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DAZ aktuell
Transparency International: Korruptionsbekämpfung muss Priorität erlangen
Eigentlich tauge das Thema nicht für große Schlagzeilen, erklärte TI-Vorstandsmitglied Dr. Anke Martiny den zahlreich erschienenen Journalisten in dem viel zu kleinen Raum der vzbv. Der vorgelegte TI-Bericht solle vielmehr Hintergründe vermitteln. Wirklich neues Zahlenmaterial liefere er nicht, betonte Martiny, dafür aber eine "umfassende Schwachstellenanalyse". Doch kaum ein Medium ließ das brisante Thema in der vergangenen Woche aus.
Eine Zahl stand dabei im Vordergrund: Bis zu 20 Mrd. Euro jährlich gehen dem deutschen Gesundheitswesen durch Missbrauch, Korruption und Betrug verloren. TI stützt sich dabei auf eine amerikanische Studie, die davon ausgeht, dass drei bis zehn Prozent des gesamten Gesundheitsbudgets versickern. Die "European Healthcare Fraud and Corruption Conference" (EHFCC), die im Oktober in London tagte, machte sich diese Zahlen zu eigen – auch Martiny hält sie für übertragbar auf Deutschland.
Deutsches Gesundheitswesen besonders anfällig
Martiny betonte, dass das deutsche Gesundheitswesen besonders korruptionsanfällig sei – bedingt durch seine föderalistische Struktur. Hier habe man es mit 17 Landesgesundheitsministerien sowie mindestens ebenso vielen berufsständischen Organisationen der jeweiligen Leistungserbringer zu tun. Dazu kommen das Bundesgesundheitsministerium, die berufsständischen Dachverbände sowie knapp 300 Krankenkassen – diese teilweise schwer durchschaubaren Strukturen erleichtern es Betrügern, sich unerkannt Vorteile zu verschaffen. Matiny forderte die Politik auf, dem Thema Korruption Priorität einzuräumen. Sie unterstrich: "Ohne diese Missstände gäbe es genügend Spielraum für Beitragssatzsenkungen."
Beeinflussung der Ärzte durch Generikahersteller
Dr. Stefan Etgeton von der vzbv kritisierte, dass viele Ärzte eine von Pharmaunternehmen gesponsorte Software benutzten. Vor allem Generikahersteller versorgten die Arztpraxen. Wird eine Indikation aufgerufen, werde an erster Stelle ein Präparat der Sponsor-Firma genannt. Eine solche Einflussnahme auf den Arzt müsse zwar nicht schlimm sein, erklärte Etgeton. Sie könne die Patienten aber durchaus beeinträchtigen. Der Verbraucherschützer prangerte zudem die Versuche der Industrie an, auf Patientenorganisationen Einfluss zu nehmen.
Pharmaindustrie: Marketing statt Innovationen
Vor allem der Pharmamarkt erweist sich Prof. Dr. Peter Schönhöfer zufolge als "strukturell korruptionsanfällig". Schönhöfer, TI-Mitglied und Mitherausgeber des "arzneimittel-telegramms", beklagt bereits seit Jahren, dass die pharmazeutischen Unternehmen keine Innovationen mehr auf den Markt bringen. Und Schein-Innovationen ließen sich nur durch Korruption oder Betrug vermarkten, so der Pharma-Experte. In den Jahren 1990 bis 2001 seien von 397 neu auf den Markt gekommenen Stoffen nur sieben echte Innovationen gewesen. Der Rest habe lediglich dafür gesorgt, dass die Therapie teuerer werde. Schönhöfer zufolge haben die Arzneimittel-Hersteller im Jahre 2001 in Deutschland 1,5 Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, während fünf Mrd. Euro ins Marketing flossen. "Das Marketing ist heute die stärkste Bedrohung für die Qualität in der medizinischen Versorgung", beklagte er.
Besserung durch freiwillige Selbstkontrolle?
Selbstverpflichtungen der Industrie, auf zweifelhafte Marketing-Aktivitäten zu verzichten, haben in der Vergangenheit nicht viel an diesen Umständen ändern können. Dem in diesem Jahr auf Initiative des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller neu gegründete Verein zur freiwilligen Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie stehen die Korruptionsgegner jedoch offen gegenüber. Man werde die Probe aufs Exempel machen, erklärte Martiny. Alle TI bekannt gewordenen Missbrauchsfälle werden dem Verein zugeleitet. Am Ende des Jahres soll ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des Vereins stattfinden. Es sei "angesagt, die Industrie beim Wort zu nehmen", betonte Martiny.
Problem grauer Arzneimittelmarkt
Auch in Apothekerkreisen ist Korruption und Betrug ein Thema. Allerdings sind die hier verursachten Schadenssummen vergleichsweise marginal, betonte die hessische Kammerpräsidentin und TI-Mitglied Dr. Gabriele Bojunga. Es sei das Arzneimittel als solches, mit dem die "fetten Geschäfte" gemacht werden, sagte sie gegenüber der DAZ. Bojunga beschäftigt sich vor allem mit den Auswüchsen des grauen Arzneimittelmarktes – dieser besitzt einen Warenwert von jährlich rund 250 Mio. Euro (nach Hersteller-Abgabepreisen).
