD verengt, strömt weniger Luft bei der Ausatmung heraus, und die Atemruhelage verschiebt sich, es bleibt mehr Luft in der Lunge. Die Lunge "bläht" sich also im Lauf der Zeit auf ("Emphysem"), was zwangsläufig zu einer zunehmenden Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit führt, da die Patienten weniger "Einatem-Reserve" haben und mehr Kraft für die Ausatmung gegen die engen Bronchien aufwenden müssen. Um das verminderte Atemzugvolumen auszugleichen, beschleunigt sich kompensatorisch die Atmung ("Tachypnö"). Die Atembeschwerden werden zusätzlich durch eine Verkürzung der Zwerchfellmuskulatur mit verminderter Kraftentwicklung verstärkt. Während die Atemwegsobstruktion beim Asthma bronchiale zumindest in den früheren Krankheitsphasen praktisch vollständig reversibel ist, ist dies bei der COPD in der Regel nicht der Fall.
Erst mit dem Rauchen aufhören, dann medikamentöse Therapie
Eine Früherkennung ist mit einfachen Mitteln, wie der Anamnese, dem klinischen Untersuchungsbefund und einer Spirometrie möglich. Dabei werden inspiratorische Parameter, wie die inspiratorische Vitalkapazität und das forcierte inspiratorische Volumen in der ersten Sekunde (FIV1) gemessen. Darüber hinaus sind für die Diagnostik und für die Verlaufskontrolle unter einer Therapie verschiedene Belastungsuntersuchungen, wie die 6-Minuten-Gehstrecke, sowie ein Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität von großer Bedeutung.
Wenn ein Raucher bereits erkrankt ist, muss er das Rauchen einstellen, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu stoppen. Medikamentöse Maßnahmen können nur unterstützend wirken. Die primären Behandlungsziele sind eine Verbesserung der Lungenfunktion, eine Reduktion der Symptome, eine Verbesserung der Belastungsfähigkeit und des Gesundheitsstatus sowie die Reduktion der Häufigkeit und Schwere von Exazerbationen.
Stufenplan zur COPD-Therapie
Im Stufenplan der Deutschen Atemwegsliga, der derzeit überarbeitet wird, gehören Anticholinergika zusammen mit Beta2-Sympathomimetika zur Basistherapie der COPD-Behandlung. Bei ungenügender Besserung wird Theophyllin eingesetzt.
Der Stellenwert inhalierbarer topischer Glucocorticoide ist im Gegensatz zum Asthma bronchiale bei der COPD noch unsicher. Es gibt Hinweise, dass durch topische Steroide die Zahl der Exazerbationen reduziert werden kann. Dies ließ sich allerdings nur in einer Gruppe von schwer kranken Patienten nachweisen. Systemisch wirksame Glucocorticoide sollten nur bei schwerer Exazerbation und über einen kurzen Zeitraum von 2 bis 3 Wochen eingesetzt werden.
Die Atemwege werden parasympathisch innerviert
Der wichtigste therapeutische Angriffspunkt bei der COPD ist der erhöhte Tonus der glatten Bronchialmuskulatur. Die Weite der Atemwege wird sympathisch und parasympathisch reguliert. Der Überträgerstoff des parasympathischen Nervensystems ist das Acetylcholin. In den Atemwegen bindet es im wesentlichen an drei Typen von Rezeptoren mit unterschiedlichen Funktionen:
- M1-Rezeptoren sitzen am parasympathischen Ganglion, erleichtern die Erregungsleitung des Nervus vagus und können die cholinergen Reflexe steigern.
- M2-Rezeptoren befinden sich direkt am Ende der Nerven vor dem Zielorgan (glatte Bronchialmuskulatur) und sind so genannte "Autorezeptoren". Sie regeln die Ausschüttung des Überträgerstoffes Acetylcholin im Feedback-Mechanismus.
- Die M3-Rezeptoren sitzen direkt am Zielorgan, an der glatten Muskulatur der Atemwege und vermitteln die Bronchokonstriktion. Bei obstruktiven Atemwegserkrankungen wie der COPD werden von so genannten "irritant receptors" des parasympathischen Nervensystems vermehrt Reizsignale aus den Atemwegen gesendet.
