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- DAZ 35/2003
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Medizinprodukte
R. G. Berger, A. HahnIn-vitro-Test von Sättigungsco
Therapie der Adipositas
Übergewicht und Adipositas stellen in Deutschland und anderen Industrieländern ein zentrales gesundheitliches Problem dar. Mittlerweile ist mehr als jeder Zweite übergewichtig, jeder Fünfte ist sogar als adipös anzusehen.
Übergewicht ist eine chronische Erkrankung, die zahlreiche Folgeerscheinungen begünstigt, z. B. Diabetes mellitus, Hypertonie, koronare Herzkrankheit und Krebs. Die Therapie des Übergewichts richtet sich nach der Situation des Patienten. Bei leichtem Übergewicht (BMI 25 bis 30 kg/m2) und dem Fehlen assoziierter Erkrankungen genügt eine Gewichtsstabilisierung, bei Adipositas (BMI > 30 kg/m2) ist in jedem Fall eine Gewichtsreduktion erwünscht. Liegen Begleiterkrankungen vor, ist dies bereits bei einem BMI über 25 kg/m2 anzustreben.
Ziel jeder Therapie ist es dabei, nicht nur Gewicht zu reduzieren, sondern das reduzierte Gewicht auch zu halten, da Gewichtsschwankungen eine starke Belastung für den Organismus darstellen.
Da der zentrale pathogenetische Mechanismus der Adipositas auf einer Positivierung der Energiebilanz mit steter Zunahme des BMI beruht, zielen alle präventiven Maßnahmen darauf ab, ein Gleichgewicht von Energiezufuhr und Energieverbrauch zu erhalten, während es bei therapeutischen Maßnahmen notwendig ist, die Energiebilanz zu negativieren. Das heißt: Einschränkung der Nahrungs- und damit der Energieaufnahme sowie eine Erhöhung der körperlichen Aktivität und damit des Energieverbrauchs [8, 10].
Die evidenzbasierte Leitlinie zur Adipositastherapie fordert eine interdisziplinäre Behandlungsstrategie und setzt sich aus einer Basistherapie sowie einer erweiterten Therapie zusammen [4]. Genereller Bestandteil der Therapie ist eine Umstellung der Ernährung, eine Änderung des Essverhaltens sowie eine Verhaltensmodifikation, verbunden mit vermehrter Bewegung.
Führen diese Maßnahmen nicht zu einer Gewichtsreduktion, kann eine zusätzliche medikamentöse Therapie (mit Orlistat oder Sibutramin) angewendet werden. Bei extrem Adipösen können außerdem chirurgische Maßnahmen (Magenrestriktion, Magenband) erfolgversprechend sein.
Probleme bei der Reduktion der Nahrungsaufnahme
Ein zentrales Element der Adipositastherapie stellt die Verminderung der Nahrungszufuhr dar. In der Praxis ist die Compliance der Betroffenen jedoch gering, da hieraus keine oder eine nur kurz anhaltende Sättigung resultiert, denn die Magenfüllung ist ein wesentlicher Faktor der Hunger-Sättigungs-Regulation.
Im komplexen und erst teilweise verstandenen System der Steuerung von Hunger und Sättigung tragen sowohl biologische als auch psychosoziale Einflüsse zur Vermittlung von Sättigungssignalen bei [3]. Eine wesentliche Rolle spielen dabei nervale Verbindungen zwischen dem Gastrointestinaltrakt und dem im Hypothalamus lokalisierten Sättigungszentrum.
Insbesondere eine Distension im Bereich der kleinen Kurvatur des Magens bedingt eine Stimulation afferenter Fasern des Nervus vagus und damit ein Sättigungssignal [1]. Auch die verzögernden Wirkungen von Cholecystokinin auf die Magenentleerung scheinen in diesem Zusammenhang eine modulierende Wirkung auszuüben.
Aus diesem Grund wird unter anderem empfohlen, eine ballaststoffreiche Nahrung zuzuführen, um die Sättigung zu verbessern. Neben vielfältigen anderen Effekten führen viele Ballaststoffe durch ihre Faserstruktur oder ihr Quellvermögen zu einer stärkeren Magenfüllung. Gleichzeitig wird die Magenentleerung verzögert, sodass die Sättigung länger anhält.
