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Anhörung zum Beitragssatzsicherungsgesetz: Apotheken zu stark belastet
Wolfgang Kaesbach vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen sprach für die Spitzenverbände der Krankenkassen und erklärte, eine Aufhebung des BSSichG wäre ordnungspolitisch verfehlt. Sie würde die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erneut schwer belasten. Das BSSichG sei eine Sofortmaßnahme gewesen, ein Vorschaltgesetz für langfristige Reformen. Apotheken seien hierdurch nur "geringfügig" mehr belastet worden als zunächst vorgesehen, so Kaesbach. In der schriftlichen Stellungnahme der Spitzenverbände der Krankenkassen heißt es, sie erwarteten für 2003 "allenfalls 560 Mio. Euro Einsparungen aus dem Apothekenrabatt".
Der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Hans-Günter Friese rechnete vor, dass die Einsparbeträge bei Herstellern, Großhandel und Apotheken anders verteilt seien, als von der Regierung ursprünglich anvisiert. So werde der tatsächlich abgeführte Herstellerabschlag in diesem Jahr den angedachten Sollwert von 420 Mio. Euro um 126 Mio. Euro (jeweils ohne MwSt) überschreiten. Der Großhandelsrabatt werde 2003 hingegen 559 Mio. Euro (inkl. MwSt.) betragen – 41 Mio. Euro weniger als geplant. Der Apothekenabschlag werde fast 67 Prozent höher ausfallen als vom Gesetz vorgesehen: Der Sollwert von 350 Mio. Euro werde um 233 Mio. Euro überschritten (jeweils inkl. MwSt.).
Apotheken dreifach höher belastet als geplant
Die voraussichtliche Gesamtbelastung, so Friese, werde infolge der weitgehenden Weiterwälzung des Großhandelsabschlags 2003 dreimal stärker sein, als vom Gesetzgeber geplant. Zudem warnte der ABDA-Präsident vor einem weiteren Arbeitsplatzabbau in Apotheken. 10 000 bis 12 000 Arbeitslose befürchtet er – besonders schwer werde es die Auszubildenden treffen.
Wortbruch neues Prinzip der Politik?
Der als Einzelsachverständiger geladene Apotheker und Mitherausgeber der DAZ, Dr. Klaus G. Brauer, bestätigte die Zahlen der ABDA. Er verwehrte sich dagegen, dass Apotheken nur "geringfügig" mehrbelastet seien. Zudem widersprach er dem Kölner Gesundheitsökonomen und Berater der Bundesgesundheitsministerin Professor Karl Lauterbach, der im vergangenen Jahr bei der Anhörung zur Einführung des BSSichG behauptet hatte, es sei "schlicht unmöglich", dass der Großhandel den ihm zugedachten Rabatt an die Apotheken weiterreiche. Brauer machte dies am Beispiel seiner eigenen Apotheke fest, die insoweit repräsentativ sei: Während 2002 noch der auf 6 Prozent angehobene Kassenrabatt galt, habe sich dieser in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres in seiner Apotheke auf 8,21 Prozent erhöht.
Hinzu komme eine Belastung durch den abzuführenden Großhandelsrabatt von 2,14 Prozent. Gegenüber dem Vorjahr habe sich der faktische Apothekenabschlag mithin um 4,35 Prozent erhöht, was auf alle Apotheken und auf das Jahr hochgerechnet bei einem GKV-Umsatz von 24,22 Mrd. Euro bei den Apotheken Einbußen von 1,05 Mrd. Euro ausmache. Für die einzelne Apotheke bedeute dies im Schnitt einen Rückgang von 50 170 Euro im Jahr statt dem von der Regierung angekündigten Minus von 16 700 Euro.
Brauers Schlussfolgerung aus diesen Zahlen lautet daher: "Entweder den politischen Wortbruch zum Prinzip der Politik zu machen – oder jetzt Konsequenzen zu ziehen". Würde die Regelung so weiterbestehen wie bisher, müssten die Apotheker am Ende des Jahres 1,05 Mrd. Euro erbringen, so Brauer.
Phagro: Großhandel und Apotheken bis an die Grenze belastet
Für den Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) ist der Großhandelsabschlag ein "untragbares Sonderopfer". Professor Hilko Meyer erklärte, die Berechnungen der ABDA nachvollziehen zu können, wonach sich die Belastung durch den Großhandelsrabatt zwischen Großhandel und Apotheken im Verhältnis 20:80 aufteile. Der von der Regierung erwartete Einsparbetrag von 600 Mio. Euro könne schlechterdings nicht erbracht werden, da der Gewinn des gesamten pharmazeutischen Großhandels vor Steuern bei 237 Mio. Euro liege, so Meyer ebenso wie Brauer. Insofern bleibe hier "auf jeden Fall der größte Teil bei den Apotheken hängen" – der Großhandelsabschlag belaste somit beide Beteiligten bis an ihre Grenzen.
Lauterbach: Ertragssituation noch nicht abschätzbar
Der vergangene Woche abermals als Sachverständiger geladene Lauterbach räumte ein, dass die Argumente der ABDA ernst genommen und überprüft werden müssten. Die Ertragssituation aller Apotheken durch die alleinige Betrachtung der Entwicklung der Rabatte abzuschätzen – zumal am Beispiel einer einzelnen Apotheke – sei allerdings "völlig abwegig" sagte er an Brauer gerichtet. Stets müsse der Ertrag insgesamt betrachtet werden, der sich wiederum aus den Umsätzen, den Preisen, den Naturalrabatten und den Rabatten zusammensetze. Dem fügte Lauterbach eine gewagte These hinzu: "Es ist ganz klar, dass eine solche Teilumwälzung sich für einige Apotheken negativ und für andere Apotheken positiv auswirkt". Der Saldo wirke sich wiederum auf die Erträge aus – und all dies könne zum jetzigen Zeitpunkt "überhaupt nicht abgeschätzt werden".
Abschaffung des Großhandelsrabatts schon beschlossene Sache?
Ebenfalls in der vergangenen Woche hatte sich eine beträchtliche Anzahl von SPD-Abgeordneten aus den Landesgruppen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – von über 40 war die Rede – mit einem Brief an SPD-Fraktionschef Franz Müntefering gewandt. In diesem forderten sie die Rücknahme des Großhandelsrabatts im BSSichG. Nach der Anhörung war aus informierten Kreisen zu erfahren, dass es auch zu einem Gespräch der Landesgruppenvertreter mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt kam. Dabei habe man sich geeinigt, den Großhandelsrabatt zum 1. Juli dieses Jahres zu streichen. Dies bestätigte auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums wies diese Spekulationen am 22. Mai zurück. Sie zitierte Schmidt: "Eine Abschaffung des Großhandelsrabatts ist nicht geplant. Eine entsprechende Zusage hat es nicht gegeben".
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