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- DAZ 36/2004
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Die Seite 3
Ein sinnloses Opfer?
In der Gesundheitspolitik wird immer noch zu viel an-, quer- und umgedacht; zu selten wird wirklich bis zu Ende gedacht. Wenn Kurzsichtigkeit wehtäte – es gäbe derzeit ziemlich viele Politiker und Regierungsberater, die schreiend durch Berlin liefen. Besonders nachdenklich muss die Diskussion um "Bürgerversicherung" und "Gesundheitsprämie" stimmen. Beide Modelle suchen nach einem Weg, wie sich die Finanzierbarkeit der Krankenversicherung zukünftig sichern lässt. Und beide tun sich schwer. Obwohl der Handlungsbedarf nicht zu übersehen ist.
Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ein Finanzierungsproblem, das nicht in einer "Explosion" der Kosten, sondern in der Erosion der Einnahmeseite begründet ist. Der Zwang zu steigenden Beitragssätzen ist entstanden, weil die nur am Arbeitseinkommen orientierten Beitragseinnahmen seit Jahren deutlich geringer wachsen als die Gesundheitsausgaben und die Bezugsbasis für den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand, das BIP. Die Arbeitseinkommen verlieren als Wohlstandsquelle an Bedeutung. Von daher scheint es nahe zu liegen, zusätzlich andere Einkommensarten für die Beschaffung von Beiträgen zuzuziehen (z. B. Kapitalerträge).
Die Bürgerversicherung geht diesen Weg direkt. Die gesetzliche Krankenversicherung soll danach zur Einheitszwangskasse für alle Bürger (auch für Selbstständige, Beamte etc.) werden. Die Privatkassen werden zum Auslaufmodell erklärt. Neue Mitglieder dürfen sie nicht mehr aufnehmen – obwohl sie mit ihren Altersrückstellungen im Ansatz das Richtige getan haben: sie haben Elemente der Kapitaldeckung eingeführt, die adäquate Antwort auf die demographische Herausforderung. Die im Prinzip arbeitsplatzgefährdende Belastung der Arbeitskosten bleibt mit der Bürgerversicherung jedoch bestehen. Die Unternehmen werden weiterhin durch lohnabhängige Krankenkassenbeiträge belastet. Die Krankenkasseneinnahmen hängen am Tropf des Arbeitsmarktes. Hinzu kommt: Wer gut verdient, wird doppelt gemolken. Ein Selbstständiger muss nicht nur, wie bisher, die Krankenversicherung ohne Arbeitgeberanteil allein finanzieren. Wenn er durch Sparsamkeit und zur Sicherung seiner Altersversorgung über höhere Kapitalerträge verfügt, wird er zukünftig zudem durch hohe Zusatzbeiträge auf diese Erträge belastet.
Es wundert nicht, dass da die Versuchung groß ist, die Kapitalerträge illegalerweise zu verstecken. Anders als z. B. in der Renten- und Arbeitslosenversicherung (oder bei Zusatzkrankenversicherungen für besondere Leistungen, z. B. das Einbettzimmer im Krankenhaus) würden in der Bürgersicherung selbst drastisch höhere Beträge nicht durch verbesserte Leistungsansprüche belohnt. Wer dies um der "Gerechtigkeit" willen – schließlich geht es um das hohe Gut Gesundheit – für notwendig hält, müsste via Umverteilung dem Twingo-Fahrer wenigstens den 5er BMW finanzieren; denn im BMW ist die Gesundheit bei einem Unfall sicher besser geschützt als im Twingo-Kleinwagen.
Die Gesundheitsprämie ist da ehrlicher und klarer. Und sie ist entgegen dem ersten Anschein auch keinesfalls "unsolidarisch". Für gleiche Prämien werden allen Versicherten gleiche Leistungen geboten. Es besteht Versicherungspflicht, aber freie Wahl der Versicherungsgesellschaft. Welche Leistungsansprüche mindestens abgedeckt werden müssen, wird festgelegt. Über freiwillige Zusatzversicherungen (z. B. Kuren, Homöopathie) kann der Versicherte selbst entscheiden. Seine Firma wird dadurch nicht belastet. Das alles ist im ökonomischen Sinn solidarisch, denn die Versorgung der Erkrankten wird von den Beiträgen der glücklicherweise Gesundgebliebenen mitfinanziert. Beitragsermäßigung durch Eigenbeteiligung ist möglich. Bis hier kann die Krankenversicherung (anders als die GKV bisher) nach versicherungsmathematischen Grundsätzen aufgestellt werden. Für gleiche Beiträge gibt es gleiche Leistungen.
Aber: Sozialpolitische Subventionen, die durchaus erwünscht sein können, werden transparent gemacht und – als zweite Stufe des Solidarausgleiches – getrennt aus Steuereinnahmen bezahlt. So könnte die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und erziehenden Elternteilen finanziert werden. Auch die natürlich notwendigen Beitragszuschüsse für Bürger mit niedrigerem Einkommen sind so zu finanzieren. Für die Steuerfinanzierung dieser Subventionen sollten allerdings auch Unternehmensgewinne, also auf die Körperschaftssteuer zurückgegriffen werden. Hier nur bei den Einkommen besonders wohlhabender Bürger abzukassieren, wäre einseitig (die oberen 10% der Einkommensbezieher zahlen bisher schon 55% der Steuern, so kürzlich Finanzminister Eichel im Spiegel).
Bürgerversicherung oder Gesundheitsprämie mit steuerfinanziertem Sozialausgleich – welches Modell sich durchsetzt, steht in den Sternen. Derzeit scheint beide großen Volksparteien der Mut zu verlassen, das Einnahmeproblem der Krankenkassen überhaupt anzufassen. Die SPD will die Einführung der Bürgerversicherung auf die Zeit nach 2006 verschieben. Die CDU-Chefin Merkel kneift schon beim Zahnersatz. Die Neuregelung dort sollte ein erster Schritt in Richtung Gesundheitsprämie werden. Schröders Zustimmung dazu hatte sie sich im nächtlichen Telefonat erkauft, indem sie dem Arzneimittelversandhandel und der Lockerung des Mehrbesitzverbotes zustimmte. War das – im Nachhinein – ein sinnloses Opfer?
Klaus G. Brauer
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