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Feuilleton
Apotheken auf Kuba: Mehr Schmuck als Wirkung
Die Apotheken in Havannas Einkaufsmeile Calle Obispo sind weder mit Leuchtreklame beschriftet, noch fallen sie durch knallige Schaufensterauslagen auf. Bescheiden und kunstvoll ist der Name "Farmacia Taquechel" in die hohen alten Jugendstilfenster geätzt.
Im Zentrum von Havanna: Farmacia Taquechel
Die fast schwarzen Holzregale aus dem 19. Jahrhundert sind nur spärlich beleuchtet. Obwohl in der Straße die Karibiksonne brennt, fallen nur wenige Sonnenstrahlen von der Eingangstür bis an die dunkle Rückwand der Offizin. Die Fensterläden sind zum Teil geschlossen, um keine Hitze hereinzulassen. Bis unter die etwa vier Meter hohe Decke reicht die geschnitzte und kostbar verzierte Einrichtung.
Ein meterhoher Porzellanpokal thront auf dem Verkaufstisch, bewacht von einem Skelett hinter Glas. Mit Pflanzenmotiven bemalte und beschriftete Standgefäße sind Zeugen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. In Reih und Glied aufgestellt füllen sie die oberen Regale, die ohne Leiter nicht erreichbar sind.
Trotz der vielen musealen Gefäße gibt es kein Problem alle Medikamente unterzubringen. Auf den unteren, ohne Leiter erreichbaren Regalbrettern klaffen große Lücken zwischen Flaschen und Tablettenschachteln. In einer Ecke liegen zehn Packungen unter dem Pappschild "Ampullen", und in einer anderen Ecke stehen zwei Sorten Tropfen.
Die Touristen, die scharenweise in die Farmacia Taquechel kommen, stört das nicht; sie bewundern die alte Einrichtung und schießen Fotos. Einmal in der Woche trifft eine neue Arzneilieferung in der Apotheke ein. Im Auftrag des Ministeriums für Basis-Industrie übernehmen verschiedene Firmen die Aufgabe des Großhandels.
Arzneiversorgung von Importen abhängig
Laut Minister Marcos Portal wurden im vorletzten Jahr zwei Drittel der Medikamente zur Grundversorgung in Kuba selbst hergestellt, nämlich 540 von insgesamt 809 Arzneimitteln. Dafür mussten jedoch mehr als 90 Prozent der pharmazeutischen Wirkstoffe importiert werden.
Nach dem Zerfall des Ostblocks und der Auflösung der Sowjetunion, Kubas wichtigstem Handelspartner, war die Insel fast völlig von Lieferungen aus dem Ausland abgeschnitten. 1994 fehlte etwa die Hälfte aller Medikamente, um die Bevölkerung zu versorgen. Aus Ländern wie Argentinien, Kanada oder Spanien kommen heute etwa 270 Arzneimittel, die nicht auf der Karibikinsel produziert werden – das entspricht einem Drittel. Doch Importe kann Kuba aus Mangel an Devisen kaum bezahlen.
Internationale Hilfe
Humanitäre Hilfsorganisationen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern unterstützen die kubanische Pharmaindustrie. Mit den gespendeten Wirkstoffen können die kubanischen Firmen die wichtigsten Medikamente, beispielsweise Beclometason-Spray gegen Asthma, selbst herstellen.
Solidaritätsgemeinschaften wie MediCuba oder Humanitäre Cuba Hilfe versorgen beispielsweise auch einige medizinische Einrichtungen direkt mit Dialyse-Geräten, Röntgenapparaten, Medikamenten oder einfachen Hilfsmitteln wie Spritzen und Einmalhandschuhen.
Medicina verde – kubanische Phytopharmaka
Ein paar Häuser neben der Farmacia Taquechel wird in goldenen Buchstaben an der Außenwand die "Drogeria Johnson" angekündigt. Dort hat das Regal mit der Überschrift "medicina verde" (grüne Medizin) etwas mehr zu bieten. Medicina verde ist die kubanische Lösung für den Versorgungsengpass; sie wird in vielen Apotheken und Drogerien hergestellt und ersetzt einen Teil der fehlenden Fertigarzneimittel.
So greifen die Kubaner bei Erkältung gern auf Eukalyptussaft oder bei Nervosität auf Passionsblumenextrakt zurück. Sie sind seit der so genannten Spezial-Periode, in der es so gut wie gar nichts gab, an solche Präparate gewöhnt.
Zur medicina verde zählt auch das cholesterinsenkende Mittel PPG-5. Es enthält den pflanzlichen Wirkstoff Policosanol, ein Gemisch langkettiger Alkohole, die aus Zuckerrohr isoliert werden; Hauptkomponente ist der einwertige Alkohol Octacosanol (Summenformel C28H58O), eine wachsartige Substanz.
