Berichte

Pharmaziegeschichte: Alkohol und Pharmazie

Im Herzen des württembergischen Weinbaugebietes trafen sich am 18. und 19. Oktober 2003 mehr als fünfzig pharmaziehistorisch Interessierte zur diesjährigen Herbstveranstaltung der Landesgruppen Baden und Württemberg der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP), zu der auch die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg eingeladen hatte. Veranstaltungsort war Brackenheim, die Geburtsstadt von Theodor Heuss (1884 Ų 1963), die bezüglich der Anbaufläche die größte Rotweingemeinde Deutschlands und die größte Lembergergemeinde der Welt ist.

Vom nahrhaften Getränk zum Suchtmittel

Dr. Jutta Hermann, die aus den Niederlanden angereist war, ging den Spuren von "Alkohol in der Pharmazie- und Kulturgeschichte" nach. Sie hob hervor, dass die zwiespältige Einstellung der Menschen zum Alkohol recht neu ist. Jahrtausendelang standen dagegen seine vorteilhaften Wirkungen im Vordergrund. Leichtere alkoholische Getränke wie Bier, Wein und Met wurden seit unbekannter Zeit hergestellt.

Wegen des relativ niedrigen Gehalts an Alkohol stand ihre Wirkung als Rauschmittel nicht im Vordergrund. Ganz selbstverständlich stillte man mit ihnen gerade dort, wo die Wasservorräte verunreinigt waren, den Durst und konnte mit Hilfe ihres hohen Nährwertes manch karge Zeit überstehen.

Eine positive Einstellung zum Alkohol zeigt z.B. eine Verlautbarung des preußischen Königs Friedrich des Großen (reg. 1740 bis 1786), in der betont wurde, dass der König ebenso wie seine Vorfahren und Offiziere "höchst selbst in deren Jugend mit Bier-Suppe erzogen" worden seien.

Soldaten, die mit Bier ernährt wurden, hätten viele Schlachten geschlagen und gewonnen; ob Kaffee trinkende Soldaten verlässlich genug gewesen wären, die Strapazen des Krieges durchzustehen, sei hingegen fraglich.

Neben der Funktion als Nahrungsmittel hatte der Alkohol seit langer Zeit auch die Aufgabe eines Arzneimittels. So waren Bier, Wein und Schnaps bis vor 150 Jahren fast die einzigen Analgetika. Entsprechend den Sprüchen Salomons sollte man Wein den "betrübten Seelen" geben, und der barmherzige Samariter behandelte die Wunden des misshandelten Kaufmanns mit Öl, Wein und Verbänden.

Sowohl bei Hippokrates als auch bei Dioskurides nahm der Wein als Arzneimittel eine wichtige Stellung ein, so z.B. als schlafförderndes Mittel, Magenmittel und als Antidot bei Vergiftungen.

Durch eine technologische Neuerung, nämlich die Destillation von reinem Alkohol, wandelte sich allmählich dessen Image. Zuerst galt der Weingeist oder "spiritus vini" als Jungbrunnen, Allheilmittel und Lebenswasser oder "aqua vitae". Er sollte gegen Läuse, Flöhe und Kahlheit wirken, Mut verleihen und das Gedächtnis stärken.

Anfangs waren die Apotheken privilegiert, Weingeist herzustellen und zu verkaufen, doch seit dem 16. Jahrhundert entstanden so genannte Branntweinbuden, die u. a. den sonntäglichen Kirchgang "bereicherten". So kam es, dass sich bereits im Mittelalter das Janusgesicht des Branntweins und anderer Spirituosen offenbarte.

Als in Europa Kaffee und schwarzer Tee bekannt wurden, machten sie den alkoholischen Getränken bald den Rang streitig. Man erkannte, dass Alkohol Abhängigkeit verursacht und dass diese Abhängigkeit eine Krankheit darstellt.

