- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 12/2003
- Regierungserklärung: ...
DAZ aktuell
Regierungserklärung: Zuspruch und Kritik
Das SPD-Präsidium begrüßte in seiner Sitzung am 16. März die gesundheitspolitischen Reformvorschläge des Kanzlers: Man brauche eine neue Balance im Gesundheitssystem. Daher werde man sowohl auf der Einnahmenseite wie auch auf der Ausgabenseite strukturelle Änderungen herbeiführen, ließ das Präsidium verlauten. Auch beim Bündnis 90/Die Grünen erntete die Kanzlerrede Zuspruch. Die Fraktionsvorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt, erklärten, im Gesundheitswesen komme man um tiefe Einschnitte nicht herum, sollen die Lohnnebenkosten wirksam gesenkt werden. So habe man sich etwa dafür eingesetzt, dass mit dem Krankengeld eine klar abgrenzbare Geldleistung in eine privat finanzierte Pflichtversicherung überführt werde.
Opposition uneins
Horst Seehofer, Fraktionsvize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zeigte sich gegenüber der Zeitschrift "Focus" erfreut über die Aussagen Schröders zur Sozialpolitik: "In der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik vertritt er die Ansichten, die auch ich schon seit Jahren vertrete." Anders reagierte hingegen Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU): Sie sei "auf ganzer Linie enttäuscht". Die Bundesregierung setze weiterhin auf Planwirtschaft und Staatsmedizin. Mit Blick auf die angestrebte Absenkung des Beitragssatzes auf 13 Prozent in der GKV warf Stewens Schröder vor, keine geeigneten Maßnahmen zur Zielerreichung vorgeschlagen zu haben. Die einzig zur Kosteneinsparung genannte Maßnahme sei die "im höchsten Maße unsoziale" Ausgliederung des Krankengeldes aus dem GKV-Katalog.
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Walter Döring erklärte, die Rede des Bundeskanzlers sei "mutlos" und ohne "Aufbruchsignal" gewesen. Die erwarteten Reformen seien nicht mal angekündigt worden: "Das war kein Frühlingserwachen, sondern das Einsetzen der Kanzlerdämmerung."
KBV: Sicherstellungsauftrag nicht allein den Kassen überlassen
Kritisch sieht der Erste Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Manfred Richter-Reichhelm das Vorhaben, das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zu brechen: Die KBV wende sich zwar nicht gegen flexible Vertragsstrukturen, aber entschieden gegen eine einseitige Vertragsmacht der Krankenkassen gegenüber den Vertragsärzten, so der KBV-Chef. Statt den Krankenkassen die alleinige Steuerungsmacht zu übertragen, sollte der Sicherstellungsauftrag auch weiterhin gemeinsam von Kassen und KVen ausgeübt werden.
Zustimmung beim BPI
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sieht sich durch die Rede Schröders in seiner Auffassung bestätigt, dass mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen zugelassen werden muss und die GKV ein massives Einnahmeproblem hat. "Endlich räumt die Bundesregierung ein, dass die über viele Jahre betriebene Kostendämpfungspolitik gescheitert ist", erklärte BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp. Es sei erfreulich, dass Schröder trotz der angespannten Finanzlage der GKV eine weitere Rationalisierung von Leistungen ablehne. Richtig sei zudem die Befreiung der GKV von versicherungsfremden Leistungen. Soweit allerdings "kostenbewusstes Verhalten" unter anderem von der Pharmaindustrie eingefordert werde, sehe der BPI keinen Spielraum mehr. Fahrenkamp: "Über die Festbetragsregelung, die Aut-Idem-Regelung, das Beitragssatzsicherungsgesetz und die gesetzlich vorgeschriebene Reimport-Quote von Arzneimitteln leisten die standortgebundenen Pharmaunternehmen in Deutschland bereits einen Beitrag in Milliardenhöhe für das deutsche Gesundheitswesen."
Reform des Krankengelds: private Kassen dafür, gesetzliche dagegen
Der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) begrüßte den Vorschlag das Krankengeld aus der GKV auszugliedern und umzufinanzieren als "zukunftsweisend". Diese Leistung könne problemlos in eine private Versicherung überführt werden, weil keine Abgrenzungsprobleme zu anderen Gesundheitsleistungen bestehen. Verbandsdirektor Volker Leienbach erklärte, die PKV werde für die Ausarbeitung weiterer Details und Tarifmodelle zur Verfügung stehen.
Die AOK begrüßte Schröders Aussagen zur Gesundheitspolitik im Grundsatz: Der Kanzler habe nachdrücklich den Willen bekundet, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung zu verbessern und für mehr Wettbewerb zu sorgen, sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Hans Jürgen Ahrens. Eine Privatisierung des Krankengeldes lehnt die AOK allerdings ab: Dann müssten die Arbeitnehmer nicht nur den bisherigen Arbeitgeber-Anteil bezahlen, sondern auch die Gewinne und die teureren Verwaltungs- und Abschlusskosten der Privatversicherungen. Ahrens: "Deshalb muss eine Neuregelung unbedingt innerhalb der GKV solidarisch gestaltet werden."
Ersatzkassen rechnen mit sinkenden Beiträgen
Die Ausgliederung des Krankengeldes bereitet auch dem Ersatzkassen-Chef Herbert Rebscher "Bauchschmerzen" – die Vorschläge des Kanzlers zur Flexibilisierung des Vertragsrechtes und der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen entsprächen jedoch den Forderungen der Krankenkassen. Der "Berliner Zeitung" (Ausgabe vom 15./16. März) sagte Rebscher, auf diese Weise könnten die Kassen 12 Mrd. Euro sparen, d. h. 1,2 Beitragssatzpunkte. "Wir werden Entlastungen an die Versicherten weitergeben" versprach Rebscher. Ob man allerdings unter 13 Prozent komme, bezweifelt er: Das Geld werde auch für die Stabilisierung der Finanzen benötigt.
Kritik von DGB und Sozialverbänden
Wenig Begeisterung rief Schröders Rede bei den Gewerkschaften hervor. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Michael Sommer bezeichnete das Paket insgesamt als "alles andere als sozial ausgewogen." Im Bereich der Gesundheitspolitik missfällt ihm vor allem die angestrebte Privatisierung des Krankengeldes.
Auch der Sozialverband VdK vermisst eine klare Konzeption für die künftige Gestaltung des Gesundheitswesens. Der Bundeskanzler habe lediglich einen Flickenteppich an Maßnahmen, sagte VdK-Präsident Walter Hirrlinger. Der VdK lehne insbesondere Praxisgebühren und eine erneute Erhöhung der Selbstbehalte als "reine Abkassiermethoden" ab.
Positiv wertete Hirrlinger hingegen die Erstattung versicherungsfremder Leistungen und die Einführung einer elektronischen Patientenakte. Ebenfalls erfreulich sei, dass der Kanzler der Privatisierung von Zahnersatzkosten oder Zahnbehandlungen und der Absicherung privater Unfälle eine klare Absage erteilt habe.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.