Dieser Effekt erklärt sich aus der Physiologie der Magenentleerung, da der Pylorus (Pförtner) nur feste Partikel passieren lässt, die auf eine Größe von im Durchschnitt 0,1 bis 1 mm zerkleinert wurden [9]. Die durch Ballaststoffe erhöhte Viskosität des Speisebreies verzögert die Entleerung dabei vermutlich ebenso wie die Tatsache, dass Ballaststoffpartikel für eine gewisse Zeit eine Barriere vor dem Pylorus bilden.
Insgesamt ergibt sich hieraus epidemiologisch, dass eine ballaststoffreiche Ernährungsweise mit einem niedrigeren Körpergewicht assoziiert ist. Dies zeigt sich beispielsweise bei Vegetariern, die weitaus mehr Ballaststoff aufnehmen als die Durchschnittsbevölkerung und u. a. aus diesem Grund deutlich seltener übergewichtig sind [5, 6].
Medizinprodukte zur Vorbeugung und zur Basistherapie
Zur Unterstützung der Adipositas-Basistherapie wie auch zur Vermeidung von Übergewicht werden seit 1999 in Deutschland Medizinprodukte angeboten, die zu den erfolgreichsten Präparaten im OTC-Markt zählen. Prinzipiell nutzen sie die vorgenannten Mechanismen des Magens.
Es handelt sich dabei um quellfähige Stoffe, die im Magen nach Flüssigkeitsaufnahme expandieren und dadurch eine gewisse "Vorsättigung" hervorrufen sollen, sodass die anschließende Mahlzeit geringer ausfällt. Gleichzeitig sind Einflüsse auf die Magenentleerung vorstellbar, wenngleich bislang noch keine Untersuchungen zu den Mechanismen vorliegen.
Erste Daten zeigen, dass derartige Präparate in Verbindung mit einer Reduktionskost zu einer deutlichen Gewichtsabnahme beitragen, vermutlich indem sie die Compliance der Patienten erhöhen [2, 7].
Keine Angaben finden sich bisher über die physikochemischen Eigenschaften von quellfähigen Sättigungsprodukten und ihr daraus resultierendes Verhalten im Magen-Darm-Trakt. Unter der Annahme einer raschen Quellung in wässriger Lösung läge im Magen nach wenigen Minuten ein schwammartiger Körper vor, dessen Einwirkung auf die Mechanosensorik des Magens wie beschrieben eine nicht vorhandene Füllung mit Speisen vortäuscht und möglicherweise die Entleerungsgeschwindigkeit anschließend aufgenommener Nahrung reduziert.
Von zentralem Interesse ist die Kinetik dieser Wirkung. Sie erfordert
- einerseits eine schnelle Quellung im Magen und
- andererseits eine sichere, definierte Hydrolyse nach der Quellungsphase.
Nur wenn Enzyme des Magens und des Darms die Quellmatrix wieder abbauen, wird eine zentrale Forderung hinsichtlich der therapeutischen Unbedenklichkeit erfüllt.
Ziel der vorgelegten Untersuchungen war es, die Quellungs- und Abbaukinetik zweier Handelspräparate mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung, Matricur und CM3 Alginat, im nüchternen Zustand und unter simulierten physiologischen und mechanischen Verhältnissen des Magens visuell und messend zu verfolgen. Bei Matricur handelt es sich um einen gefriergetrockneten Kollagenschwamm, der als Oblongtablette gepresst ist; CM3 Alginat ist eine Polyzuckersäure und zeigt die typische Erscheinungsform einer Gelatinekapsel.
Material und Methoden
Alle Versuchsvorschriften sind gemäß USP 23 sowie Europäischem und Deutschem Arzneibuch angewendet worden.
Chemikalien
Die untersuchten Proben waren Matricur, Charge 1 L 976515, 2002-09, Charge 2 L 089705, 2001-06 und CM3 Alginat Kapseln, Charge 1 216A02 verwendbar bis 10. 2004, Charge 2 216A03 verwendbar bis 10. 2004.