In der Pharmazie wurde der reine Alkohol ein wichtiger Hilfsstoff. Nunmehr war es möglich, neuartige Drogenauszüge zu gewinnen und in Form von Tinkturen und Ähnlichem zu konservieren. Nach Entdeckung der Bakterien wurde Alkohol auch ein wichtiges Desinfektionsmittel.

Hermann beendete ihren Vortrag mit den Worten Abraham Lincolns, dass gewisse Leute mit dem Alkohol nicht "etwas Böses" verwenden, sondern "etwas sehr Gutes" missbrauchen.

Alkohol in der modernen Pharmazie

Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, beleuchtete die Bedeutung des Alkohol in der modernen Pharmazie. Hier dient Alkohol als Lösungsmittel, Extraktionsmittel, Desinfektionsmittel und Konservierungsmittel.

Die konservierende Wirkung setzt bei einem Alkoholgehalt von 15% ein; die keimtötende Wirkung kommt bei einer 70%igen Konzentration zum Tragen; als Extraktionsmittel eignet sich Alkohol unter anderem für Harze, ätherische Öle, Wachse, Fette und Fettsäuren.

Zur Sinnhaftigkeit alkoholischer Zubereitungen führte Hanke an, dass Alkohol

  • die Vielstoffgemische in flüssigen pflanzlichen Zubereitungen stabilisiert,
  • die Verteilung lipophiler Wirkstoffe im Darminhalt und ihren Kontakt zur Schleimhautoberfläche begünstigt,
  • die Lipidsynthese in der Darmwand aktiviert,
  • die Permeabilität der Magenschleimhaut steigert,
  • die Durchblutung im Pfortaderbereich fördert und
  • den Cytochrom-P450-Metabolismus und damit den First-pass-Effekt hemmt.

Am Modell der Primelwurzel erklärte Hanke, dass Saponine in Alkohol besser löslich sind als z.B. in Wasser und dass der Alkohol das Gelieren verhindert. Auch bei Kamillenblüten lösen sich die Inhaltsstoffe besser in Alkohol.

Würde man bei der Arzneimittelherstellung auf andere Extraktionsmittel ausweichen, so müsste man in Kauf nehmen, dass diese auch andere Inhaltsstoffe aus der Pflanze lösen, dass die Haltbarkeit des Medikaments abnimmt und dass es zu geschmacklichen Veränderungen kommt.

Die Bedenken, die zahlreiche Anwender gegenüber dem Vorhandensein von Alkohol in Arzneimitteln haben, konnte Hanke mit dem Hinweis zerstreuen, dass beispielsweise 20 Tropfen einer 50%igen alkoholischen Lösung weniger Alkohol enthalten als 100 g Fruchtsaft oder Roggenbrot.

Kontraindiziert dagegen, so betonte Hanke, ist Alkohol bei alkoholabhängigen Personen, bei Patienten mit Lebererkrankungen und in größeren Mengen auch bei Kindern. Übrigens wird Alkohol im Körper durch das Enzym Alkoholdehydrogenase abgebaut, von dem Männern die doppelte Menge zur Verfügung steht wie Frauen.

Schnaps auf Rezept

Prof. Dr. Marcus Plehn befasste sich mit dem "Saufteufel in der Apotheke". Die für die Pharmazie so wichtigen positiven Eigenschaften des Alkohols wurden zeitweise sehr stark durch seine negativen Eigenschaften überschattet. So wurde beispielsweise bereits den Dominikaner-Mönchen in Rimini im Jahre 1280 der Besitz von Destillationsanlagen verboten, weil es zu Ausschreitungen gekommen war.

Nördlich der Alpen mutierte der Branntwein im 17. Jahrhundert zum Genussmittel und Volksgetränk, das nun auch außerhalb der Apotheken hergestellt werden durfte. 1622 gab es in London 200 Schnapsdestillerien, und in Englands Arbeitervierteln warben die Ginläden: "Betrunken für einen Penny. Sinnlos betrunken für zwei."