Den Tonus der Bronchialmuskulatur senken
Beta2-Adrenozeptoragonisten, direkte Bronchodilatoren wie Theophyllin und Anticholinergika (Muscarinrezeptor-Antagonisten) senken den Tonus der Bronchialmuskulatur. In den Atemwegen ist vor allem eine Blockade der M3-Rezeptoren auf den glatten Muskelzellen erforderlich. Zusätzlich ist eine Blockade ganglionärer M1-Rezeptoren, die die cholinerge Signalweiterleitung fördern, wünschenswert. Hingegen ist eine Blockade präsynaptischer M2-Rezeptoren unerwünscht, da diese Rezeptoren die Acetylcholinausschüttung hemmen.
Moderne Muscarinrezeptor-Antagonisten wie Ipratropium und Oxitropium blockieren Muscarinrezeptoren, werden mehrmals täglich inhaliert und wirken vorwiegend lokal an der Bronchialmuskulatur. Mit dem Wirkungseintritt kann 3 bis 5 Minuten nach der Inhalation gerechnet werden, die Wirkung hält durchschnittlich 4 bis 6 Stunden an. Durch das quartäre Stickstoff-Atom werden diese Substanzen kaum gastrointestinal resorbiert und gelangen auch nicht in das zentrale Nervensystem. Daher sind bei ihnen systemische anticholinerge Nebenwirkungen wenig wahrscheinlich.
Tiotropium: pharmakokinetische Rezeptorselektivität
Das neue Tiotropium enthält ebenfalls ein quartäres Stickstoff-Atom. Es ist aber länger wirksam als Ipratropium und Oxitropium und muss daher nur einmal täglich inhaliert werden. Die längere Wirkdauer kommt durch eine längere Halbwertszeit am Rezeptor zustande, die im wesentlichen auf die langsame Dissoziation vom M3-Rezeptor zurückzuführen ist.
Von den M2-Rezeptoren dissoziiert Tiotropium schneller, während es an M1- und M3-Rezeptoren langanhaltend bindet. Dadurch ergibt sich eine funktionelle Rezeptorselektivität zum M3-Rezeptor. Für den M3-Rezeptor, der die Bronchokonstriktion vermittelt, beträgt die Halbwertszeit von Tiotropium etwa 35 Stunden. Als wesentliches strukturelles Merkmal besitzt Tiotropium zwei Thiophen-Ringe, die wahrscheinlich für die höhere Lipophilie und die damit verbundene veränderte Rezeptorkinetik verantwortlich sind.
Klinisch gute Wirksamkeit
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tiotropium wurden in insgesamt sechs großen klinischen Studien mit über 1100 Patienten gegenüber Plazebo, Ipratropium und Salmeterol belegt. So weist eine erst kürzlich im European Respiratory Journal veröffentlichte einjährige plazebokontrollierte Studie die positive Wirkung einer einmal täglichen Inhalation von Tiotropium nach. Bei den mittel bis schwer kranken COPD-Patienten (550 Patienten mit 18 µg Tiotropium vs. 371 Patienten mit Plazebo) besserten sich die FEV1-Werte (forciertes exspiratorisches Einsekunden-Volumen) durchschnittlich um 150 ml. Gleichzeitig konnte die Einnahme von bronchodilatierenden Begleitmedikamenten reduziert werden.
Auch die Exazerbationen gingen im Vergleich zu den Plazebo-Patienten um 20 Prozent zurück, so dass 47 Prozent weniger Krankenhausaufenthalte in Verbindung mit der COPD-Erkrankung erforderlich waren. Als einzige klinisch bedeutsame Nebenwirkung wurde Mundtrockenheit signifikant häufiger als in der Plazebogruppe beobachtet.
In einer sechsmonatigen doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Vergleichsstudie war Tiotropium Salmeterol überlegen. In der Studie, die im Double-Dummy-Verfahren durchgeführt wurde, erhielten 209 Patienten 1 x 18 µg Tiotropium, 213 Patienten 2 x 50 µg Salmeterol und 201 Patienten Plazebo täglich. Unter dieser Medikation kam es nach 24 Wochen zu einer Zunahme des mittleren FEV1 von 215 ml in der Tiotropium-Gruppe und von 138 ml in der Salmeterol-Gruppe bezogen auf den Ausgangswert.