Künstlicher Magensaft bestand aus 2,0 g NaCl p.a. (Merck), 3,2 g Pepsin (Pepsini pulvis, Fluka), HCl rauchend p.a. (Merck) ad 1000 mL (H2O, demin.), pH 1,2.
Künstlicher Magensaft gleicher Zusammensetzung, aber mit erhöhtem pH-Wert, wurde an der kalibrierten Einstabmesskette auf pH 2,2; 3,2; 4,2 justiert.
Künstlicher Magensaft nach simulierter Nahrungsaufnahme enthielt zusätzlich 10 g Casein oder Hämoglobin (Sigma) oder Gelatinepulver (bella back, Supermarkt) oder Proteinmix 8 g Casein plus 2 g Gelatine und wurde auf pH 2,2 oder 4,2 justiert.
Künstlicher Magensaft nach simulierter Nahrungsaufnahme mit pH-Gradient enthielt 8,0 g Casein und 2,0 g Gelatinepulver; der pH-Wert (2,2 oder 4,2) wurde voreingestellt, dann der beschriebene pH-Gradient durchlaufen.
Künstlicher Darmsaft bestand aus 6,8 g KH2PO4 p.a. (Merck), 2,5 g Pankreatin (Sigma, 4u USP-Standard), NaOH 0,2 M (aus Pellets p.a., Merck) ad 1000 mL (H2O, demin.) pH 7,5.
Versuchsdurchführung
Ein Stück feingewogenes Kollagen-Comprimat (geringe herstellungsbedingte Toleranzen der Masse) wurde in 250 mL simulierten Magensaft, thermostatisiert auf 37,0 °C im Wasserbadschüttler (Julabo, 50 Upm, 15 mm Schüttelamplitude), gegeben. Nach Beendigung der Hydrolyse erfolgte die Trockenmassebestimmung und die Fotodokumentation.
Die verbleibende Masse des Comprimates wurde nach 4 h bei 103 °C und 30 min im Exsikkator und Wiederholung mit jeweils zweistündigem Nachtrocknen bis zur Gewichtskonstanz bestimmt. Der Abbau der Proben wurde visuell an einer Gel-Auswertestation mit CCD-Kamera verfolgt.
Die Versuche zum Abbau durch simulierten Magen- und Darmsaft erfolgten mit einer ersten Phase bei pH 2,2 oder 4,2 in 250 mL simuliertem Magensaft wie oben; nach 300 min wurde in 250 mL simulierten Darmsaft überführt und nach Beendigung des Verdaus (60 bzw. 120 min oder über Nacht) die Fotodokumentation angeschlossen, falls kein vollständiger Abbau stattgefunden hatte.
Um den Einfluss einer simulierten Nahrungsaufnahme zu messen, erfolgte nach 30 min, in denen die Kollagen-Comprimate quollen, der Zusatz von jeweils 10 g Casein, Hämoglobin oder Gelatinepulver. Nach Beendigung der Hydrolyse erfolgte Fotodokumentation und Trockenmassebestimmung wie oben.
Die analogen Versuche mit den CM3 Kapseln erfolgten in 200 mL simuliertem Magensaft im Wasserbadschüttler (Julabo, 60 Upm, 15 mm Schüttelamplitude, 37,0 °C), Fotodokumentation teilweise ohne jede weitere mechanische Manipulation im 250-mL-Becherglas; bei sehr starker Trübung auch nach vorsichtigem Transfer auf Petrischale mit Löffel und Pinzette (Modell Sitzender Mensch).
Eine weitere Versuchsreihe mit einer Einwaage von je zwei Kapseln in 150 mL simuliertem Magensaft erfolgte im Rundschüttler (Braun Certomat R + HK, 140 Upm, 24 mm Schüttelamplitude, 37,0 °C) (Modell Gehender Mensch).
Ergebnisse und Diskussion
Abbaukinetik von Matricurin simuliertem Magensaft Der Säuregrad des Magens verändert sich im Laufe des Tages, insbesondere nach der Aufnahme von Nahrung. Trotz der erhöhten Säuresekretion kommt es nach einer Mahlzeit - insbesondere bedingt durch die Pufferkapazität von Proteinen - zunächst zu einem deutlichen Anstieg des pH-Wertes.
