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Reformdiskussion: SPD-Spitze stellt Eckpunkte der Bürgerversicherung vor
Am vergangenen Wochenende präsentierte die SPD-Arbeitsgruppe der Parteispitze auf 71 Seiten ihr "Modell einer solidarischen Bürgerversicherung". Die Diskussion, so betonte Nahles im Anschluss an die Klausursitzung, soll mit den vorgelegten Eckpunkten jedoch nicht beendet sein. Vielmehr sollten die Vorschläge "Orientierungspunkte" sein. Die Arbeitsgruppenleiterin ist aber schon jetzt sicher: "Für die übergroße Mehrzahl der Menschen in diesem Land bedeutet unsere Bürgerversicherung eine Entlastung".
Bürgerversicherung als "dominanter Tarif"
Ausgangspunkt des Konzepts ist, dass der Solidarausgleich innerhalb des Systems beibehalten und ausgebaut werden soll. Aus Sicht der Patienten werde man das System mehr öffnen als bisher, erläuterte Nahles. Es werde eine freie Kassenwahl geschaffen: Die Bürgerversicherung soll sowohl von privaten wie auch von gesetzlichen Anbietern als Vollversicherung angeboten werden können; die Versicherungspflichtgrenze wird aufgehoben. Der Bürgerversicherungstarif umfasst dem Konzept zufolge vier Mindestanforderungen:
- Die Beiträge werden einkommensbezogen erhoben und – soweit sie lohnbezogen sind – paritätisch finanziert.
- Für jede Versicherung besteht Kontrahierungszwang – Rosinenpickerei durch Risikoselektion ist ausgeschlossen.
- Es gilt der gesetzliche Leistungskatalog, der alles medizinisch Notwendige in bester Qualität versichert.
- Das Sachleistungsprinzip bleibt gewährleistet.
Die SPD-Politikerin unterstrich zudem, dass jeder, der jetzt privat versichert ist, dies auch nach Einführung der Bürgerversicherung bleiben könne. Es bestehe aber die Möglichkeit in den Bürgerversicherungstarif seiner privaten Krankenkasse oder einer gesetzlichen Kasse zu wechseln. Es soll kein Zwang bestehen, zu wechseln, erklärte Nahles. Ziel sei es aber, "dass die Bürgerversicherung in Zukunft der dominante Tarif wird".
Das Zwei-Säulen-Modell in zwei Varianten
Grundmodell der Bürgerversicherung ist das so genannte "Zwei-Säulen-Modell": Neben dem Erwerbseinkommen, das weiterhin bis zur Beitragsbemessungsgrenze mit Beiträgen belastet wird, sollen Kapitaleinkünfte als zweite Säule zur Finanzierung der GKV mit herangezogen werden. Für die Erhebung der Beiträge auf Zinsen und Dividenden (Einkünfte aus Miete und Pacht bleiben unberücksichtigt) werden in dem SPD-Modell zwei Varianten vorgeschlagen: In der ersten, dem "Zwei-Säulen-Beitragsverfahren", wird das Kapitaleinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze verbeitragt – dabei gilt der steuerrechtliche Sparerfreibetrag. Zur Berechnung der Beiträge soll auf die Daten der Finanzämter zurückgegriffen werden.
Die zweite Variante ist das "Kapital-Steuer-Modell": Ein Aufschlag auf die Zinsabgeltungssteuer in Höhe von sieben Prozent, der der Bürgerversicherung zufließt, würde dieselbe Entlastung für die GKV erreichen wie die erste Variante, so Nahles. Der Vorteil des zweiten Modells wäre, dass die Entlastung für die GKV sofort erreicht werden könnte – unter Einbeziehung der privat Versicherten. Entschiede man sich hingegen für die Verbeitragung, müsse man "in Kauf nehmen, dass man nicht genau weiß, in welchem Zeitrahmen alle Bürger in der Bürgerversicherung sind", so Nahles. Nach Vorstellung der SPD könnte dies vielleicht in zehn Jahren der Fall sein.
Angeblich Beitragssenkung um 2,9 Prozent
Mit den zusätzlichen Einnahmen der zweiten Säule sei "in der Endausbaustufe ungefähr eine Beitragssatzsenkung um etwa 1,8 Prozent erreichbar", erklärte Nahles. Würde man die Effekte der diesjährigen Gesundheitsreform hinzunehmen, käme man gar auf eine Beitragssatzsenkung von 2,9 Prozent. Dies jedenfalls ergeben die Modellberechnungen des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität zu Köln sowie des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie (INIFES) an der Universität Augsburg.
Die Leiter dieser Institute sind ebenfalls Mitglieder der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung: Karl Lauterbach und Martin Pfaff. Nahles wies auch darauf hin, dass man in der jetzigen Legislaturperiode vieles getan habe, um die Ausgaben der GKV zu begrenzen. Doch noch immer gebe es "enorme Effizienzreserven im System", die nicht ausgeschöpft seien. "Der Bürgerversicherungsgedanke enthebt uns nicht der Pflicht und der Aufgabe bei den Ausgaben in Zukunft auf einen effizienten Umgang zu achten", betonte die SPD-Politikerin. Die Bürgerversicherung sei nicht das Ende der Strukturreform.
Reform erst 2006
Den nach hinten verschobenen Zeitplan für die Umsetzung der Bürgerversicherung begründete Nahles mit den "anderen Mehrheiten im Bundesrat". Diese ließen die Aussichten, dass das Modell in dieser Legislaturperiode erfolgreich umgesetzt werden kann, "nicht allzu optimistisch" erscheinen. Sie sei jedoch "gespannt, ob sich die CDU doch noch auf unser Modell zubewegt". SPD-Chef Müntefering zeigte sich jedenfalls skeptisch, dass die Union im Moment in der Lage sei, eine einvernehmliche Regelung für ein eigenes Reformkonzept hinzubekommen. Er animierte die Union, sich mit den SPD-Eckpunkten auseinanderzusetzen. "Wenn die damit einverstanden sind, kann man über vieles sprechen", so Müntefering. Doch zugleich räumte er ein, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür gering sein dürfte.
Eichel will keine Steuerdiskussion
Die Idee, zur Finanzierung der Bürgerversicherung die Zinsabgeltungssteuer anzuheben, kommt nicht überall gut an. Bundesfinanzminister Hans Eichel soll sich laut "Berliner Zeitung" (Ausgabe vom 30. August) besonders geärgert haben: "Es ist in der derzeit noch labilen Konjunkturlage nicht angezeigt, eine Steuererhöhungsdiskussion zu führen", zitierte der Zeitung zufolge ein Ministeriumsmitarbeiter Eichel. Mit dem Thema müsse man "sensibel" umgehen. Auch Bundeskanzler Schröder äußerte sich ähnlich. Müntefering betonte, man habe "bewusst beide Varianten nebeneinander stehen lassen". Er sei für eine "offene Debatte". Auch er habe eine Präferenz, ließ der Parteichef wissen – welche es ist, sagte er aber nicht.
"Ein räudiger Kater"
Auch CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer kritisierte die Bürgerversicherungspläne der SPD: "Je mehr die Katze aus dem Sack gelassen wird, desto mehr stellt sich heraus, dass es ein räudiger Kater ist". Das Konzept werde für alle teuer und koste dadurch, dass die Beiträge nicht von den Arbeitskosten entkoppelt werden, rund eine Million Arbeitsplätze. Die Wahrheit über die Bürgerversicherung sei, dass es sich um eine "Sondersteuer für kleine und mittlere Einkommen" handle, so Meyer.
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