Arzneimittel und Therapie

Allergien in Deutschland: Eine große Herausforderung

Die Forschungen der letzten Jahre haben eine Fülle neuer Erkenntnisse zu Ursachen, Präventions- und Therapiemöglichkeiten von Allergien verfügbar gemacht. Richtig umgesetzt könnten sie für viele Allergiker Linderung oder Heilung bringen. Derzeit bestehen jedoch noch große Defizite in der Versorgung, nach Ansicht der Fachleute eine unhaltbare Situation. Das "Weißbuch Allergie" soll Abhilfe schaffen: es stellt den aktuellen Wissensstand in einer umfassenden Bestandsaufnahme dar und gibt konkrete Lösungsvorschläge.

Nur etwa jeder zehnte Asthmapatient wird derzeit von einem allergologisch ausgebildeten Facharzt behandelt. Auch die spezifische Immuntherapie (SIT), mit der vor allem bei der Behandlung der Insektengiftallergie sehr gute Erfolge erzielt werden können, wird nach Expertenmeinung noch viel zu selten angewendet.

Dabei sind Allergien ernst zu nehmende Erkrankungen, denn sie können chronisch werden und tödlich enden – die Zahl der Asthmatodesfälle übersteigt in Deutschland die Zahl der Verkehrstoten. Außerdem beeinträchtigen Allergien erheblich die Lebensqualität und gefährden darüber hinaus die berufliche Existenz: wenn Jugendliche ihre Ausbildung abbrechen, ist bei bis zu 80 Prozent eine Allergie der Grund. Dazu kommt, dass die Häufigkeit vieler allergischer Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen hat.

Kritik der ärztlichen Fachverbände

Für die unzureichende Versorgung Allergiekranker in Deutschland machen die beiden verantwortlichen Fachgesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e. V. (DGAI) und der Ärzteverband Deutscher Allergologen e. V. (ÄDA), unter anderem auch gesundheits- und berufspolitische Regelungen verantwortlich.

So könnte beispielsweise die Einführung der Praxisgebühr dazu beitragen, bei Allergikern die Kontaktschwelle für den Arztbesuch zu erhöhen. Auch die seit 2004 bestehende Neuregelung, dass nicht verschreibungspflichtige Medikamente – zu denen die meisten Antihistaminika zählen – nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden, könnte nach ihrer Ansicht zur Verschlechterung der Versorgungssituation beitragen.

Die Situation in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung stellt sich ebenfalls als unbefriedigend dar. So ist bisher die Allergologie noch kein Pflichtfach in der medizinischen Ausbildung. Es gibt zwar in Deutschland etwa 6000 Ärzte, die im Anschluss an ihre Facharztausbildung in einer 18-monatigen Weiterbildung die Zusatzbezeichnung Allergologie erworben haben.

Sie unterliegen jedoch berufsrechtlichen Zwängen: so darf ein HNO-Arzt nur den Heuschnupfen behandeln, der Pulmonologe nur das Asthma und der Hautarzt nur das Ekzem. Da Allergien jedoch oftmals mehrere Organe betreffen, müssen die Patienten meist mehrere Ärzte besuchen. Außerdem gibt es für die Allergologie bis heute keine Qualitätsrichtlinien – obwohl eine Expertenkommission unter Federführung der Zentralstelle zur Qualitätssicherung in der Medizin einen beschlussreifen Entwurf vorgelegt hat.

Der ÄDA und die DGAI der fordern daher in ihrem "Sofortprogramm für eine bessere Versorgung Allergiekranker" unter anderem auch eine Aufnahme der Allergologie als Pflicht-Querschnittsfach in die medizinische Ausbildung, fachgebietsüberschreitende Kompetenz für Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Allergologie sowie eine Qualitätssicherung der allergologischen Weiterbildung.

Ein Handbuch für alle Allergie-Interessierte

Die in den Fachgesellschaften seit Jahren immer wieder diskutierten medizinischen, sozioökonomischen und strukturellen Probleme der Allergologie in Deutschland haben in konzentrierter Form Eingang in eine Publikation gefunden, das "Weißbuch Allergie in Deutschland". Es liegt inzwischen in zweiter Auflage vor, 29 Autoren und 43 Kommentatoren haben daran mitgearbeitet.

Das "Weißbuch" will weder ein Lehrbuch der Allergologie noch ein Patientenratgeber sein, sondern ist für alle gedacht, die an Allergien interessiert sind: Verbände, Politiker, Krankenkassenvertreter – und natürlich auch Apotheker. Es weist auf die medizinischen, sozioökonomischen und strukturellen Probleme der Allergologie in Deutschland hin und zeigt auf, welcher Bedarf an Forschung, Lehre und Krankenversorgung in Bezug auf allergische Erkrankungen besteht.

Das "Weißbuch" besteht aus drei Teilen: im Grundlagenteil werden die immunologischen Grundlagen, die Epidemiologie allergischer Erkrankungen sowie die Rolle von Umweltfaktoren als Auslöser erörtert. Der klinische Teil befasst sich mit den häufigsten allergischen Krankheitsbildern. Neu aufgenommen wurden dabei in der zweiten Auflage Kapitel zu allergischen Erkrankungen im Kindesalter sowie zu beruflich bedingten allergischen Erkrankungen der Atemwege.