Der Unterschied zwischen der Tiotropium-Gruppe und der Salmeterol-Gruppe betrug 77 ml. Betrachtet man die vor der morgendlichen Inhalation gemessenen Werte, so waren die Unterschiede noch deutlicher. Am Ende der Studie gab es keinen Hinweis für ein Nachlassen der Tiotropium-Wirkung, während das Ansprechen auf Salmeterol am 169. Studientag verglichen mit dem ersten Tag reduziert erschien. Während in der Tiotropium-Gruppe nur 5,7 Prozent der teilnehmenden Patienten die Studie wegen unerwünschten Ereignissen vorzeitig abbrachen, waren es in der Salmeterol-Gruppe 13,6 Prozent und in der Plazebogruppe 17,9 Prozent.
In klinischen Studien konnte eine bessere Bronchodilatation unter 1 x 18 µg Tiotropium als unter 4 x 40 µg Ipratropium nachgewiesen werden. An einer einjähringen doppelblinden Vergleichsstudie nahmen 288 Patienten mit stabiler COPD und einem durchschnittlichen FEV1 von 41 Prozent teil. Nach 364 Tagen führte die im Double-Dummy-Verfahren applizierte Studienmedikation in der Tiotropium-Gruppe zu einer signifikanten Verbesserung der FEV1-Werte sowie der FVC-Werte (forcierte Vitalkapazität) gegenüber der Ipratropium-Gruppe. Tiotropium war über die gesamte Studiendauer hinweg Ipratropium überlegen.
Tiotropium erwies sich in allen Studien als sicher und gut verträglich. Der wichtigste unerwünschte Effekt war die Mundtrockenheit, die jedoch generell als nur leicht störend empfunden wurde und nur in seltenen Fällen einen Therapieabbruch erforderlich machte
Neues Inhalationssystem
Tiotropium wird als Pulverinhalation mit dem speziell für dieses Medikament entwickelten HandiHaler® verabreicht. Dieses Inhalationssystem gewährleistet auch bei einer stark eingeschränkten Lungenfunktion mit geringen Einatem-Flussraten von 20 l/min eine effiziente Wirkstofffreisetzung. Tiotropium im HandiHaler® kann damit bei allen COPD-Patienten, ungeachtet des Schweregrades, eingesetzt werden.
Die Spiriva®-Formulierung besteht aus mikronisiertem Tiotropiumbromid und Lactose, in einer Kapsel sind 18 µg Wirkstoff und 5 mg Hilfsstoff enthalten. Die Vibration der Kapsel im HandiHaler® ist deutlich hörbar. Deshalb kann der Patient seine Inhalation gut kontrollieren. Der Trägerstoff Lactose bewirkt zudem einen milden süßen Geschmack im Rachen. Der HandiHaler® wird von den Patienten gut akzeptiert, ist einfach zu reinigen und kann ein Jahr lang benutzt werden.
Quellen
Dr. Thomas Voshaar, Moers; Prof. Dr. Martin C. Michel, Essen; Prof. Dr. Helgo Magnussen, Großhansdorf; Dr. Jürgen Nagel, Ingelheim; Einführungs-Fachpressekonferenz "Spiriva®: Eine neue Dimension in der COPD-Therapie", Hamburg, 4. Juni 2002, veranstaltet von Boehringer Ingelheim und Pfizer. Casaburi, R., et al.: A long term evaluation of once-daily inhaled tiotropium in chronic obstructive pulmonary disease. Eur. Respir. J. 19, 217 – 224 (2002).
Tiotropium (Spiriva) ist ein neuer lang wirksamer cholinerger M3-Blocker, der zur Behandlung der COPD eingesetzt wird. Die Substanz ist länger wirksam als Ipratropium und Oxitropium und wird in einer Dosierung von 18 Mikrogramm einmal täglich inhaliert, um eine Bronchodilatation über 24 Stunden zu erzielen. Die längere Wirkdauer kommt durch eine längere Halbwertszeit am Rezeptor zustande, die im Wesentlichen auf die langsame Dissoziation vom M3-Rezeptor zurückzuführen ist. Tiotropium wird als Pulverinhalation mit dem speziell für dieses
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