Sehr saure oder sekretionsfördernde Lebensmittel wie Orangensaft, Ananassaft, verschiedene Weißweine oder Kaffeesorten senken hingegen den pH-Wert. In nüchternem Zustand oder nach Konsum saurer Getränke können pH-Werte um 1,2 erreicht werden; nach oben hin wird ein pH-Wert von 3,2 von gesunden Personen während des Tages nicht überschritten.
Die nachfolgend dargestellten In-vitro-Versuche sind über den pH-Bereich von 1,2 bis 4,2 durchgeführt worden. Für Darmsaft ist ein pH-Wert von 7,5 als typisch angesehen worden.
Die Abbildungen 1a bis 1e demonstrieren, dass in simuliertem Magensaft mit pH 1,2 in einer etwa zwei- bis dreistündigen Phase eine gute Formstabilität des Kollagen-Comprimates herrschte, weil Peptidolyse und Quellung gleichzeitig abliefen.
Danach dominierte visuell die Auflösung des Comprimates. Innerhalb des Untersuchungszeitraums von acht Stunden kam es zu einer fast quantitativen Peptidolyse. Im typischen Fall verblieben zwei bis drei fädige Restbestandteile (Abb. 1e). Eine vergleichbare Kinetik ergab sich bei pH 2,2 (Abb. 1f). Diese beiden pH-Werte liegen nahe am Wirkoptimum des Pepsins (pH 2; EC 3.4.23.).
Erwartungsgemäß verlief der Abbau bei höheren pH-Werten innerhalb derselben Zeitspanne messbar (Trockenmassen) und sichtbar langsamer (Abb. 2a und b). Bei pH 3,2 kann der Abbau des Comprimates in der Simulation immer noch als nahezu vollständig bezeichnet werden. Die Gefahr der Pylorusstenose kann daher als ausgeschlossen gelten.
Die in Abbildung 3 dargestellten Messdaten bekräftigen die visuellen Eindrücke und verdeutlichen die für übliche Magen-pH-Werte (pH 1,2 und 2,2) sehr gleichmäßige Abbaukinetik. Höhere pH-Werte, die im Fall von pH 4,2 jenseits der physiologischen Realität liegen, führten zu einem irregulären Abbauverhalten (siehe 180 min und 360 min bei pH 3,2 sowie 360 und 420 min bei pH 4,2).
Da der isoelektrische Punkt (pI) von Kollagen aus Kälberhaut bei pH 4,8 liegt und an diesem Punkt minimale Löslichkeit und maximale Kristallisierbarkeit vorliegen, kann auch im benachbarten pH-Bereich mit abweichendem Verhalten gerechnet werden.
Als hypothetische Ursache werden die partielle Inaktivierung oder Adsorption des Pepsins am Comprimat oder ein verändertes Quellverhalten des Comprimates vorgeschlagen. Der Effekt muss in vivo nicht ebenso auftreten, da aktives Pepsin kontinuierlich nachgeliefert wird.
Immerhin kann festgehalten werden, dass auch bei dem außergewöhnlich hohen pH-Wert von 4,2 nach acht Stunden weniger als 30% der ursprünglichen Trockenmasse, verteilt auf drei kleinere Partikel (Abb. 2b), vorliegen, dass also der Abbau recht weit fortgeschritten ist.
Die beiden Chargen von Matricur zeigten in der Abbaukinetik keine signifikanten Abweichungen voneinander.
Vervollständigung des Abbaus in simuliertem Darmsaft
Nach 6 Stunden Verweilzeit in simuliertem Magensaft pH 2,2 oder 4,2 wurden die Kollagencomprimate in simulierten Darmsaft überführt. Schon nach 60 Minuten waren nur noch kleine, sehr weiche Restanteile des Comprimates mit wenigen Millimetern größter Längenausdehnung vorhanden (Abb. 4). Nach 3 h in simuliertem Darmsaft war selbst das noch grobstückige Comprimat aus Magensaft pH 4,2 quantitativ aufgelöst.
