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- DAZ 24/2003
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Die Seite 3
Seit letzter Woche ist die "Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems (Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz – GMG)" – so heißt es dort wörtlich – im Internet zu finden; insgesamt sind Gesetzes- einschließlich Begründungstext 389 Seiten stark.
Die Einführung zum Gesetzentwurf begründet die Notwendigkeit einer Reform unseres Gesundheitswesens u. a. mit dem medizinischen Fortschritt und der demographischen Entwicklung, die die Kosten in die Höhe treiben werden, und einer nicht zielgenauen Mittelverwendung, im Vokabular unserer Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt heißt das "Bekämpfung der Fehl-, Unter- und Überversorgung", die es in Teilbereichen gibt.
Mit einem gewaltigen Maßnahmenpaket will das Gesetz die Probleme in der Krankenversicherung lösen. Für den Apothekenbereich heißt es dazu in der Einleitung lapidar nur "Liberalisierung des Arzneimittelmarktes und Modernisierung der Vertriebsstrukturen durch Zulassung von kontrolliertem Versandhandel auch mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln".
Die Liberalisierung des Arzneimittelmarktes und Modernisierung der Vertriebsstrukturen will die Bundesregierung u. a. dadurch erreichen, dass Arzneimittelpäckchen verschickt werden und Kettenapotheken entstehen dürfen, nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel einer freien Preisbildung unterliegen und der Apotheker eine neue Arzneimittelpreisverordnung erhält.
Zum Versandhandel haben wir nicht nur an dieser Stelle schon des öfteren unsere Bedenken vorgetragen. Was Päckchenversand mit Modernisierung zu tun haben soll, wird mir wohl immer verborgen bleiben. Oder ist allein eine Arzneimittelbestellung per Internet für unsere Gesundheitspolitiker schon "modern"?
Bis heute habe ich noch keine Begründung von Politikern gehört, warum sie das von den Apothekern vorgeschlagene Modell einer erweiterten und sichereren Zustellung von Arzneimitteln per Boten nicht akzeptieren und einem nachgewiesenermaßen unsichererem Versand der Arzneimittel per Post das Wort reden.
Liegt die Erklärung etwa darin, dass für Arzneimittel, die verschickt werden, gesonderte Preise vereinbart werden dürfen und man sich dadurch niedrigere Arzneimittelpreise erhofft? Nicht einmal in der Begründung zum Gesetzestext findet sich ein ehrlicher Hinweis darauf, was hinter der Zulassung des Versandhandels wirklich steckt.
Ein besonderes Novum wird die Freigabe der Preisbindung bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sein, wenn denn dieser Entwurf in dieser Form Gesetzeskraft erlangen sollte. Begründet wird die Freigabe damit, dass sich bisher vorgetragene Argumente für die Preisbindung nicht mehr halten ließen, wie z. B. Lagerrisiko und Kapitalbindung der Apotheke oder Unzumutbarkeit von Preisvergleichen für den Patienten.
Man möchte also – das sollte man dann den Patienten auch sagen – den Kranken zumuten, dass sie im Rahmen der Selbstmedikation von Apotheke zu Apotheke zu gehen, um Preise zu vergleichen, wenn sie ein Präparat möglichst günstig erwerben möchten. Man erwartet durch die Preisfreigabe eine Preissenkung von 15 %.
Ich habe da so meine Zweifel, denn unter dem Vorzeichen von Wettbewerb, den die Regierung hier ausdrücklich wünscht, bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Also kann es durchaus vorkommen, dass OTC-Arzneimittel teurer werden als heute, z. B. bei einer Grippe- oder Erkältungswelle. Zudem erschließt sich dem Apothekenkunden der Preis eines OTC-Präparats nicht ohne weiteres. Diese Arzneimittel stehen nicht in der Freiwahl, wo Preise abgelesen und verglichen werden könnten.
Auch in der Sichtwahl erkennt man keine Preise. Und welcher Kunde läuft schon von Apotheke zu Apotheke, um den Preis eines Arzneimittels zu erfragen, um sich dann in der x-ten Apotheke das Präparat zu kaufen? Zu einem von der Regierung gewünschten Wettbewerb unter Apotheken wird es auch deswegen kaum kommen, da eine Apotheke für OTC-Arzneimittel keine Werbung betreiben und damit nicht in Anzeigen auf ihre (günstigen) Preise hinweisen darf. Allenfalls im Schaufenster ist es möglich, über die Preisauszeichnung auf (Sonder-)Angebote hinzuweisen.
Werden nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der Kassen verordnet, sollen dagegen Preise gelten, die zwischen einem Landesverband der Krankenkassen und den Landesverbänden der Apotheker festgelegt werden. Das bedeutet, es wird letztendlich Listen geben, in denen die ausgehandelten Kassenpreise für OTC-Arzneimittel aufgeführt sind bzw. der Apothekencomputer zeigt bei den OTC-Präparaten zwei Preise an: den Kassenpreis und den für die Selbstmedikation vom Apotheker selbst kalkulierten Preis.
Mit einer Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen soll es in Zukunft Kettenapotheken geben dürfen. Ein Apotheker muss selbst seine Hauptapotheke führen, für jede seiner Nebenapotheken muss er einen verantwortlichen Apotheker benennen. Fremdbesitz bleibt ausgeschlossen. Warum man überhaupt Kettenapotheken will, erschließt sich nicht aus der Begründung. Dient dies nur einer Liberalisierung, wozu auch immer? Was hat dies mit Wettbewerb zu tun? Mit Modernisierung?
Übrigens, auch eine Folgeänderung der Apothekenbetriebsordnung steht aufgrund des GMG an. Dabei wird u. a. "§ 25 Apothekenübliche Waren" neu formuliert. Das Hauptsegment der Apotheke läuft dann unter der Definition: "Mittel sowie Gegenstände und Informationsträger, die der Gesundheit von Menschen und Tieren mittelbar und unmittelbar dienen oder diese fördern".
Ich kann mir schon heute ausmalen, welche Waren hier in Kürze in den Apotheken erscheinen und angeboten werden, denn diese Formulierung ist mehr als wachsweich. Da dürften wir nicht mehr weit weg sein von Verhältnissen wie in anderen europäischen Ländern, in denen die berühmten Sonnenbrillen und Badeschuhe zum Standardsortiment gehören. Dienen nicht auch Biojoghurts der menschlichen Gesundheit?
Lesen Sie die wichtigsten Passagen des GMG-Entwurfs zum Apothekenbereich in dieser Ausgabe (S. 104).
Peter Ditzel
Es geht zur Sache
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