Zwei Nachteile brachte diese Entwicklung: Zum einen erlitten die Apotheken finanzielle Einbußen, zum anderen war die Volksgesundheit gefährdet. Einige Behörden versuchten den "Branntweinteufel" in den Griff zu bekommen, indem sie nur den Apotheken die Herstellung und den Ausschank von alkoholhaltigen Heilmitteln erlaubten. Doch auch hier muss es teilweise toll zugegangen sein.

So ordnete der Stadtrat von Kassel 1672 beispielsweise an, "dass in den Apotheken sonntags, besonders unter der Predigt, kein Gesaufe gestattet werden" solle.

Viele Apotheker kreierten eigene Apothekenschnäpse, die den Namen "Seelentröster", "Leib- und Magenstärker" etc. erhielten. Von den früher zahlreichen Medizinalweinen hat lediglich der "Pepsinwein" noch einige Bedeutung.

Dr. Stefan Rothfuß, Vorsitzender der DGGP-Landesgruppe Württemberg, stellte das "Elixir Salutis", eine Rezeptur des Württembergischen Arzneibuches von 1741, vor. Es enthält neben Süßholz- und Rhabarberwurzel auch Sennesblätter, hatte also eine abführende Wirkung, was der damaligen Vorstellung entsprach, nach einem üppigen Mahl den Verdauungstrakt reinigen zu müssen; Anis und Kümmel wurden zugesetzt, um Blähungen zu vertreiben.

Nach der Zubereitung des alkoholischen Auszugs durfte das Auditorium das etwas eigenwillig schmeckende Elixier verkosten.

Museum "Arzney-Küche"

Dr. Larissa Leibrock-Plehn gab eine Einführung in das kleine, aber feine Museum "Arzney-Küche" im benachbarten Bönnigheim, das wahrscheinlich das einzige erhaltene Apotheken-Laboratorium in Baden-Württemberg besitzt.

1987 sollte das Gebäude, das vollkommen baufällig war, abgerissen werden, was der Vorsitzende der Historischen Gesellschaft Bönnigheim e.V. Kurt Sartorius jedoch verhindern konnte. Er stellte fest, dass es sich bei den überwölbten Sandsteinmauern mit dem Kamin um das ehemalige, aus Sicherheitsgründen ausgelagerte Laboratorium der nebenstehenden Apotheke handelte.

Das darüber befindliche Dachgeschoss mit großen Fenstern Richtung Süden wurde möglicherweise zum Trocknen von Pflanzen, die aus dem apothekeneigenen Heilpflanzengarten und aus der Umgebung stammten, genutzt.

Apotheker Adam Michael Völter hatte das Apothekenlaboratorium im Jahre 1831 erbaut und bis 1843 zur Herstellung und Abfüllung von Kräuterlikören und Ähnlichem genutzt. Heute zeigt das kleine Museum den Umbruch von der handwerklichen Kleinherstellung von Arzneimitteln zur industriellen Arzneimittelproduktion.

Trink ich Wein, so verderb ich, trink ich Wasser, so sterb ich; doch ist besser Wein getrunken und verdorben denn Wasser und gestorben!

Weintrinken bringt Verderben, kann gar kein Gut erwerben! Endlich muss der Weinschenk doch bezahlet werden, so hälts der Brauch auf Erden.

Wassertrinken bringt Krankheit und ungelegene Schwachheit. Wassertrinken hüte sich ein Weiser eben, so er will lange leben.

Wasser und Rebengaben gut Arzneien haben, dein Gesundheit können sie dir wohl beschützen, so du sie recht wirst nützen!

Studentenlied, vertont von Henning Dedekind (gest. 1628), aus: "Dodekatonon, Neue auserlesen Tricinia", 1588

1 Kommentar

Pepsinwein

von Klaus Fleiter am 13.12.2019 um 21:59 Uhr

Frage:

meiner Oma habe ich früher immer Pepsinwein kaufen müssen.
Was nimmt man heute stattdessen?

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