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Arzneimittel und Therapie
Vorschläge zur Verbesserung der Pharmakovigilanz
Gemeinsam mit anderen industrieunabhängigen Zeitschriften und Informationsblättern (mittlerweile 53 aus 34 Ländern) sind die vier genannten Zeitschriften in der 1986 gegründeten International Society of Drug Bulletins (ISDB) vereinigt. Schwerpunkt der Arbeit der ISDB ist der globale Austausch unabhängiger Arzneimittelinformationen in ständiger Auseinandersetzung mit globalisierten Marketingstrategien.
Im November 2003 trafen sich zahlreiche ISDB-Mitglieder zu einem Workshop zum Thema Arzneimittelsicherheit in Berlin, um Maßnahmen zur Verbesserung der Pharmakovigilanz in Europa zu diskutieren. Nach umfassender weiterer Bearbeitung und Vertiefung derselben wurde im Januar 2005 die Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz veröffentlicht. Die Herausgeber begnügen sich darin jedoch nicht mit der Analyse und Kritik von Mängeln in der Erkennung und Abwehr von Arzneimittelrisiken. Vielmehr werden umfassende Vorschläge unterbreitet, wie Politik und Behörden, die pharmazeutische Industrie, Ärzte, Pflegepersonal, die betroffenen Patienten und natürlich auch die Pharmazeuten zur Verbesserung der Pharmakovigilanz beitragen können. Im Folgenden sollen einige der wichtigsten Vorschläge kurz skizziert werden.
Grundlegende Strategien
Die Deklaration stellt die Forderung auf, den öffentlichen Zugang zu allen relevanten Daten aus präklinischer und klinischer Arzneimittelforschung zu verbessern. Dazu sei es auch notwendig, die derzeitigen Standards, nach denen UAW und UE (siehe Kasten) in klinischen Studien dokumentiert werden, zu überarbeiten. In den Fachinformationen der Arzneimittel müssten Art und Häufigkeit aller unerwünschten Ereignisse vollständig genannt werden.
Weiterhin müsse die Bereitschaft von Ärzten, Apothekern, Schwestern, Hebammen, Heilpraktikern, aber auch von Patienten, UAW zu melden, aktiv gefördert werden. Dazu wären eine allgemeine Verfügbarkeit von leicht ausfüllbaren Meldebögen in Zeitschriften, Kompendien, Apotheken und im Internet notwendig, und eine positive Rückkopplung an den Melder über bereits vorliegende Erkenntnisse zu den berichteten UAW sinnvoll. Die Autoren der Deklaration fordern die Aufstellung von Regeln für "Good Pharmakovigilance Practice".
Forderungen an Politik und Behörden
Es sei dringend notwendig, die Einhaltung der bestehenden Gesetze und Vorschriften, Marketing und Werbung für Arzneimittel betreffend, auch tatsächlich durchzusetzen. Dies gelte insbesondere für die in Deutschland inzwischen verbreitete – aber unzulässige – Werbung für verschreibungspflichtige Mittel beim medizinischen Laien. Auch wer im Internet bei Laien solche Arzneimittel bewirbt, müsse rechtlich belangt werden.
Auch auf die Notwendigkeit der Verringerung von Interessenkonflikten wird in der Deklaration hingewiesen. So dürften beispielsweise Ärzte, die von pharmazeutischen Firmen finanziert oder gesponsert werden, keinen Komitees angehören, die Nutzen oder Schaden von Arzneimitteln oder anderen Therapeutika abzuwägen haben. Neue Arzneimittel oder Indikationen müssen für Fachkreise und Patienten eindeutig erkennbar sein. Die Autoren der Deklaration regen daher an, solche Arzneimittel auch auf der Packung entsprechend zu kennzeichnen und den Patienten im Beipackzettel aufzufordern, UAW zu melden.
Als Anregung könnte die Vorgehensweise in England gelten, wo neue Arzneimittel mit unbekannten Risiken für fünf Jahre nach Markteinführung entsprechend gekennzeichnet werden.
Beitrag der pharmazeutischen Industrie
Die pharmazeutische Industrie wird in der Deklaration dazu aufgefordert, die Sicherheitsüberwachung von klinischen Studien zu verbessern. Des Weiteren sollten diese Studien so weit wie vertretbar den üblichen klinischen Situationen entsprechen, also beispielsweise auch Patienten mit sonstigen Begleiterkrankungen einschließen. Die von Firmen zu erstellenden Periodic Safety Update Reports (PSURs), die Signale für UAW anzeigen und sich zur Neubeurteilung des Nutzen-Schaden-Profils von Arzneimitteln eignen, müssen exakt den rechtlichen Vorgaben entsprechen.
Meldegewohnheiten von Ärzten und medizinischem Personal verbessern.
Ärzte melden allenfalls zwei bis fünf Prozent aller auftretenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen – sei es mangels Zeit, Motivation, Einsicht in die Notwendigkeit zu melden oder weil sie nie im Erkennen unerwünschter Wirkungen geschult wurden. Es bestehe daher die dringende Notwendigkeit einer besseren Integration von Fragen der Pharmakovigilanz in das Medizinstudium sowie die Fort- und Weiterbildung.
