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Vioxx – Arzneimittel- oder Informationsskandal? (Außenansicht)
Das neu gegründete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen unter der Leitung von Professor Sawicki hat neben der Nutzenbewertung von Arzneimitteln eine Fülle von Aufgaben, von denen die einer vernünftigen Informationsverbreitung über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln eine der wichtigsten ist. Das Institut hat sich u. a. zum Ziel gesetzt, Ärzten und Patienten brauchbare (O-Ton Sawicki: qualitätsgesicherte) Informationen zur Verfügung zu stellen, damit diese selbst besser entscheiden können, ob sie ein Arzneimittel verordnen beziehungsweise anwenden wollen oder nicht.
Kaum ist das Institut gegründet, kommt es auch schon zur ersten Bewährungsprobe: Das seit Jahren millionenfach verwendete Schmerz- und Rheumamittel Vioxx wird vom Markt genommen. Freiwillig und rechtzeitig sagt der Hersteller, viel zu spät sagen die Kritiker. Wie gut doch, denkt da der gegenüber Arzneimitteln immer skeptischer werdende Bürger, dass es nun den wachsamen Professor Sawicki und seine Mannen gibt, von denen man in einer solchen Situation endlich eine neutrale und nicht eine von der Pharmaindustrie manipulierte Information erhält. Das Institut, sich seiner Verantwortung bewusst, reagierte dann auch prompt.
Und, wie sieht sie nun aus, die qualitätsgesicherte Information? Sawicki rechnete der Bild am Sonntag (also noch an einem Sonntag!) vor, dass allein 2003 in Deutschland 125 Millionen Tagesdosen Vioxx von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt wurden, was auf mindestens 429.000 Vioxx-Patienten schließen lässt, und was wohl (nimmt man die Zahlen aus den Studien, die zur Zurücknahme des Schmerzmittels geführt haben) bei mindestens 2700 Patienten in Deutschland Schlaganfälle, Thrombosen oder Herzinfarkte mit- (also nicht allein?) verursacht hat. Und knapp und bestimmt, wie sich das für einen selbstbewussten Experten gehört, fügt er hinzu: Ein Teil dieser Patienten ist sicherlich daran gestorben.
Vernünftig informieren ist wichtig aber auch verdammt schwer. Man muss nämlich nicht nur gelernt haben, mit Zahlen, sondern auch mit Worten richtig umzugehen. Während im ersten Teil des Sawicki-Statements das Wörtchen wohl immerhin noch die Möglichkeit offen lässt, dass es am Ende nicht so schlimm kommen muss, wie es derzeit scheint, lässt das sicherlich an den Toten keinen Zweifel mehr. Und das sehen auch die Medien so und verbreiten die Todeszahlen mit aufklärerischem Eifer.
Das Institut hat im Fall Vioxx nicht etwa nur über das informiert, was an Fakten auf dem Tisch liegt, sondern (fragwürdige) Hochrechnungen und Spekulationen angestellt und diese als erwiesene Sachverhalte an die Öffentlichkeit weitergegeben. Damit ist es dem Wunsch des Bürgers nach neutraler und umfassender Information in keiner Weise gerecht geworden und hat zu dem derzeitigen Informationschaos erheblich beigetragen, denn es haben sich auch andere zu Wort gemeldet.
Die Darstellungen des Qualitätsinstituts mussten Gegendarstellungen hervorrufen. So hat dann auch nicht nur der Hersteller (eigentlich überflüssig, weil ihm sowieso niemand glaubt), sondern auch unsere Kontrollbehörde (BfArM), die sich zudem noch dem Vorwurf mangelnder Aufsichtspflicht ausgesetzt sah, umgehend reagiert und Herrn Sawicki widersprochen: In Deutschland, so Ulrich Hagemann (BfArM), sind bislang keine konkreten Fälle bekannt, in denen das Mittel tödliche Nebenwirkungen hatte. Es gibt keine Fallberichte, die das nachweisen würden. Das sind wenigstens im Augenblick die Fakten.
Bei Entscheidungen für oder gegen ein Arzneimittel spielt das Vorhandensein alternativer Präparate eine wichtige Rolle. Für Vioxx (wie für die meisten vom Markt genommenen Produkte) gibt es diese. Hagemann empfiehlt den Patienten auf solche zurückzugreifen, die sich früher bei ihnen bewährt hatten (was anders sollte er ihnen auch empfehlen?). Bei diesen handelt es sich in den meisten Fällen um weniger gute Alternativen, sonst hätten die Patienten das Produkt ja nicht gewechselt und wären bei dem neuen nicht geblieben. Anders als bei Cholesterin- und Blutdrucksenkern kann der Patient den Nutzen eines Schmerzmittels bekanntlich auch ohne Hilfe des Arztes beurteilen, nicht allerdings sein Risiko.
Deshalb weist Hagemann (weil es sich offenbar immer noch nicht herumgesprochen hat, dass jedes wirksame Medikament unerwünschte Wirkungen haben kann) auf dieses Risiko auch ausdrücklich hin. Bei den Alternativen, auf die jetzt zurückgegriffen werden soll, sind mögliche Magen- und Darmblutungen solche Risiken (an denen man übrigens auch sterben kann).
Was sei damit gesagt? Dass man nicht glauben darf, dass der Rückruf eines Medikaments für die Patienten in jedem Fall eine Risikominimierung beziehungsweise -eliminierung bedeutet, sondern lediglich eine Verschiebung von Risiko.
Das Institut für Qualität im Gesundheitswesen wird von öffentlichen Geldern bezahlt und ist als Dienstleister der Öffentlichkeit gegenüber zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit wissenschaftlichen Daten und Informationen verpflichtet. Diesmal ist es seiner wichtigen gesellschaftlichen Rolle in keiner Weise gerecht geworden. Es hat mehr schockiert als vernünftig informiert. Aber das kann die Bildzeitung auch.
Klaus Heilmann
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