Der graue Markt zeichnet sich dadurch aus, dass auf dubiosen Wegen etwa durch Sondereinkäufe bei Großhändlern über Zwischenhändler und Broker billig erstandene Medikamente zurück in den normalen Vertriebskanal gelangen. Bojunga zeigte sich erfreut, dass nun auch die Pharmaindustrie ein Interesse entwickelt, zumindest die Verpackungen teurer Präparate fälschungssicherer zu machen. Da sie auf alle in Deutschland in den Kreislauf gekommenen Medikamente 16 Prozent Rabatt an die Krankenkassen leisten müssen, sind nun auch die Unternehmen darauf bedacht, dass beispielsweise keine Ärztemuster oder für den Export gedachte Waren teuer in deutsche Apotheken-Schubladen zurück kommen.
Bojunga fordert auch über TI die lückenlose Dokumentation des Wegs eines Arzneimittels von der Produktion bis zum Patienten – eine lang bekannte Forderung der Apothekerschaft. Ebenso setzt sie sich zur weiteren Prävention korrupter Strukturen im schwarzen und grauen Arzneimittelmarkt für fälschungssichere Verpackungen ein. In dem TI-Bericht wird zu diesem Zweck außerdem gefordert, die Unterschiede im Preisniveau der EU-Länder abzuschmelzen.
Kritik an Strukturen der Berufsorganisation
Darüber hinaus bemängelt TI bereits seit Jahren die Organisationsstruktur der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Der neue TI-Bericht bezeichnet die Konstruktion als Dachverband der Landesapothekerkammern und -verbände erneut als "problematisch". Kritisiert wird vor allem die Finanzierung der ABDA durch die Mitglieder der Kammern und Verbände bzw. Vereine. Die Gelder würden nicht nur für Aufgaben eines Bundesverbandes verwendet, moniert TI, sondern auch für eigene Wirtschaftsunternehmen – etwa den Govi-Verlag, die ABDATA und die Werbe- und Vertriebsgesellschaft MGDA.
"Der Interessenkonflikt zwischen der hoheitlichen Aufgabe, ohne Klientelinteressen umfassend der Gesundheit des Versicherten zu dienen, und den freien Wirtschaftsinteressen des Dachverbandes ist dieser Konstruktion immanent", heißt es in dem Bericht. Ein Verhaltenskodex sei "zwingend erforderlich".
Zur Korruptionsbekämpfung müssten TI zufolge insbesondere folgende Punkte geklärt werden: Das Budget und die demokratischen Prinzipien der ABDA, Interessenskonflikte der Funktionsträger, das Verhältnis zu den Arzneimittel-Herstellern, Wirtschaftsaktivitäten der ABDA sowie Fragen der Abhängigkeiten und des Vertriebs. Auch innerhalb der Apothekerkammern und -verbände fordert TI die Erarbeitung von Richtlinien, die kontrollieren und sanktionieren. Regelungen sollten unter anderem gefunden werden für den Umgang mit dem grauen und schwarzen Arzneimittelmarkt, Geschenken und geldwerten Vorteilen, Interessenskonflikten und Kontakten zur pharmazeutischen Industrie. Zudem schlägt TI vor, eine anonyme Hotline einzurichten und einen Ombudsmann zu bestellen.
Reaktionen: Nicht alle in einen Topf werfen
Der TI-Bericht stieß auf ein geteiltes Echo. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erklärte, es sei "unerträglich, wenn sich einige Raffgierige auf Kosten der Solidargemeinschaft bereichern". Sie warnte jedoch davor, alle Leistungserbringer über einen Kamm zu scheren: "Die weit überwiegende Zahl leistet tagtäglich verantwortungsvolle Arbeit". Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Manfred Richter-Reichhelm kritisierte, dass der TI-Bericht vor Fehlern strotze und reine Effekthascherei sei. Die Belege für die hohe Schadenssumme seien "armselig". Statt konkret zu werden, würden "wieder einmal alle in einen Topf geworfen und verunglimpft".
Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) warf TI vor, mit unseriösen Zahlen zu arbeiten. Grundsätzlich begrüßte BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp zwar die Anstrengungen, Arzneimittel fälschungssicher zu machen und Fälschungen zu bekämpfen. Die Kritik am Pharma-Marketing wies er jedoch zurück: "Wir halten die Ärzte für mündig und willensstark genug, ihr Verschreibungsverhalten allein von medizinischen Erfordernissen abhängig zu machen."
Der TI-Bericht ist auf der Homepage von Transparency International zu finden (www.transparency.de). Weitere Informationen zum finanziellen Schaden durch Korruption finden Sie unter www.ehfcc.com.
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