Damit wurde auf eindrucksvolle Weise die Annahme bestätigt, dass Pepsin und Pankreatin im Zusammenwirken selbst dann für einen raschen und vollständigen Abbau des Comprimates sorgen, wenn im Magen extrem hohe pH-Werte vorliegen. Stenosierende Effekte der Kollagenprodukte im Dünndarm sind für Gesunde deshalb in jedem Fall auszuschließen.
Abbaukinetik in Gegenwart weiterer Proteine in simuliertem Magensaft
Wenn nach Einnahme von Matricur eine reguläre Mahlzeit verzehrt wird, enthält diese in der Regel zwischen 10 und 30 Gramm Reinprotein, das zusätzlich zum Kollagen des Comprimates peptidolytisch abgebaut wird.
Die ungleichen Mengenverhältnisse an Protein (10 g Gelatine, Casein, Hämoglobin oder 1:1:1 Mix versus 250 mg Comprimat) in den Experimenten lassen Interferenzen erwarten. Tatsächlich wurde der Abbau der Comprimate durch den Proteinzusatz deutlich verzögert (Abb. 5a - d).
Pepsin hydrolysiert bevorzugt neben Phenylalanyl-, Tyrosyl- und Tryptophanylresten, die auch in den zugesetzten Proteinen enthalten sind. Diese wirken als kompetitives Substrat.
Die Spaltpeptide verändern durch ihre Pufferwirkung aber auch den pH-Wert der Lösung: Schon allein durch den Proteinzusatz stieg der pH-Wert in vitro zu Beginn des Experiments deutlich über den ursprünglich einjustierten Wert an, und der anschließende proteolytische Abbau verstärkte den Effekt (Abb. 6). Der verlangsamte Kollagenabbau durch das Entfernen vom optimalen Wirk-pH-Wert des Pepsins ist oben bereits belegt worden (Abb. 2a und b).
Neben Substratkompetition und pH-Wert-Anstieg wurde noch ein weiterer verzögernder Faktor nach Zusatz von Hämoglobin augenfällig: Die Comprimate verfärbten sich homogen (Abb. 5c). Anteile des Hämoglobins (pI des histidinreichen Hämoglobin A = 6,9) adsorbieren offenbar durch ionische Wechselwirkungen an das Comprimat, sodass aktives Pepsin keinen direkten Zugang mehr zum Substrat erhält, sondern nur die immer wieder neu adsorbierenden Schichten von Hämoglobin hydrolysieren kann.
Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, dass die zugesetzten Proteinmengen für sich genommen zwar physiologisch waren, dass die In-vitro-Versuchsanordnung aber im Vergleich mit den physiologischen Verhältnissen ungünstig war, weil hier keine kompensatorische Säure- und Pepsinbildung stattfand. Der Abbau der Matricur-Comprimate wird deshalb in vivo erheblich rascher vonstatten gehen, weil Pepsin und Säure bedarfsgerecht nachgeliefert werden.
Die Überführung der Comprimate mit adsorbiertem Restprotein in simulierten Darmsaft bewirkte, wie oben für das reine Comprimat geschildert, wiederum die quantitative Hydrolyse (analog der Abb. 4).
Abbaukinetik von CM3 Alginat in simuliertem Magensaft
Das mit Aluminium-Ionen verfestigte Alginat des CM3-Präparates wurde unter den gleichen Bedingungen wie Matricur inkubiert. Nach 15 Minuten auf dem Längsschüttler war bei pH 1,2 ein Anquellen der Ränder zu beobachten, während bei den höheren sauren pH-Werten ein rasches Auffalten quer zur Längsachse erfolgte, noch bevor das Pepsin die blaue Gelhülle der Kapsel vollständig abgebaut hatte. Bei pH 7,5 erfolgte kaum Volumenänderung, nur merkliche Hydrolyse des Kapselmaterials (Charge 1).
Die Abbildungen 7a bis e zeigen die Ergebnisse für Charge 2 nach 25 Minuten. Trotz oberflächlicher Quellung war das Volumen bei pH 1,2 gegenüber der trockenen Kapsel kaum verändert (Abb. 7a; auch Abb. 10a); die Länge betrug konstant etwa 25 mm.