Ärzte müssen darüber informiert sein, was, wie und wem zu melden ist und dass der Beleg der Kausalität keine Bedingung für die Meldung einer UAW darstellt. Pharmakovigilanz sollte darüber hinaus auch Bestandteil des Ausbildungsplans von Schwestern, Pflegern, Hebammen, Heilpraktikern und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe sein, damit diese motiviert werden, aktiv über UAW zu berichten.
Mitarbeit der Patienten fördern
Patienten müssen wissen, wie UAW zu erkennen sind und dass sie darüber ihren Arzt oder einen Angehörigen anderer Gesundheitsberufe informieren sollen. Es müssten jedoch auch unabhängige Anlaufstellen für Patienten oder Probanden von Arzneimittelstudien geschaffen werden. Daher sollte die Möglichkeit von Telefon-Hotlines oder Online-Meldungen über das Internet geprüft werden. Weiterhin müssten spezielle, einfache und anwenderfreundliche Erhebungsbögen zur Verfügung gestellt werden, beispielsweise auch über Apotheken oder das Internet.
Rolle der Pharmazeuten
In der Ausbildung von Pharmazeuten ist besonderer Wert auf die Beurteilung von Nutzen und Schaden von Arzneimitteln, Pharmakovigilanz und die Meldung von UAW zu legen. Apotheker müssten der wachsenden Verantwortung gerecht werden, Patienten über Nutzen und Schaden von Arzneimitteln zu informieren, die Patienten anzuregen, über UAW zu sprechen und UAW zu melden, so die Autoren der Deklaration. Dies gelte insbesondere für OTC-Arzneimittel, Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel und andere Produkte, die ohne ärztliche Konsultation verwendet werden.
Klinikapotheker sollten insbesondere auf "pharmazeutische Signale" achten und diesen bei Verdacht nachgehen. Relevante UAW gehören auf die Tagesordnung der Arzneimittelkommissionen der Kliniken. Nach Möglichkeit sollten diese in Zusammenarbeit mit einer Pharmakovigilanz-Einrichtung beurteilt werden.
Dr. Claudia Bruhn, Berlin
Quelle
Wolfgang Becker-Brüser, Berlin;
Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Berlin; Jörg Schaaber, Bielefeld;
Prof. Dr. Walter Thimme; Berlin: Pres- sekonferenz „Pharmakovigilanz – wie sich die Sicherheit von Arzneimitteln verbessern lässt“, Berlin, 21. Januar 2005.
Krebs durch Pimecrolimus und Tacroli- mus? arznei-telegramm, Jahrgang 36, 32 (2005).
„Berliner Deklaration zur Pharmakovigi- lanz“: www.bukopharma.de/ Aktuelles/Berliner_ Deklaration_zur_ Pharmakovigilanz_Januar_2005.pdf
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen unbedingt melden
Formulare zur Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen können über folgende Seiten aus dem Internet heruntergeladen oder auch direkt online ausgefüllt werden:
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): www.bfarm.de
- Berichtsbogen zur Meldung von Arzneimittelrisiken der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker: http://82.165.42.224/typo3cms/abda/index.php?id=Boegen_online
- Meldebögen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: www.akdae.de
- für Abonnenten des arznei-telegramm: www.arznei-telegramm.de
Definitionen
- Pharmakovigilanz (vigilant, engl.: aufmerksam, wachsam) Aktivitäten, die zur Entdeckung, Beurteilung sowie zum Verständnis und zur Vorbeugung von unerwünschten Wirkungen oder anderen Problemen in Verbindung mit Arzneimitteln dienen. Pharmakovigilanz umfasst die gesamte Phase der klinischen Entwicklung und die Überwachung der Arzneimittelsicherheit nach der Vermarktung.
- Unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) Unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln, aber auch Impfstoffen, Medizinprodukten, pflanzlichen und traditionellen Arzneimitteln, Nahrungsergänzungsmitteln u. ä., die unter normaler Dosierung, aber auch bei beabsichtigter oder zufälliger Überdosierung sowie infolge von Arzneimittelmissbrauch, Fehlverordnung, Falschanwendung oder mangelnder Compliance aufgetreten sind. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Anwendung und dem Ereignis erscheint zumindest möglich.
- Unerwünschtes Ereignis (UE) Jedes ungünstige medizinische Ereignis, das in Verbindung mit der Anwendung eines Arzneimittels auftritt, aber nicht notwendigerweise in kausaler Beziehung mit dieser Behandlung steht.
- Signal Hinweis auf eine mögliche kausale Beziehung zwischen einem unerwünschten Ereignis und einem Arzneimittel, das zuvor unbekannt oder unzureichend beschrieben war. In der Regel ist mehr als eine einzelne Meldung erforderlich, um ein Signal auszulösen, dies hängt aber auch von der Schwere des Ereignisses und der Qualität der Information ab.
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