Der Verkauf von PPG-5 und einigen Impfstoffe ins Ausland bringt einen kleinen Teil der Devisen ein, mit denen andere pharmazeutische Rohstoffe oder Produkte eingekauft werden können. Viel beliebter als PPG-5 ist bei den schönheitsbewussten Kubanerinnen jedoch ein anderes im Lande hergestelltes Phytopharmakon: Aloecreme gegen Falten.
Keine Lagerhaltung, schlechte Belieferung
Was für den flüchtigen Betrachter wie ein Museum wirkt, kann für den kranken Habanero frustrierend sein. Obwohl über Prioritätenlisten für die Versorgung mit den wichtigsten Arzneimitteln gesorgt sein soll, sind die Zuteilungen für jede Apotheke nicht immer ausreichend. Eine Schachtel Metronidazol ist irgendwo vorhanden und auch ein Streifen des Antibiotikums Cefuroxim, aber nirgendwo ist eine Spur von Großlieferungen oder Vorratslagerung zu sehen.
Wenn der Arzt ein Mittel verordnet, geht der Patient mit dem Rezept in die Apotheke, die in seinem Bezirk für ihn zuständig ist. Nur dort darf er sein Medikament kaufen – wenn es gerade auf Lager ist. Wenn nicht, telefoniert die Apotheke in den Nachbarbezirken herum und fragt, ob sie noch etwas haben.
Fehlen besondere Arzneimittel, sind allerdings längere bürokratische Wege und viele Unterschriften nötig, bis der Patient versorgt ist. Deshalb fragt der kubanische Familienarzt seine Patienten meistens: "Was hast du an Medizin zu Hause?" Die privaten Bestände sind wichtig. Und die Beziehungen. Denn es könnte ja sein, dass der Nachbar, die Tante oder die ausländischen Freunde zufällig etwas Passendes haben.
Blühender Schwarzmarkt
Oft ist selbst der blühende Schwarzmarkt besser ausgestattet als die Apotheke. Zu Wucherpreisen in harten Dollar wird auf der Straße verkauft, was nie in der Apotheke angekommen ist, obwohl die Kontrollen gegen unerlaubten Handel sehr scharf sind. So kostet dann ein dringend benötigtes Salbutamol-Spray gegen Asthma nicht mehr drei Peso, also umgerechnet zwölf Dollar-Cent, sondern gleich drei Dollar.
Das reißt bei den Patienten ein Loch in die Haushaltskasse, das schwer zu stopfen ist. Der durchschnittliche Monatslohn der Kubaner liegt bei etwa zehn Dollar, und für ein Hemd aus zweiter Hand ist die Hälfte davon schon weg.
Für Dollar-Kunden: Farmacia internationale
Wer mit amerikanischen Dollar bezahlen kann, ist im sozialistischen Kuba König. Einem Dollar-Kunden stehen die internationalen Apotheken (Farmacia internationale) offen. Sie haben ein größeres Sortiment ausländischer Spezialitäten vorzuweisen als Apotheken für Kubaner. Aber von konstanter Lieferfähigkeit ist auch hier keine Spur.
Ist die einzig vorhandene kleine Tube Voltaren Gel für 8,80 Dollar verkauft, dann kommt der Nachschub erst "morgen – oder nächste Woche", so die Auskunft in Varaderos kleinster internationaler Apotheke. Die Holzhütte steht weitab von Hotels fast an der Spitze einer Halbinsel.
Kubaner dürfen die kostbaren Dollar nur zeitweise in die "Farmacia internationale" tragen – je nach der Stimmung im Land. Schließlich sollen Touristen die teuren Importe bezahlen, so heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Museumsapotheke
In der Apotheke der Doctores Triolet und Figuera in Matanzas sind die Besucherscharen willkommen. Bis 1959 wurden hier Salben und Pillen nach eigenen Rezepturen hergestellt und verkauft. Seitdem ist die Apotheke im Zentrum von Matanzas ein Museum. In den alten Zedernholzregalen von 1882 stehen gläserne Pokale, Porzellangefäße und Medikamente aus aller Herren Länder. Selbst die vielen Destillierkolben, bronzenen Mörser und vergilbten Pharmakopöen stehen so an ihren Plätzen, als würden morgen wieder Pulver und Tinkturen hergestellt.
Quellen
Farmacuba, Calzada de Vento No. 4163, Cerro, La Habana U.S.-Cuba Trade and Economic Council, Inc. 30 Rockefeller Plaza, New York, www.cubatrade.org Casa Consultora DISAIC, Calzada de Buenos Aires # 100 esq Leonor, Cerro, La Habana, www.cubaindustria.cu Auswärtiges Amt, Berlin, Länderinfo Kuba, www.auswaertiges-amt.de 1
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