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Gesundheitsreform: SPD und Grüne einigen sich über Reform
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte sich zum Thema Tabaksteuererhöhung bislang recht bedeckt gehalten – auch das Kanzleramt ließ immer wieder verlauten, dass Steuererhöhungen “Gift" für die Konjunktur seien. Doch in der vergangenen Woche machte Schmidt nun einen Vorstoß: Um einen Euro pro Zigarettenschachtel soll der Preis für die legale Drogen steigen. Die Ministerin erhofft sich damit zum einen präventive Effekte – insbesondere auf junge Menschen. Vor allem aber soll das Geld ausschließlich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugute kommen: Versicherungsfremde familienpolitische Leistungen wie das Mutterschaftsgeld sollen künftig aus der Steuerkasse finanziert werden.
Angesichts der schwierigen Haushaltslage hat sich nun auch Finanzminister Hans Eichel (SPD) dazu durchgerungen, dem Finanzierungsvorschlag der Ministerin zuzustimmen und diese Lücke künftig von Rauchern auffüllen zu lassen. Andere versicherungsfremde Leistungen wie Sterilisation und künstliche Befruchtung muss der Bürger künftig ganz aus eigener Tasche zahlen. Welches Schicksal das Sterbegeld treffen wird, war nach dem Koalitionsgespräch am letzten Donnerstag noch nicht ausdiskutiert. Für eine weitere Finanzspritze sollen die Rentner sorgen: Versorgungsbezüge, z. B. Betriebsrenten, sollen künftig nicht mehr mit dem halben sondern dem vollen Beitragssatz belegt werden.
Klares Ja zu Versand und Mehrbesitz
SPD-Generalsekretär Olaf Scholz und der Parteivorsitzende der Grünen Reinhard Bütikofer verkündeten im Anschluss an die Koalitionsrunde zudem, dass die Zulassung des Arzneimittelversandhandels und die Lockerung des Mehrbesitzverbots für Apotheken beschlossene Sache sei. Grundsätzlich wurde man sich auch einig, dass nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel künftig nicht mehr zulasten der GKV verordnet werden sollen. Diese Regelung soll jedoch nicht für Kinder gelten. Zudem sollen registrierte homöopathische und anthroposophische Arzneimittel sowie Phytopharmaka in bestimmten Indikationen ausgenommen bleiben. Die Details, so betonte Bütikofer, könne die Koalitionsrunde jedoch nicht entscheiden – hier müssten noch Fachleute und die Selbstverwaltung tätig werden.
Ebenfalls genauerer Konkretisierung bedürfen noch die neuen Zuzahlungsmodalitäten. Bei Arzneimitteln verständigte man sich lediglich auf eine Grundstruktur, nicht jedoch auf exakte Zahlen. Sicher ist, dass es eine Absenkung für Chroniker und Teilnehmer an Disease-Management-Programmen sowie Hausarztmodellen geben soll. Am Rande der Koalitionsrunde spekulierte man auf künftige Zuzahlungsbeträge von vier, sechs und acht Euro – aber auch von vier, sieben und zehn Euro war die Rede. Ebenfalls noch offen ist, wie die Zuzahlung beim Arztbesuch aussehen soll. Scholz betonte, dass das Hausarztmodell – das neben Allgemeinmedizinern auch Frauen- und Kinderärzte sowie Internisten einschließe – hier eine entscheidende Rolle spielen soll. Er versicherte, dass es für jeden Versicherten einen Weg geben werde, die Praxisgebühr zu vermeiden.
Nicht weiter diskutiert wurde der etwaige Fall der beitragsfreien Mitversicherung von nicht berufstätigen Ehegatten, die weder Kinder erziehen noch Angehörige pflegen. Die Grünen hatten sich dafür stark gemacht. Doch die erhofften Einsparpotenziale, die der Sachverständigenrat zu diesem Komplex errechnet hatte, beruhten offenbar auf einem Rechenfehler, räumte Bütikofer nun ein.
Zuversicht für Beitragssatz von 13 Prozent
Insgesamt sollen die Reformmaßnahmen die GKV um rund 20 Mrd. Euro entlasten. Damit könnte der Beitragssatz um zwei Prozentpunkte gesenkt werden. Selbst wenn die Beiträge in diesem Jahr noch auf 15 Prozent stiegen, könne das Ziel von einen Beitragssatz von 13 Prozent im nächsten Jahr erreicht werden, erklärte Bütikofer. Daher seien Rentner auch nicht über Gebühr durch die Reform belastet: Ihre Mehrzahlungen rechneten sich durch die geringeren Beitragssätze wieder auf.
Der Gesetzentwurf soll in dieser Woche vorgelegt und in der ersten Juni-Woche in den Bundestag eingebracht werden. Dann wird sich zeigen, ob Regierung und Opposition innerhalb eines Monats einen Konsens finden können. Am 11. Juli ist die letzte Bundesratssitzung vor der Sommerpause.
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