Bei pH 2,2 (Abb. 7b) ist eine laterale Quellung sichtbar, bei pH 3,2 (Abb. 7c) ist der strukturelle Zusammenhalt der Kapsel verloren gegangen, obwohl immer noch Hüllmaterial zu sehen ist. Dieses Foto ist kontrastverstärkt worden, um den Zerfall besser sichtbar zu machen. Auch bei pH 4,2 wird massive Erweichung beobachtet (Abb. 7d). Äußerlich fast unverändert bleibt die Kapsel in pH 7,5 (Abb. 7e).
Nach 60 Minuten ergaben sich kaum weitere Veränderungen. Die Länge der Kapsel bei pH 1,2 betrug weiterhin ca. 25 mm bei randständiger Quellung. Bei pH 2,2 wurde ein pastenartiges, weitgehend zerfallenes Produkt erhalten, pH-Werte über 3 führten zum völligen Integritätsverlust, wobei gelöste und suspendierte Anteile nicht mehr fotografisch erfassbar waren. Volumenänderungen bei pH 7,5 waren auch weiterhin nicht feststellbar.
Längere Inkubationszeiten veränderten die erhaltenen Bilder nicht mehr tiefgreifend: Auch nach 150 Minuten war keine nennenswerte Quellung bei pH 1,2 zu beobachten; geringe Anteile lagen suspendiert vor. Zwischen pH 2,2 und 4,2 dominierten feine Reste von Flocken. Auch bei pH 7,5 ergab sich das schon bekannte Bild.
Der angestrebte geltypische Zustand wurde bei pH 7,0 nach 900 Minuten erhalten: deutliche Quellung auf fast die doppelte Länge, klebrig-elastische Struktureigenschaften und nach einer Stunde Trockenzeit bei 20 °C Schrumpfen auf annähernd Originalgröße (Abb. 8).
Diese pH-Bedingungen werden jedoch erst nach der Magenpassage erreicht, zu spät für die erwünschte therapeutische Wirkung. Unter physiologischen Bedingungen ist eine entsprechende Quellung und damit eine Funktionalität des Produktes nicht gegeben.
Versuchsserie mit Rundschüttler
Für eine zweite Versuchsserie wurde ein abgedunkelter Rundschüttler gewählt, um den physiologischen Verhältnissen im Magen eines sich bewegenden Menschen nahe zu kommen. Abbildung 9 vergleicht beide Chargen bei pH 2,2 nach zehn Minuten. Der Integritätsverlust war weit fortgeschritten, wobei die Charge 2 nicht ganz so stark erweichte.
Der Quellprozess erfolgte überwiegend quer zur Längsachse der Kapsel und führte nicht zu einem stabilen Gelkörper, sondern zu einer Vielzahl sich ablösender kleinerer und kleinster flockenartiger Partikel, die die Lösung in eine Suspension verwandelten und die Fotodokumentation erschwerten.
Die vermeintlichen Quellkörper stellten sich als mattenartige, höchst fragile Partikel dar, die bei pH 2,2 und darüber weniger durch die recht milde Schwenkbewegung als vielmehr durch fehlende Eigenbindung ihre Integrität verloren.
Im weiteren Verlauf (Messdaten bis 120 min liegen vor) bestätigten sich die Trends: pH 1,2 führte zu einer geringen Anquellung mit aus der Kapsel heraus diffundierenden suspendierten Kleinpartikeln. Der stärkste sichtbare Strukturverlust trat bei dem (für den Magen typischen) pH-Wert von 2,2 auf, wo Charge 1 eine aufschwimmende wolkige Struktur und Charge 2 eine zunehmend lockerere Mattenstruktur annahm. Noch stärkere Dispergierungs- und Lösungseffekte führten bei den extrem weichen Proben bei pH 3,2 zu einer starken Trübung und Suspensionsbildung.
Die nach 60 Minuten verbleibenden Partikel wurden mit größtmöglicher Vorsicht auf eine wasserfeste Unterlage transferiert. Die Abbildung 10a zeigt, wie gering die Quellung im Vergleich zur intakten Kapsel bei pH 1,2 ausfiel. Nicht einmal der vermeintlich existierende Volumenzuwachs ist echt, denn das Produkt quoll nur eindimensional (quer zur Längsachse) und erhielt eine Art (eckige) Bohnenform; fotografiert wurde die stabile Lage auf der Flachseite.