Der dritte Teil des Buches behandelt Aspekte der Versorgung in Diagnostik, Therapie und Prävention unter Einschluss sozioökonomischer Überlegungen. Es wird jedoch dabei nicht nur kritisiert: das "Weißbuch" enthält konkrete Lösungsvorschläge für kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Situation allergiekranker Menschen in Deutschland.

Prävention verbessern

Einer dieser Vorschläge zielt auf eine Verbesserung der Allergieprävention. Das Aktionsbündnis Allergieprävention (ABAP) hat in seinen im Weißbuch veröffentlichten "Frankfurter Thesen" auf Basis der bisher gesicherten Erkenntnisse Empfehlungen zur Allergieprävention erarbeitet, die auch für die Beratung in der Apotheke von Bedeutung sein können.

Das Aktionsbündnis fordert unter anderem, dass die Eltern erfahren sollen, dass

  • es eine genetische Veranlagung (Disposition) für allergische Reaktionen gibt,
  • eine mütterliche Diät und eine spezielle Allergenkontaktvermeidung in der Schwangerschaft nicht sinnvoll sind,
  • möglichst ausschließliches Stillen bis zum sechsten Lebensmonat und die späte und schrittweise Zufütterung von Beikost im Säuglingsalter zu einer Verminderung allergischer Sensibilisierungen beitragen können,
  • ein tabakrauchfreies häusliches Umfeld das Risiko von Allergien vermindern hilft,
  • durch ein allergenarmes Wohnumfeld das Risiko für die Entstehung von Sensibilisierungen und Allergien reduziert werden kann und der Verzicht auf die Haltung von Haustieren für Familien mit begründetem Allergierisiko sinnvoll sind,
  • durch sachgerechte Hautpflege und durch Vermeidung irritierender oder häufig allergisierender Stoffe der Entwicklung von Ekzemen vorgebeugt werden kann,
  • auch allergiegefährdete Kinder und Kinder mit allergischen Erkrankungen im erscheinungsfreien Intervall nach den Richtlinien der STIKO geimpft werden sollen.

Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf eine allergische Sensibilisierung haben Anspruch auf

  • die Möglichkeit einer individuellen Allergiediagnostik und -beratung durch allergologisch qualifizierte Ärzte,
  • ein gesundes Innenraumklima im häuslichen Bereich sowie in Kindergärten und Schulen
  • qualifizierte allergologische Berufsberatung, auch außerhalb der derzeitigen gesetzlichen Regularien.

Darüber hinaus, so das Aktionsbündnis, haben Kinder und Jugendliche und ihre Familien, die von einer Allergieerkrankung mit chronischem Verlauf betroffen sind, Anspruch auf qualifizierte Ernährungsberatung bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie oder -unverträglichkeit sowie auf eine Deklaration von allergenen Substanzen in Gegenständen des täglichen Gebrauchs und in Lebensmitteln.

Quellen

Prof. Dr. Dr. Johannes Ring, München; Dr. Josef Wenning, Villingen; Prof. Dr. Gerhard Schultze-Werninghaus, Bochum; Prof. Dr. Uwe Gieler, Gießen: Pressegespräch zur Präsentation "Weißbuch Allergie in Deutschland", Berlin, 11. Februar 2004. Ring, J.; Th. Fuchs; G. Schultze-Werninghaus (Hrsg.): Weißbuch Allergie in Deutschland. Urban & Vogel Medien und Medizin Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München (2004).

Die Forschungen der letzten Jahre haben eine Fülle neuer Erkenntnisse zu Ursachen, Präventions- und Therapiemöglichkeiten von Allergien verfügbar gemacht. Richtig umgesetzt könnten sie für viele Allergiker Linderung oder Heilung bringen. Derzeit bestehen jedoch noch große Defizite in der Versorgung in Deutschland, nach Ansicht der Fachleute eine unhaltbare Situation. Das "Weißbuch Allergie" soll Abhilfe schaffen: es stellt den aktuellen Wissensstand in einer umfassenden Bestandsaufnahme dar und gibt konkrete Lösungsvorschläge.

Sofortprogramm für eine bessere Versorgung

Die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e.V. (DGAI); der Ärzteverband Deutscher Allergologen e. V. (ÄDA) und die Deutsche Akademie für Allergologie und Umweltmedizin (DAAU) haben ein Sofortprogramm für eine bessere Versorgung Allergiekranker aufgestellt, das 10 Punkte zur Verbesserung der Versorgung allergiekranker Menschen umfasst:

  • Entbagatellisierung allergischer Krankheiten und finanzielle Sicherung der notwendigen Therapie
  • Förderung der Allergiefrüherkennung durch Vorsorgeuntersuchungen und breite Aufklärung in Kindergärten und Schulen
  • umfassende Information der Öffentlichkeit über allergische Erkrankungen und die Möglichkeiten zur Prävention
  • Qualitätssicherung der allergologischen Weiterbildung und der Weiterbildungsermächtigten
  • Aufbau von Lehrstühlen oder Abteilungen für Allergologie und experimentelle Allergologie an deutschen Hochschulen
  • Verstärkung der Forschungsanstrengungen zur Epidemiologie, Pathogenese, Diagnostik, Therapie und Prävention von Allergien
  • konsequente Umsetzung der WHO-Empfehlungen: verstärkter Einsatz der kausal wirkenden spezifischen Immuntherapie
  • verbesserter Verbraucherschutz durch geeignete Deklarationsregeln allergierelevanter Produkte

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