Bei pH 2,2 konnten nur weiche Reste transferiert werden, die auf jede mechanische Einwirkung mit Zerfall reagierten (Abb. 10b). Bei pH 3,2 wurden chargenunabhängig nur noch Flocken präpariert (Abb. 10c). Auf weitere, an das Vorgehen bei Matricur angelehnte Experimente ist deshalb verzichtet worden.
Gesamtschau und Schlussfolgerungen
Beide Medizinprodukte zeigten das entsprechend ihrer chemischen Zusammensetzung zu erwartende In-vitro-Verhalten:
- Matricur als Protein bildete rasch einen gequollenen Gelkörper, der in den Enzymlösungen reproduzierbar und vollständig zu löslichen Produkten umgewandelt wurde.
- CM3 Alginat quoll bei pH 1,2 nur in marginalem Umfang, und Gelbildung fand nicht statt. Höhere pH-Werte führten schon nach wenigen Minuten zu extrem weichen Teilstücken, die im weiteren Verlauf zu kleinen, flockenartigen Partikeln suspendierten und dann in die Lösung einsanken. Bei den Versuchsreihen auf dem Rundschüttler zerfiel CM3 Alginat noch etwas schneller als auf der Längsschüttelmaschine.
Die Unterschiede ("Sitzender Mensch" versus "Gehender Mensch") waren jedoch gering ausgeprägt, weil nicht mechanische, sondern physikochemische Prozesse die Zerfallsgeschwindigkeit determinierten.
Der pKs-Wert der Carboxylgruppen der Uronsäuren in Alginaten liegt im Bereich um 4. Bei neutralem pH-Wert sind Alginate in Gegenwart von Ionen wie Na+ oder NH4+ als Salze löslich, mit Ca2+ als Salz quervernetzbar und fällbar oder alternativ durch H+ in die freie Säure überführbar und nach Verlust der Ladungen fällbar, wovon in der Technik Gebrauch gemacht wird.
Oberhalb des pKs-Wertes und damit außerhalb eines im Magen jemals erreichbaren pH-Wertes bilden sich je nach Gegenion und Konzentration viskose Lösungen bis Gele.
Wird CM3 Alginat in stark saurer Lösung gehalten (pH 1,2, entspricht 790 mM HCl), konkurrieren die in großem Überschuss vorliegenden Protonen der Lösung erfolgreich mit den Metallionen um die Bindungsplätze an den Carboxylat-Anionen. Es entsteht quasikristalline, wasserunlösliche Alginsäure.
Bei steigendem pH-Wert erfolgt allmählich Deprotonierung der Carboxylgruppen und Salzbildung mit den Gegenionen. Bei pH 2,2 und verstärkt bei pH 3,2 beginnt Hydratwasser in das Polysaccharid einzudringen, sodass sich große Bezirke unlöslicher Alginsäurepakete voneinander zu lösen beginnen.
Schon aus der chemischen Zusammensetzung von CM3 Alginat kann vorhergesagt werden, dass eine nutzbare Gelbildung erst oberhalb des pKs-Wertes stattfinden wird. Erwartungsgemäß haben die geschilderten In-vitro-Experimente bestätigt, dass Quellung und Volumenvergrößerung im simulierten Magensaft ausbleiben. Das angestrebte Ziel des Sättigungseffektes durch Beeinflussung der Mechanosensorik des Magens kann nicht erreicht werden.
Literatur
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Sättigunscomprimate im Vergleich. Bestimmte quellfähige Medizinprodukte sollen übergewichtige Menschen bei der Verringerung der Nahrungsaufnahme unterstützen, indem sie ein Sättigungsgefühl hervorrufen. Bei In-vitro-Versuchen zeigte sich, dass das Kollagen-Präparat Matricur die theoretischen Anforderungen erfüllt, indem es erst nach einer anhaltenden Quellung abgebaut wird. Das Alginat-Präparat CM3 hingegen zerfiel unter Versuchsbedingungen schon nach wenigen Minuten; dieses Ergebnis weckt Zweifel an der In-vivo-Wirksamkeit des Präparates.
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